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DIE LINKE

Diskussionsbeitrag Angela Klein

Von Angela Klein | 09.05.2004

 

 

0. Wenn im folgenden von der Wahlalternative die Rede ist, dann meine ich damit nicht allein die Initiative, für die u.a. Ralf Krämer verantwortlich zeichnet, sondern auch die anderen Initiativen, die eine eigene Entstehungsgeschichte haben, sich aber aller Voraussicht nach in einen gemeinsamen Prozess einbringen werden (ASG, örtliche und regionale Wahlbündnisse etc.). Nächste Termine dafür sind der 13.6. für NRW und der 20.6. in Berlin für die Bundesebene.

1. Zur Charakterisierung des Prozesses

* Initiatoren und bisherige Organisatoren des Prozesses sind in der Hauptsache Aktive aus den mittleren und unteren Funktionärsschichten von verdi und der IGM. Gemäss der unterschiedlichen Organisationskultur der beiden Gewerkschaften ist der von verdi angestoßene Prozess offener, d.h. umfasst von vornherein Intellektuelle und Vertreter anderer Bewegung, und orientiert auch weiter auf eine kontrollierte Öffnung. Das ist bei der ASG viel weniger der Fall. Um die Frage der Öffnung und Kontrolle gibt es zwischen diesen beiden Hauptkomponenten keine Einigkeit. Bei diesen beiden Kernen wird es nicht bleiben: hinzu kommen die zahlreichen örtlichen und regionalen Wahlbündnisse, die sich anlässlich von Kommunalwahlen oder Landtagswahlen in diesem Jahr schon aufgestellt haben oder noch aufstellen werden. Hier vor allem kommen auch Organisationen der extremen Linken ins Spiel. Was in NRW läuft, wird eine starke Bedeutung haben.

* Im Mittelpunkt der inhaltlichen Aussage steht bei beiden Hauptkräften die soziale Frage: die Absage an den neoliberalen Kurs der SPD-Grüne-geführten Regierung. Beides zusammengenommen: der Ursprung in der Gewerkschaftsbewegung und der Fokus auf die soziale Frage als Ausgangspunkt für eine neue Parteibildung ist ein Novum in der Parteiengeschichte der BRD nach dem Krieg. Unabhängig vom Willen der Initiatoren verbindet sich hier objektiv ein neuer Parteibildungsprozess eng mit der sozialen Entwicklung und den gewerkschaftlichen Antworten darauf. Das allein rechtfertigt, dass eine sozialistische Kraft, die sich mit ihrem kleinen Organisationszusammenhang nicht zufrieden gibt, sondern die Herausbildung einer neuen sozialistischen Massenpartei im Auge hat, diesen Prozess als eine Chance begreift, etwas Neues zu entwickeln. [Dieser Parteibildungsprozess unterscheidet sich von dem der Grünen (die die soziale Frage ignorierten) und der PDS (die versuchte, als abgewickelte Staatspartei im Westen Fuß zu fassen)].

* Die Anziehungskraft auf die in der EAL versammelten Kräfte ist sehr groß: der Geraer Dialog arbeitet im Westen daraufhin, die PDS zu verlassen und dem neuen Prozess beizutreten – teilweise mit wehenden Fahnen; das wird derzeit nur dadurch gebremst, dass die Europawahlen vor der Tür stehen und man schamhafte Zurückhaltung übt. Es gibt aber in diesem Kreis Mitglieder, die schon nicht mehr bereit sind, die PDS bei der EP-Wahl zu wählen.

Linksruck hat sich völlig kritiklos und in opportunistischer Übertreibung der positiven Aspekte in den Prozess hineingestürzt. Selbst die SAV bleibt nicht davon verschont, obwohl sie sicher die erste sein wird, die in abstrakter und doktrinärer Weise auf dem “sozialistischen Programm” besteht. Von der DKP weiß ich nichts, aber es würde mich wundern, wenn sie außen vor bliebe, zumal ihre Chancen, noch in den Klub der ELP aufgenommen zu werden, höchst gering sind. Von Regenbogen in Hamburg hört man ebenfalls positive Reaktionen.

Zugleich fällt auf, dass bei den Menschen, mit denen wir bisher zusammenarbeiten konnten, eine große Angst da ist, dass hier wieder einmal mit großem Elan etwas anfängt, das “anders als die anderen” sein will und hernach doch wieder im selben Sumpf der Anpassung landet. Dies ist eine völlig berechtigte Sorge, und es ist eine programmatische und praktische Herausforderung auch an uns, hier einen Weg zu weisen, wie es anders laufen kann.

* Schließlich muss man bei der Charakterisierung des Prozesses unterscheiden, was die Initiatoren wollen und was aus dem Prozess werden wird. Anders gesagt: Unter den gegebenen Bedingungen ist der Prozess nicht in der Weise zu kontrollieren, wie die Urheber das gerne möchten.

Im Tempel der institutionalisierten Macht – und dazu gehören die im Bundestag vertretenen Parteien durch ihren Zugang zu Informationen und Geldquellen – herrschen andere Regeln als in der chaotischen, zersplitterten, unorganisierten, ungeregelten Welt außerhalb, die den Tempel belagert. Das bedeutet, dass unsere Gewerkschaftsfunktionäre sich auf eine andere politische Kultur einstellen müssen – das fällt verdi leichter als der IGM. In der Außenwelt erlebt man einen anderen Druck: nicht den der Lobbyisten, der Gremien, der Organisationsloyalität, des finanziell Machbaren – sondern den von Bewegungen, von ungeregelten Debatten, in denen jeder Beitrag gleiches Gewicht hat, weil zunächst einmal grundsätzlich alle mehr oder weniger gleich viel oder gleich wenig an den Füssen haben. Der organisatorische Unterbau ist viel schwächer, damit entfällt ein wichtiges Mittel, dass eine Wahlinitiative ein politisches Eigenleben entfalten kann, das von der Bewegung unabhängig ist. (Diese Situation gilt zumindest solange die Wahlalternative nicht zu einer etablierten Partei im Bundestag geworden ist, wo sie dann wieder das Parteienprivileg genießen würde…)

In einer solchen Situation sind inhaltliche und personelle Positionen noch nicht festgefahren, da gibt es wichtige Einflussmöglichkeiten, die es zu nutzen gilt. Die Initiatoren stecken in der Zwickmühle, dass sie einerseits die Zugänge zum neuen Projekt eng steuern wollen, auf der anderen Seite aber darauf angewiesen sind, dass ihr Projekt so etwas wie eine begeisterte Aufnahme findet, was nur geht, wenn sie die Menschen beteiligt, die beteiligt sein wollen. Der Weg zur Masse führt über die Aktiven; werden sie verprellt, dann zündet der Funke nicht und der Tiger landet als Bettvorleger. Auf der anderen Seite gibt es auf der Linken nicht so viele Aktive, dass man die radikale Linke einfach außen vor lassen könnte.

Spätestens auf dem Kongress in Berlin am 20.6. muss die Initiative ihre Tore aufmachen und breit einladen.

2. Neuformierung der sozialistischen Linken

Die Hauptaussage, die man allen entgegenhalten muss, die sich für den Prozess der Wahlalternative interessieren, lautet: Wenn es nur darum geht, die alte SPD wieder aufzubauen, ist der Prozess die Mühe nicht wert. Er würde zudem scheitern, denn Aufstieg und Werdegang der Sozialdemokratie ist eng gekoppelt mit Aufstieg und Werdegang der industriellen, fabrikmäßig konzentrierten Arbeiterbewegung, die eine besondere Arbeitsteilung zwischen Gewerkschaften und Partei herausgebildet und die bürgerlich-parlamentarische Demokratie als den Rahmen ihres politischen Agierens akzeptiert hat.

Nun ist mit 1989 aber nicht nur der Zyklus zu Ende gegangen, den die Oktoberrevolution eröffnet hat. Es geht mit dem Siegeszug des Neoliberalismus und der Aufhebung aller in den letzten 130 Jahren aufgebauten Regulierungsmechanismen auch der Zyklus der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung zu Ende. Die Herausbildung einer neuen politischen linken Alternative geht einher mit einem tiefgreifenden Strukturwandel der Arbeiterklasse, der neue Formen der Solidargemeinschaft, neue Formen der gewerkschaftlichen Organisierung und neue Formen der politischen Einflussnahme – mithin ein neues Verhältnis zwischen Partei und Bewegung – erfordert. Man kommt nicht umhin, die Diskussion vor diesem radikal veränderten Hintergrund zu führen, sonst springt man zu kurz. Es geht also bei der Parteidiskussion nicht nur um ein paar taktische Korrekturen, inhaltlich etwas andere Akzente oder auch bessere Anpassung an eine von den Medien beherrschte, von Parteien eher abgestoßene Öffentlichkeit. Es geht um einen neuen strategischen Ansatz.

Dies muss jetzt laut gesagt und als Anspruch an die Wahlalternative gestellt werden; das verlangt auch, dass man in dem Masse, wie man damit Gehör findet, versucht, in einer Vielzahl von Seminaren und Diskussionen aller Art Eckpfeiler eines solchen neuen Ansatzes zu entwickeln.

3. Worin muss sich die Wahlalternative unterscheiden von traditionellen Ansätzen?

* Das Wort von der Partei neuen Typs macht bereits die Runde. Die SED ist damit nicht gemeint, sondern etwas, was noch zu entwickeln ist. Das bietet Spielraum.

Als die Grünen von sich noch sagten, sie seien die Antiparteien-Partei, definierten sie das so: a. kein Bürokratismus durch Ämter und Mandate – Rotationsprinzip; Trennung von Amt und Mandat; dazu würde auch die Obergrenze für Einkünfte aus Amt und Mandat gehören – ich weiß nicht mehr, ob die Grünen sowas hatten; b. wir sind der Kontrapunkt in der etablierten Welt; wir sind das parlamentarische Spielbein, die Bewegung ist das Standbein.

Letzteres schien damals etwas Neues, weil die SPD so gegenüber den Gewerkschaften schon nicht mehr agierte, und Arbeitskämpfe wie der ötv-Streik 1974 in Konfrontation zur SPD-Regierung gerieten, aber natürlich die SPD-Regierung deswegen nicht in Frage stellten und auch nicht die SPD als der “natürliche” Bündnispartner der Arbeiterbewegung.

Aber es war doch nur die Wiederholung der alten sozialdemokratischen Arbeitsteilung zwischen Partei und Bewegung: die Gewerkschaften führen die Tarifkämpfe, die SPD “vertritt” sie in den Parlamenten und Regierungen. Jeder grast auf seiner eigenen Weide und kommt dem anderen nicht ins Gehege. Irgendwo im sozialdemokratischen Himmel fließen ihre Anstrengungen dann zusammen.

Diese Arbeitsteilung hat dazu geführt, dass die Gewerkschaften akzeptiert haben, den Arbeitskampf nicht als Mittel im politischen Kampf einzusetzen, und natürlich auch den politischen Rahmen akzeptiert haben, der ihnen vorgesetzt wurde. Das Wiederaufleben der Diskussion um den politischen Streik zeigt, dass Gewerkschaften, die wirklich etwas durchsetzen wollen, diese Beschränkungen nicht länger hinnehmen können.

Das ist nur die eine Seite des Verhältnisses. Auf der anderen Seite hat gerade die 68er Generation mehrfach erlebt, dass diese Arbeitsteilung das Aufgehen des Spielbeins in den bürgerlich-parlamentarischen Institutionen und die Verwandlung der Partei im Zuge ihrer Integration in die etablierte Politikwelt nicht verhindern konnte. Die Bewegung stand machtlos davor, dass ihr das Spielbein verloren ging, ihr sogar noch als Fußtritt hinterhergeschleudert wurde, und sie selbst kostbare Kräfte und Energien verloren hatte. Der Aderlass ist zu groß, als dass er innerhalb einer Generation dreimal wiederholt werden möchte.

* Wie können wir vermeiden, dass eine solche Entwicklung erneut eintritt (und damit, nebenbei gesagt, all diejenigen bestätigt werden, die Parteien ablehnen und sich den Ansatz: “die Gesellschaft verändern, ohne die Macht zu ergreifen” zum Prinzip gemacht haben)? Wir brauchen eine Partei neuen Typs, das steht außer Frage. Neuen Typs ist sie aber nur, wenn sie die geschilderte Arbeitsteilung ablehnt. Wenn sie aktiv dafür eintritt, dass die Scheidelinie zwischen Bewegungen und Institutionen aufgehoben wird. Wenn sie dafür kämpft, dass Bewegungen – besser: die Bevölkerung – direkten Zugang zu politischen Entscheidungen bekommen, und umgekehrt die Partei ihre Mittel dafür hergibt, dass sich sozialer Widerstand und Formen gesellschaftliche Solidarität aufbauen können. (Das Beispiel von Porto Alegre muss hier eingebracht und gegen alle Versuche der Vereinnahmung verteidigt werden.) Eine solche Partei ist die lebendige Negation des bürgerlichen Parlamentarismus. Sie ist der Klassenkampf, der in die Institutionen getragen wird. Sie würde von der etablierten Welt mit Gülle überschüttet, aber gerade das könnte ihr enormes Prestige einbringen. Und sie könnte wieder Vertrauen in die Möglichkeiten politischen Handelns und des Sinns von politischem Engagement schaffen.

Für diese Partei nenn Typs sollten wir in dem Prozess der Wahlalternative werben.

4. Einige der Initiatoren weisen das Ansinnen Parteibildung weit von sich (s. Bischoff), um der Frage aus dem Weg zu gehen, was sich denn ändern muss. Aber das ist Augenwischerei: Jeder, der in den Bundestag will, muss eine Wahlpartei bilden. Und sollte es Abgeordnete geben, werden sie Entscheidungen fällen und sich an Abstimmungen beteiligen. Machen sie diese nur mit ihrem Gewissen aus? Oder mit einem Geheimzirkel von Getreuen? Und wer kontrolliert, wo
zu sie die Gelder verwenden? Warum soll man sie wählen, wenn ihre WählerInnen keine Möglichkeiten der Einflussnahme auf ihre Handlungen haben?

Wird das neue Gebilde, sollte es erfolgreich sein, erneut davon aufgefressen werden, dass ihre besten Kader wieder in die Parlamente abwandern, statt sich auf exemplarische Projekte zu konzentrieren und die sozialen Bewegungen in jeder Form an den Diskussions- und Entscheidungsprozessen zu beteiligen?

Die isl sollte leicht verständlich und kurz ein paar grundlegende Anforderungen an die neue Parteibildung formulieren und am 20.6. auf dem Kongress einbringen:

– Öffentlichkeit und Transparenz nach innen und außen; Verpflichtung der Abgeordneten, vor den Parteimitgliedern und vor Strukturen sozialer Bewegungen regelmäßig Rechenschaft über ihr Tun abzulegen;

– Pluralismus, was das unbedingte Recht zur Plattform- und Strömungsbildung einschließt; Vertretung der Strömungen in allen wichtigen Gremien; gleiche Rechte für alle Mitglieder, das betrifft auch die Zuweisung finanzieller Mittel; die Finanzen gehören den Mitgliedern und müssen von ihnen verwaltet werden;

– Beteiligung der Bewegungen an der Arbeit der neuen Partei: Einbeziehung ihres Sachverstands bei der Formulierung von Positionen; Schaffung von parteinahen Strukturen, die auf Konferenzen mit eigenen Wortbeiträgen und gesondertem symbolischem Stimmrecht vertreten sind; Recht auf Mitsprache bei Personalentscheidungen, vor allem bei der Kandidatenaufstellung; Verpflichtung der Partei, ihre Listen mit Vertretern sozialer Bewegungen zu teilen; Verankerung solcher Rechte in die Satzung;

– Erarbeitung von Projekten, wie die Bevölkerung eines Stadtteils, einer Gemeinde etc. an politischen Entscheidungen unmittelbar beteiligt werden kann;

– Verpflichtung der Partei auf finanzielle und personelle Unterstützung von Solidarprojekten und Widerstandsbewegungen; öffentliche Debatte und Beschlussfassung darüber.

An solcher Ansatz hebelt nebenbei auch den keynesianischen Ansatz insoweit aus, als dieser staatsfixiert ist und von der (teilweisen) Kontrolle des bürgerlichen Staatsapparats lebt. Die Kritik am keynesianischen Ansatz und an der allzu zaghaften wirtschaftspolitischen Alternative ist ein Kapitel für sich, das nicht minder bedeutend ist. Aber die Frage nach dem Parteityp, der jetzt auf den Weg gebracht wird, scheint mir im Moment vordringlich.

Angela Klein

Köln, den 9.5.2004

 

 

 

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