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Betrieb & Gewerkschaft

Diskussion über politische Streiks vorantreiben!

Von Jakob Schäfer | 01.02.2010

Seit etwa zwei Jahren gibt es in gewerkschaftlichen Kreisen eine verstärkte Diskussion über die Berechtigung und die Machbarkeit des politischen Streiks auch in der Bundesrepublik.

Seit etwa zwei Jahren gibt es in gewerkschaftlichen Kreisen eine verstärkte Diskussion über die Berechtigung und die Machbarkeit des politischen Streiks auch in der Bundesrepublik.

Der objektive Hintergrund für die an vielen Stellen aufflammenden Diskussionen ist ganz zweifellos die allgemein verspürte Ohnmacht gegenüber den Auswirkungen der Agenda 2010. Wie auf dem Gewerkschaftstag der IG BAU wollen auch andere Gliederungen die Durchsetzung der Forderung nach einem umfassenden politischen Streikrecht als grundsätzliches Ziel gewerkschaftlicher Politik festlegen.

Die Rechtmäßigkeit wird begründet mit der Europäischen Menschenrechts- und Sozialcharta (ESC)  und den Bestimmungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Für den Gewerkschaftstag der IG BAU (November 2009) begründeten die Delegierten des Bezirks Wiesbaden-Limburg und des Bezirksverbandes Südbaden ihren Antrag mit der „Unzufriedenheit in der Gesellschaft“ und „weil wir ansonsten nicht mehr weiterkommen oder sogar zurückfallen in eine Zeit vor 140 Jahren”. „Unsere Mitglieder erwarten von uns, dass wir politisch etwas tun”, erklärte der Wiesbadener Bezirksvorsitzende Michel.
Gegen den Vorstand
Gegen der erbitterten Widerstand des Vorstands der IG BAU (die Antragsberatungskommission unter dem Vorsitzenden Wiesehügel (SPD) empfahl Ablehnung!) wurde von den Delegierten die Satzungsänderung vorgenommen, nach der der politische Streik ein Kampfmittel zur Durchsetzung gewerkschaftlicher und sozialpolitischer Ziele sein kann: „Die IG BAU setzt sich für ein umfassendes Streikrecht gemäß dem Artikel 6 Abs. 4 der Europäischen Menschenrechts- und Sozialcharta, den Übereinkommen 87 (Vereinigungsfreiheit) und 98 (Versammlungsfreiheit) der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ein”. In der Antragsbegründung heißt es: „Der politische Demonstrationsstreik sowie unter bestimmten Umständen und Voraussetzungen der politische Streik, ggf. sogar der politische Erzwingungsstreik in Form eines Generalstreiks, ist von der Verfassung geschützt”.

Wie Delegierte berichten, hat der Gewerkschaftsvorsitzende Wiesehügel wie ein Rohrspatz gegen diesen Antrag gewettert, und als dieser dennoch durchkam, stellte Wiesehügel sich (scheinbar) an die Spitze und erklärte dies zum Kampfinventar der Gewerkschaft, so als ob er schon immer dafür gewesen sei. Dass er seine Meinung natürlich nicht geändert hat, hat er schon kurz danach in einem Interview dargelegt (siehe Kasten).

Da der Beschluss des Gewerkschaftstages gegen den erklärten Willen des Vorstandes durchgesetzt wurde, müssen die Gewerkschaftsmitglieder den Druck aufrecht erhalten. Vor allem aber sollte eines völlig klar sein: Satzungsänderungen und bestimmte politische Erklärungen oder Entschließungen sind hilfreich, um die allgemeine Stimmung für politische Streiks zu fördern und Vorbehalte abzubauen. Entscheidend für die Durchsetzung sind aber weder entsprechende Anträge im Bundestag noch das Programm oder die Satzung der einen oder der anderen Gewerkschaft. Auf die faktische Durchsetzung dieser Streiks durch eine breite Bewegung kommt es an. Nehmen wir nur zwei willkürliche Beispiele aus der Geschichte der BRD: 1996 wollte die Kohl-Regierung durchsetzen, dass – auch unabhängig von einschlägigen Tarifverträgen – die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für die ersten 3 Tage entfällt. Es sollten also Karenztage eingeführt werden. Hier genügten im Grunde wenige Stunden Streiks (die Bewegung lief über 3 Tage) von Beschäftigten der Autoindustrie, vor allem „beim Daimler“, und Kohl erklärte, dass das alles ja nicht so gemeint war.

1972 sollte mit Hilfe von gekauften FDP-Abgeordneten die Brandt-Regierung mit einem konstruktiven Misstrauensvotum gestürzt werden. In vielen Städten der Republik verließen ArbeiterInnen die Betriebe und gingen zu Kundgebungen und Demonstrationen. Die Parlamentarier bekamen Angst und Brandt wurde nicht abgewählt. Letztlich waren auch die „wilden Streiks“ von 1969 vornehmlich politische Streiks.

 

Parlamentarismus statt Generalstreik
Rheinischer Merkur: Aber neuerdings steht in der Satzung der IG Bau, dass sie sich für das Recht auf politische Streiks einsetzt …
Wiesehügel: Das war der Wunsch der Mehrheit auf dem letzten Gewerkschaftskongress. Ich war dagegen. Man spricht immer vom Generalstreik, den Gewerkschaften führen sollen, um dies oder jenes zu erreichen. Da bin ich anderer Meinung. Die Mehrheit der Wähler sind Arbeitnehmer. Und die Mehrheit der Arbeitnehmer hat entschieden, die Regierung gerade so zusammenzusetzen, wie sie jetzt ist. Das Votum des Wählers nicht zu akzeptieren, würde mich zu einem schlechten Demokraten machen“

(Rheinischer Merkur, 29.10.2009).

 

Materialsammlung
Der Erfolg auf dem Gewerkschaftstag der IG BAU vom letzten November sollte Schule machen. Wer sich in seinen/ihren gewerkschaftlichen Gremien entsprechend vorbereiten will, der sei auf folgende Materialsammlung verwiesen, die mit Auszügen aus internationalen Verträgen und Ähnlichem deutlich macht, dass die Gegner des politischen Streiks wenig Argumente haben:
Veit Wilhelmy: Der Politische Streik. Materialien zu einem Tabu“, Fachhochschulverlag, 2008, 147 Seiten, (16 €); auch online zu bestellen über: http://www.veit-wilhelmy.de.
Veit Wilhelmy ist Sekretär der IG BAU und war 30 Jahre lang Mitglied der SPD. Er ist im letzten Jahr dort ausgetreten, weil er mit seinem entschiedenen Widerstand gegen Hartz IV und die 1-€-Jobs in seiner Partei auf keinen Widerhall stieß.

 

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