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Innenpolitik

Enteignung: kapitalistischer Alltag

Von P. Xantos | 01.03.2009

1848. Die USA entreißen Mexiko Kalifornien, das im Goldrausch versinkt. Neuartige, dampfgetriebene Schiffe setzen zur Eroberung des Atlantiks an. Währen dessen toben in Europa die Stürme bürgerlicher Revolutionen.

1848. Die USA entreißen Mexiko Kalifornien, das im Goldrausch versinkt. Neuartige, dampfgetriebene Schiffe setzen zur Eroberung des Atlantiks an. Währen dessen toben in Europa die Stürme bürgerlicher Revolutionen.

Wo sie erfolgreich sind, rollen nicht nur gekrönte Häupter, sondern ersetzen auch neue, bürgerliche Rechts- und Eigentumsverhältnisse die alten, feudalen. Es ist das Ende der „Sturm-und-Drang-Periode“ der Bourgeoisie. In diesem Jahr tritt der Kommunismus als gesellschaftliche Kraft auf die Bühne der Weltgeschichte.
„Aufhebung des Privateigentums“
Im Kommunistischen Manifest, das Marx und Engels für den internationalen, revolutionär-sozialistischen Bund der Kommunisten mit Sitz in London verfassen, wird das Ziel klar benannt: „Aufhebung des Privateigentums.“ Weiter heißt es: „Die kommunistische Revolution ist das radikalste Brechen mit den überlieferten Eigentumsverhältnissen“. Gemeint war das Privateigentum an Produktionsmitteln, Maschinen, Fabriken, Ländereien, also das Eigentum der Bourgeoisie, das von den alten Abhängigkeiten des Feudalismus befreit (lat. privatum) war. „Ihr entsetzt euch darüber, dass wir das Privateigentum aufheben wollen. Aber in eurer bestehenden Gesellschaft ist das Privateigentum für neun Zehntel ihrer Mitglieder aufgehoben.“ Damit ist die Existenzweise des bürgerlichen Eigentums dialektisch beschrieben. Es bedeutet die Existenz einer Klasse von Nicht-EigentümerInnen, dem Proletariat. Diese wurden historisch und werden täglich enteignet.
Enteignung I – Die Lohnarbeit 
Da Privateigentum an Produktionsmitteln die Eigentumslosigkeit des Proletariats bedeutet, stellt dieses eine Klasse dar, die  gezwungen ist, zu ihrem Lebensunterhalt ihre Arbeitskraft an das Kapital zu verkaufen. Heute sind in der Tat hierzulande 90 % der erwerbstätigen Bevölkerung lohnabhängig. Auch durch lebenslange Arbeit werden die meisten niemals wohlhabend. Marx schreibt im Kapital: „Die Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ist also zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit, Brutalisierung und moralischer Degradation auf dem Gegenpol, d. h. auf Seite der Klasse, die ihr eignes Produkt als Kapital produziert.“ Das Kapital enteignet dem Proletariat ständig seine Arbeitskraft und sein Leben. „Der Kommunismus“, schreibt Marx hingegen, „nimmt keinem die Macht, sich gesellschaftliche Produkte anzueignen, er nimmt nur die Macht, sich durch diese Aneignung fremde Arbeit zu unterjochen.“ (Kommunistisches Manifest)
Die aktuelle Eigentumsverteilung
Ohne Gebrauchsgüter, die Schulden abgezogen, existiert heute in der BRD laut Stern (9.2.09) ein Geld- und Sachvermögen von 8,9 Billionen Euro. Dies ist eine grobe Schätzung, da im Land der bürokratischen Erfassung und Durchleuchtung erstaunlicherweise weder der Staat sein tatsächliches Vermögen angeben kann, noch die Kirchen –  trotz 1 000 Jahren akribischer Buchführung. Und wer privat viel hat, wird wohl keinen Fragebogen von selbst ehrlich ausfüllen. Wer nicht Hartz-IV-EmpfängerIn ist, wird zur Offenlegung nicht gezwungen. Laut Bundeszentrale für politische Bildung belief sich 2007, vor der Krise, das Vermögen der ärmsten 27 % der Bevölkerung auf maximal 0 Euro – oder Schulden. Die reichsten 10 % hingegen besaßen über 60 % des Vermögens. Doch die bürgerliche Statistik verschleiert die Klassengegensätze noch, da sie selbst genutztes Wohneigentum ebenso mitzählt wie die kleinen Sparguthaben, die für die schon bald kaputte Waschmaschine oder die nächste Autoreperatur oder zur Aufbesserung der absehbar kleinen Rente zurückgelegt sind. Diese werden schließlich, wenn nicht von den Wechselfällen des Lebens, so von der permanenten Inflation aufgefressen. Dieses „Vermögen“ ist Ausdruck der Armut, nicht des Reichtums und es stellt schon gar kein Kapital im marxschen Sinne dar, nämlich sich selbst verwertenden Wert. Nur von Kapitalerträgen, vom „Couponschneiden“ leben heute weniger als 1 % der Bevölkerung.
Enteignung II – Historische Enteignung
Historisch stellt das bürgerliche Privateigentum selbst das Ergebnis von Enteignung dar. Im Kapital beschreibt Marx die Entstehung des Privateigentums am klassischen Beispiel Englands. Die alten Klassen wurden enteignet und „die Geschichte dieser ihrer Expropriation ist in die Annalen der Menschheit eingeschrieben mit Zügen von Blut und Feuer.“ Nach dem Ende der Leibeigenschaft im 14. Jh. bestand die Bevölkerung zum größten Teil aus frei wirtschaftenden, aber abgabenpflichtigen BäuerInnen, die ihre Produktionsmittel besaßen und relativ wohlhabend waren. Diese wurden von ihren Ländereien gewaltsam vertrieben, ihre Häuser niedergebrannt und das Ackerland zu Schafweiden gemacht, bedingt durch das Aufblühen der flandrischen Wollmanufaktur und der Nachfrage nach Wolle. Eine Bastion der freien BäuerInnen waren noch die katholischen Kirchen- und Klöstergüter. Doch auch sie wurden im Zuge der Reformation im 16. Jh. gewaltsam enteignet. Der „freie Lohnarbeiter“ war physisch geschaffen. Sodann wurden Massen Verelendeter durch Auspeitschen, Ankettung und Einsperrung in Arbeitshäuser zur Lohnarbeit diszipliniert. Doch mit blankem moralischem Entsetzen reagieren heute die Herrschenden selbst auf zaghafteste und humanste Enteignungsforderungen. Die Symptomatik einer Verdrängung?
Enteignung III – Kapitalkonzentration
Eine weitere Form der Enteignung ist die durch die kapitalistische Konkurrenz selbst bedingte permanente Enteignung der kleinen Kapitale durch die großen. Kleine Unternehmen gehen im Konkurrenzkampf unter. Große werden von noch größeren geschluckt. Die globale Konkurrenz zerstört Existenzen von KleinbäuerInnen in Afrika, enteignet sie also.
Enteignung IV – Staatliche Angriffe
Doch der Weg des Kapitals zur Verwertung geht nicht von allein vor sich, sondern bedarf der staatlichen Unterstützung. Durch die Bahnprivatisierung wird die Gesellschaft zu Gunsten von AnlegerInnen enteignet – eine bewusste politische Entscheidung. Die Angriffe auf die sozialen Errungenschaften stellen ebenso eine Enteignung der Masse dar. Die Zurverfügungstellung von etlichen Billionen weltweit für die ächzende Finanzwirtschaft stellt eine gigantische Enteignung der Bevölkerung dar. Die permanente Inflation, die durch die Erhöhung der Geldmenge noch angeheizt wird, ist schleichende Enteignung.
Privateigentum heute
Die absolute Eigentumslosigkeit lässt heute unzählige Menschen verhungern. Wo wenige über die Produktionsmittel verfügen, bestimmen eben wenige darüber, ob Atom- und Kohlekraftwerke gebaut
werden. Wenige bestimmen darüber, ob Tausende entlassen werden. Wenige bestimmen über das Leben von Millionen. Die krisenhafte Entwicklung des Gesamtkapitals wird all das noch verschärfen. Heute erweist sich die Klasse der Besitzenden als absolut und im Weltmaßstab unfähig, ihr Eigentum nicht zum Schaden der Menschheit einzusetzen. Wir brauchen deswegen gemeinschaftliche Kontrolle über die Produktionsmittel und egalitäre Entscheidungsfindung über deren Einsatz. An die Stelle des jetzigen Staates, der nur die Herrschaft der Minderheit garantiert, müssen ArbeiterInnenräte als Organe der kollektiven Selbstverwaltung treten. Da das Proletariat bereits jetzt kein Privateigentum hat, ist es das einzige gesellschaftliche Subjekt, das diese Aufgaben verwirklichen kann. Die revolutionären Enteignungen sind gleichzeitig Aneignungen durch die Mehrheit. Im Bürgerkrieg in Frankreich schreibt Marx: „die Kommune (von Paris, 1871) wollte jenes Klasseneigentum abschaffen, das die Arbeit der vielen in den Reichtum der wenigen verwandelt. Sie beabsichtigte die Enteignung der Enteigner. Sie wollte das individuelle Eigentum zu einer Wahrheit machen, indem sie die Produktionsmittel, den Erdboden und das Kapital, jetzt vor allem die Mittel zur Knechtung und Ausbeutung der Arbeit, in bloße Werkzeuge der freien und assoziierten Arbeit verwandelt. Aber dies ist der Kommunismus, der ,unmögliche‘ Kommunismus!“

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