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Innenpolitik

Ein Krieg, den die Bundeswehr verlieren wird

Von B. B. | 01.02.2010

In der letzten Avanti wurde versucht, die Widersprüche zwischen der Strategie der USA und der der BRD in Afghanistan und ihre Auswirkungen zu analysieren. Dieser Beitrag setzt sich mit den inneren Widersprüchen und militärischen Traditionen der Bundeswehr und ihren Folgen für den Afghanistankrieg auseinander.

In der letzten Avanti wurde versucht, die Widersprüche zwischen der Strategie der USA und der der BRD in Afghanistan und ihre Auswirkungen zu analysieren. Dieser Beitrag setzt sich mit den inneren Widersprüchen und militärischen Traditionen der Bundeswehr und ihren Folgen für den Afghanistankrieg auseinander.

In ihrer Tradition beruft sich die Bundeswehr auf die preußischen Heeresreformen unter von Scharnhorst im Kampf gegen Napoleon und auf den Widerstand der Militärs um Graf von Stauffenberg gegen Hitler. Anders ausgedrückt hat die Bundeswehr ihre tatsächlichen Vorläufer in Hitlers Wehrmacht (bis 1944 mit von Stauffenberg), in der Weimarer Reichswehr, der kaiserlich wilhelminischen Armee und im preußischen Soldatentum. Diese Traditionslinien drücken sich noch heute z. B. in dem in der Bundeswehr gepflegten Kult um den hohen Standard der militärischen Ausbildung, um die Qualität deutscher Waffensysteme und in dem Mythos von der eigenen strategischen Überlegenheit aus.
Kult der Waffen
Im Kult um die Qualität „deutscher Waffen“ sind die Namen austauschbar. In den 80er/90er Jahren war bei Waffennarren, an Stammtischen und im Offizierskorps des Heeres der deutsche „Leopard“ der „beste Panzer der Welt“, so wie der „Tiger“ der „beste Panzer im 2. Weltkrieg“ war. In Marinekreisen bauen deutsche Werften wieder die „besten U-Boote“ und die „besten Fregatten“, die in der Tradition der U-Bootwaffe zweier Weltkriege und in der vermeintlich „unsinkbarer“ Schlachtschiffe stehen.

Der Kult um solche Waffen hat seine materielle Basis in der hoch organisierten, industriellen Produktion, die heute die BRD zum Exportweltmeister macht und früher im „made in Germany“ des Kaiserreiches zum Ausdruck kam. Mit diesem Waffenkult, dem der Kult um den hohen Standard militärischer Ausbildung entspricht, wird ein Überlegenheitsgefühl transportiert, mit dem die Bundeswehr, ihre Offiziere und SoldatInnen in ihre Auslandseinsätze z. B. in den ISAF-Einsatz ziehen. Diesem Überlegenheitsgefühl entspricht in Afghanistan das verächtliche Herabsehen auf einen angeblich schlecht gerüsteten, kaum ausgebildeten, weil analphabetischen Feind, der allerdings – im Gegensatz zur Bundeswehr – seit Jahrzehnten über militärische Kampferfahrungen gegen wechselnde Gegner verfügt.
Der Mythos überlegener Strategie
Noch heute lässt sich bei der Bundeswehr der Bezug zu den „Blitzkriegen“ der „Panzerwaffe“ finden. Die ganze deutsche Militärgeschichte handelt von „siegreichen Schlachten“, „großen Generälen“ und „überragenden Strategen“. Letztere machten nicht nur auf dem Rücken von 2 Millionen toten jungen Männern im Ersten und von 3,2 Millionen im Zweiten Weltkrieg Karriere. Sie stellten sich auch als kleine, bornierte Militärs heraus, deren taktische Siege in großen strategischen Niederlagen endeten. Das konnte dem Mythos von der überlegenen militärischen Strategie allerdings wenig anhaben. Auch er nährt in der Bundeswehr das Überlegenheitsgefühl im Offizierskorps wie bei einfachen SoldatInnen.
Das Gefecht bei Kundus
Gut drei Wochen nachdem die Avanti den Angriffsbefehl des Obersten Klein auf die Tanklaster und das Massaker an den ZivilistInnen in Zusammenhang mit dem verlorenen Gefecht der Bundeswehr bei Kundus stellte, wies auch die Süddeutsche Zeitung auf die Bedeutung des Kampfes hin. Demnach war ein großer Bundeswehrkonvoi 60 Kilometer nördlich von Kundus, für die dortigen Straßenverhältnisse weit ab von der Ausgangsbasis, unter Beschuss von Aufständischen geraten. Insgesamt acht Fahrzeuge der Bundeswehr gingen verloren, vier Soldaten wurden verwundet. Der Druck der Aufständischen war so stark, dass möglicherweise ein zweiter Konvoi die bedrohte Einheit „abholen“, d. h. aus der bedrohten Lage herausschlagen oder auffangen musste.
Dass die Bundeswehr ein Gefecht verliert, muss nicht gerade für Aufsehen sorgen, zumal auch sowjetische, US-amerikanische und französische Einheiten in Afghanistan schon ins Hintertreffen geraten sind. Die Offiziere und SoldatInnen der Bundeswehr aber, die dort mit einem derartigen Überlegenheitsgefühl operieren, trifft die Niederlage gegen die Aufständischen doppelt und dreifach hart. Auch deshalb wird sie bis heute offiziell verschwiegen und damit geleugnet.
Vernichtung des Gegners
Und hier greift dann eine weitere militärische Traditionslinie, die direkt auf die „Vernichtung“ des Gegners abzielt. Der Völkermord an den Hereros 1904 in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika, der auf einem Vernichtungsbefehl des dortigen Oberkommandierenden General von Trotha beruhte; der Einsatz von Giftgasen im Ersten Weltkrieg durch die wilhelminische Armee und Flieger; der Völkermord an den ArmenierInnen 1915-17 durch die türkische Armee, die von deutschen Generälen befehligt wurde; das Verhungernlassen von Millionen gefangener Rotarmisten in deutschen Lagern während des Zweiten Weltkrieges; die Kriegsverbrechen der deutschen Wehrmacht in der Sowjetunion, in Frankreich, Italien, Jugoslawien oder Griechenland – die Kette der „Vernichtung“ hat eine blutige Spur gezogen, die weit über die tödliche Tradition anderer Armeen hinausgeht. Vor dem Hintergrund dieser Militärtradition ist der Befehl des Obersten Klein zur „Vernichtung“ der Taliban und ZivilistInnen bei Kundus zu bewerten.
Keine „Entkolonialisierung“
Die Auslandseinsätze der Bundeswehr leiden aber auch unter einem Mangel an Tradition. Zwar ging es beim Ersten und Zweiten Weltkrieg um die Aufteilung der Welt, d. h. um Kolonien, aber die Erfahrungen der deutschen Armee beschränkten sich weitgehend auf Europa. Die eigenen Kolonien verlor Deutschland bereits 1918. Den Prozess der Kolonialrevolution und der Entkolonialisierung, der in Wirklichkeit auf die Verwandlung der Kolonien in formal selbstständige Halbkolonien hinauslief, schnitten das deutsche Militär vom Sammeln militärischer „Erfahrungen“ im überseeischen Ausland seit 90 Jahren fast völlig ab.

Heute soll diese europäische Regionaltruppe „Frieden“ und „Demokratie“ nach Afghanistan bringen und dort den zivilen Aufbau (Stichwort Brunnenbau) vorantreiben. Wie viele der 4 270 deutschen ISAF-SoldatInnen in Afghanistan und Usbekistan sprechen Paschtu, Persisch, Turkmenisch oder Usbekisch? Drei, vier oder fünf? Es handelt sich um eine typische Besatzungsarmee, die völlig abgetrennt von der einheimischen Bevölkerung ihr Dasein in abgeschirmten Kasernen fristet und deren SoldatInnen sich nicht einmal mit denjenigen Bevölkerungskreisen unterhalten können, die die Regierung Karsai unterstützen.
Mission impossible
Die Bundeswehr ist die Armee eines imperialistischen bürgerlichen Staates, die in einem unterentwickelt gehaltenen Land mit einer spezifischen Klassenstruktur eingesetzt wird. Wer abgeschirmt von den Menschen in Afghanistan Krieg führt, bildet sich vielleicht ein, ihn für demokratische Überzeugungen zu führen, führt ihn tatsächlich aber für Kriegsfürsten und Drogenbarone, die den zweitkorruptesten Staat der Welt beherrschen.

All diese Widersprüche zerfressen die Bundeswehr. Nicht von ungefähr wurden 2009 vom deutschen ISAF-Kontingent 418 SoldatInnen psychisch betreut, weil sie traumatisiert waren. Das sind rund 10 Prozent der eingesetzten Truppen.
Auf der anderen Seite kann kaum bestritten werden, dass die verschiedenen Widerstandsgruppen für ihr Recht auf Selbstbestimmung, für ihr Land, für ihre sozialen Interessen, für ihre Ideen einschließlich ihre religiösen Überzeugungen kämpfen – auch wenn es sich u. a. um Taliban handelt, deren Politik völlig abzulehnen ist. Gerade die Einheiten der Aufständischen, die der Bundeswehr bei Kundus gegenüberstehen, werden von Mullahs, also Geistlichen angeführt, die sicherlich in einem Teil der Bevölkerung mehr Ansehen genießen, als alle ausländischen Besatzungstruppen zusammen. Einen solchen Krieg wird die Bundeswehr verlieren.

 

Öffentlichkeit wieder getäuscht
Aus politischen Gründen wird für die Verstärkung der Bundeswehr in Afghanistan eine Zahl unter Tausend genannt: 850 SoldatInnen.  Tatsächlich sagt die Bundesregierung auf der Afghanistankonferenz 1 150 SoldatInnen zu, darunter 300 für die AWACS-Aufklärung. Offiziell wird mehr auf die „Ausbildung“  afghanischer Truppen / Polizei und weniger auf eigene Kampfeinsätze Wert gelegt. Tatsächlich gehen die deutschen Ausbilder mit in die gemeinsamen Kampfeinsätze hinein und so verschwindet die bisherige Trennung zwischen Ausbildung im Basislager und dem Kampfeinsatz außerhalb. Nötig sind Aktionen für den sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan!

B.B.

 

 

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