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Betrieb & Gewerkschaft

Die Zeit ist reif – für andere Streikmethoden!

Von Blanca Novae-Res | 01.07.2003

Ende Mai begannen die IG Metall-Streiks für die 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland. Seit über zehn Jahren müssen die ArbeiterInnen dort für weniger Geld arbeiten. Viele Konzerne machen mit diesem Lohngefälle seit Jahren ein gutes Geschäft.

Ende Mai begannen die IG Metall-Streiks für die 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland. Seit über zehn Jahren müssen die ArbeiterInnen dort für weniger Geld arbeiten. Viele Konzerne machen mit diesem Lohngefälle seit Jahren ein gutes Geschäft.

Die UnternehmerInnen versuchen darüber hinaus KollegInnen aus Ost und West gegeneinander auszuspielen – Niedriglöhne üben eben Druck auf höhere Löhne aus. Das ist ein altes Spiel und wird weltweit praktiziert. In jedem Land, in jedem Betrieb wird den ArbeiterInnen mit Niedriglohn durch andere ArbeiterInnen gedroht, um sie zu Zugeständnissen zu zwingen. Das ist eine Abwärtsspirale ohne Ende, wenn die ArbeiterInnen sich nicht bewusst gegen diesen Druck wehren.

Während Millionen von ArbeiterInnen allein in Deutschland Überstunden machen müssen, sind bald 5 Millionen arbeitslos – die meisten davon in Ostdeutschland. Nur wenn die Arbeitszeit gleichmäßig aufgeteilt wird, kann für alle Arbeit geschaffen werden. Daher kann die 35-Stunden-Woche nur ein Anfang sein auf dem Wege noch radikalerer Arbeitszeitverkürzung.
In Ostdeutschland grassiert die Arbeitslosigkeit
Die IG Metallführung versteht sich nicht aufs Kämpfen gegen die UnternehmerInnen. Ihre Streikpolitik ist katastrophal: Die FunktionärInnen sind es gewöhnt, die ArbeiterInnen für Aktionen wie Lichtschalter an und aus zu schalten – wie sie es gerade brauchen. Was die ArbeiterInnen wirklich wollen, welche Probleme und Ängste sie haben, interessiert die ostdeutschen FunktionärInnen besonders wenig. Sie sind für ihre Arroganz bekannt. Doch diesmal wird deutlich, dass sie eben nicht mit Marionetten hantieren, sondern mit Menschen.

Viele KollegInnen haben Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Die Metallunternehmen, die PolitikerInnen und die Medien schüchtern die gesamte Bevölkerung ein, indem sie mit Arbeitsplatzabbau, Verlagerungen in die osteuropäischen Staaten und Verzicht auf Investitionen drohen. Diese angstschürende Propaganda wurde in den letzten Wochen immer stärker, so dass besonders in Unternehmen, in denen vor kurzem Arbeitsplätze abgebaut wurden – wie EKO Stahl in Eisenhüttenstadt oder Bombardier Hennigsdorf (bei Berlin) – die Stimmung schlecht ist. In den Orten bläst den Gewerkschaftern oftmals auch aus der normalen Bevölkerung eisiger Wind entgegen. Viele sind gegen den Streik, weil sie nicht den Sinn verstehen.

Doch was wurde der Angst und der Medienhetze von Seiten der IG Metall-Führung entgegengesetzt? Es hat weder vor noch während des Streiks Gewerkschafts- oder gar Belegschaftsversammlungen gegeben, um ernsthaft über die "35-Stunden-Woche" und die Stimmungsmache zu diskutieren. Nur so würden viele entschlossen hinter der Forderung stehen und wären jetzt in der Lage andere – unentschiedene – KollegInnen oder gar die übrige Bevölkerung von dem Sinn des Kampfes zu überzeugen.
35 Stunden im Jahre 2009?
Viele Haustarifverträge wurden bereits geschlossen und auch die gesamte Stahlindustrie des Ostens hat bereits seit dem 7. Juni einen Drei-Stufen-Abschluss. Am 1. April 2005 soll der erste Schritt auf 37 Stunden erfolgen. Nach zwei weiteren Jahren soll die nächste Stufe auf 36 Stunden sowie zum 1. April 2009 der letzte Schritt auf 35 Wochenstunden folgen. Die 35-Stunden-Woche ist damit auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben worden, obwohl die Konzerne sich die bessere Bezahlung schon heute spielend leisten könnten.

Für einen besseren Abschluss hätte wesentlich mehr getan werden müssen. Doch die IG Metall-Führung scheint im Gegenteil froh zu sein, hier noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen zu sein, denn die Streikfront ist nicht bombensicher. Die "35" steht wenigstens genau wie im Westen auf dem Papier, wo sich die tarifliche Arbeitszeit zwischen 1985 und 1995 von 40 auf 35 Stunden verringert hat. Die tatsächliche Arbeitszeit ist jedoch in diesem Zeitraum sogar im Durchschnitt von 43,7 auf 44,6 Stunden angewachsen.
Wer verliert den Kampf?
Im Gegensatz zu den Stahlwerken wollen die Unternehmer der Metall- und Elektroindustrie nicht so schnell nachgeben. Es ist zu einem Kräftemessen zwischen Gewerkschaftsführung und Unternehmen gekommen: Wer beherrscht die Köpfe der ArbeiterInnen? Wer wird das Gesicht verlieren?

Wenn dieser Streik verloren wird, dann trägt die Gewerkschaftsführung die Verantwortung für seine Niederlage. Denn die IG Metall-Führung lässt den bürgerlichen Medien freie Hand und setzt keine Informationskampagne dagegen. Sie hat den Streik von Anfang an schlecht vorbereitet, weil sie es nicht für nötig hielt, wenigstens die Gewerkschaftsbasis wirklich zu überzeugen. Darüber hinaus begrenzt sie die Zahl der Streikbetriebe, anstatt jeden Versuch zu unternehmen in die Offensive zu gehen. So plätschert der Streik dahin, bei dem die Streikenden auch noch zur Passivität verdammt sind. Täglich sitzen sie ihre vier Stunden vor dem Betrieb ab, um Anrecht auf Streikgeld zu erhalten. Sie versäumen dabei die Gelegenheit andere Belegschaften zu bestärken oder vom Streik zu überzeugen. Auch die Taktik, erst die Stahlwerke und dann die Metall- und Elektroindustrie zu bestreiken, ist ein klarer Fehler:

So stand die Mehrzahl der KollegInnen im Stahlwerk Hennigsdorf hinter dem Streik, doch sie konnten keinen Einfluss auf die ArbeiterInnen von Bombardier Hennigsdorf (Metallindustrie) nehmen, wo die Streikmoral sehr schlecht ist. Hier legten die KollegInnen erst die Arbeit nieder, als die Stahlwerker schon längst wieder zur Arbeit gingen. Ein Austausch und Bestärken untereinander wurde damit unmöglich.

Für die Führung ging es in diesem Kampf um Prestige – für die überzeugte Gewerkschaftsbasis wirklich um Gerechtigkeit. Die Führung wollte beweisen, dass die Unternehmen nicht an ihr vorbei können und begann einen unsicheren Streik. Doch sie hat nichts dafür getan, dass die größtmögliche Kampfkraft entwickelt werden kann, um wenigstens das Beste aus der Situation zu machen. Die überzeugten KollegInnen an der Basis wurden mit den Problemen allein gelassen. Sie sind es, die sich täglich vor den übrigen KollegInnen für einen gerechten Streik rechtfertigen müssen. Ihnen gilt unsere volle Solidarität!

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