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Die Troika treibt Griechenland in eine Revolution

Von Horst Hilse | 22.02.2012

Die Stimmung in Griechenland ist gekippt: Hunderttausende hatten am letzten Samstag vor einer Woche vor dem Parlament demonstriert und als die Polizei Tränengas einsetzte, folgte ein Gewaltausbruch, der schlagartig die veränderte Stimmung erhellte. Man ist nicht mehr bereit, die ständige Repression hinzunehmen.

Die illusionäre Hoffnung, dass die Sparmaßnahmen Griechenland langfristig aus der Krise führen werden, sind fast völlig verflogen. Auch die offiziell verkündete Drohung der Regierung, die Alternative sei ein Staatsbankrott der in die ökonomische und soziale Katastrophe führe, wirkt nicht mehr. Denn die Folgen der derzeitigen Sparpolitik sind genauso katastrophal für die Bevölkerung. Für die griechischen Bürger stellt sich nur die Wahl zwischen verschiedenen Arten der Hinrichtungszeremonie zu Ehren des Kapitals.

Achtzehn Monate Sparpolitik haben einen sozialen Niedergang ausgelöst, der in der europäischen Geschichte des Kapitalismus beispiellos ist. Die Löhne und Gehälter sind im privaten Sektor um 20 und im öffentlichen um bis zu 50 Prozent gesunken. Über eine Million Griechen, jeder fünfte Erwachsene und jeder zweite Jugendliche, sind arbeitslos. Von ihnen erhält nur ein Drittel Arbeitslosengeld, das nun von 460 auf 360 Euro im Monat gesenkt wird.

Das neue Sparpaket, das am Sonntagabend verabschiedet wurde, wird die Arbeiterklasse und breite Schichten der Mittelklasse in den nackten Überlebenskampf stürzen. Bis 2015 sollen weitere 150.000 staatliche Angestellte entlassen, zusätzliche 11,4 Milliarden Euro gekürzt und die öffentlichen Löhne und Gehälter noch stärker gesenkt werden. Bei Preisen, die westeuropäischem Niveau entsprechen, wird das Überleben damit für viele unmöglich, insbesondere wenn sie auch noch mittellose Familienangehörige unterstützen müssen. Alle ökonomischen Indikatoren weisen steil nach unten. Die Wirtschaft schrumpfte im vergangenen Jahr um 7 Prozent, die Industrieproduktion um 16 Prozent. Die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer sanken trotz der Erhöhung des Steuersatzes um 19 Prozent, weil 60.000 Klein- und Familienunternehmen pleitegingen. Mit weiteren 50.000 Pleiten wird in diesem Jahr gerechnet.

Die griechische Arbeiterklasse, die Nazi-Besatzung, Bürgerkrieg und Militärdiktatur erlebt hat, wird den erneuten Versuch, sie einer Diktatur zu unterwerfen, nicht kampflos hinnehmen. Die Mischung aus Verzweiflung und Wut, die am Sonntagabend zum Ausdruck kam, wird sich verstärken und in eine revolutionäre Richtung drängen.

Der Staatshaushalt schreibt zwar inzwischen schwarze Zahlen, wenn man die Ausgaben für Zinsen und Schuldentilgung nicht berücksichtigt. Aber der Schuldendienst ist derart hoch, dass die Gesamtverschuldung im vergangenen Jahr trotzdem von 140 auf 160 Prozent des BIP geklettert ist – ein Fass ohne Boden.

Der Klassencharakter der Sparmassnahmen ist offen sichtbar: Während die Reichen ihre Gelder auf den internationalen Finanzmärkten sicher geparkt haben und sich beharrlich weigern, Bürgschaften zu übernehmen wird von der Bourgeoisie an der Arbeiterklasse ein Exempel statuiert, das in ganz Europa abschreckend wirken soll. Das Finanzkapital will klarmachen, wer in der vordemokratischen EU-Konstruktion zu bestimmen hat und wer diesen Kontinent beherrscht. Es wird nun klar, warum die Emanzipation von nationalen Parlamentsgepflogenheiten jahrzehntelang das wichtigste Projekt der EU gewesen war.

Das Europa der Banken- die "gelenkte Demokratie"

Man kann ihnen nicht vorwerfen, dass sie ihre Absichten verheimlicht hätten.Jean Claude Junker,die treibende Kraft des Maastricht Vertrages, für seine Vermittlung um den EURO -Stabilitätspakt als "Held von Dublin" gefeiert, sprach es bereits 2000 offen aus:  "Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt." (spiegel online 52) mittlerweile durchlöchert europol die Landeskriminalämter bei ihren Ermittlungen und die "Eurocop"-Polizeieinheiten stehen ebenso bereit, wie die "Frontex"-Armee.

Insgesamt ca. 150 000 Bewaffnete.  Wo wird eigentlich die Führung dieser Einheiten bestimmt und wer kontrolliert sie ?  Während die EU-"Regierung" immer noch aus eingesetzten "Kommissaren" der nationalen Regierungen besteht und die Aussenministertreffen so etwas wie den Bundesrat abbilden sollen, bleibt der europäische Wähler aussen vor. Weder gibt es gesamteuropäische Wahlen, noch gesamteuropäische Parteien, Weder ein nach einheitlichem Verfahren gewähltes Parlament, noch eine von diesem Parlament gewählte EU-Regierung. Die Entwicklung der Produktivkräfte hat zu einer "Häutung" des kapitalistischen Systems geführt und wie bei Eidechsen und Schlangen, wurde vom Kapital die alte nationalstaatlich verfasste Hülle der Produktionsverhältnisse abgelegt.
Die griechischen Sparmaßnahmen bilden aktuell Spitze einer internationalen Offensive der Finanzaristokratie mit dem Ziel, die von ihnen verursachte Krise von 2008 auf die Arbeiterklasse abzuwälzen. Ob in Großbritannien, Frankreich oder Deutschland, in Spanien oder Portugal, in Ungarn oder Rumänien – oder den USA –  überall stehen Einkommen, soziale Errungenschaften und demokratische Rechte der Arbeiter unter heftigem Beschuss.

Die für April als Beruhigungspillen gedachten Parlamentswahlen werden keine Lösung bieten, falls sie überhaupt stattfinden. Die beiden größten Parteien, die die jetzige regierung bilden, mussten der Troika schriftlich versichern, die Sozialfolterei auch unabhängig vom Wahlausgang fortzusetzen. diese unterschrift ist ihre sterbeurkunde geworden: Beide Parteien, die die derzeitige Regierung unterstützen, sind in raschem Zerfall begriffen und werden kaum mehr eine Regierungsmehrheit bekommen. Die sozialdemokratische PASOK, die 2009 mit 44 Prozent die Wahlen gewann, kommt in Umfragen nur noch auf acht, die konservative Nea Dimokratia auf etwa 30 Prozent. Dies verursacht den hilflosen, drohenden Unterton in Berlin und Paris. Offen ist, ob man unter diesen Umständen die Wahlfarce zulassen will. Eine Wahlverhinderung könnte andererseits das Signal zum Aufstand bilden.

Das Europa der linken Kräfte – die Gegenwehr organisieren

In Griechenland selbst scheint sich eine Respektierung der unterschiedlichkeiten drei großen linken Kräfte anzubahnen. Jedenfalls machten sie am Samstag einen koordinierten Eindruck. wenn die gewerkschaftsführung heute von einer "Volksmacht" und der "Beseitigung der Bourgeoisie" spricht, so sind die Umsetzungen dieser Parolen in reale Politik das einzige Mittel, um die vertrauensbildenden Massnahmen in der Klasse zu erweitern. Der unbefristete Stahlarbeiterstreik ist ein erster hoffnungsvoller Schritt in diese Richtung. Die Besetzung der großen Häfen steht noch aus.

Die Isolation des Kampfes muss mit Hilfe der übrigen europäischen linken Kräfte durchbrochen werden. Die europäische Linke muss lernen, in europäischen Kategorien zu denken und zu agieren, um eine wirksame Gegenwehr gegen das internationalisierte Kapital aufzubauen. Wir stehen demselben Gegner gegenüber und daher ist die Demoparole  "Wir alle sind Griechen"
   richtig. Es ist notwendig, eine wirksame Solidaritätsbewegung in Europa aufzubauen, die den Gegner offen benennt und angreift. Besonders in Deutschland mit seinem Wohlstandschauvinismus und der nationalen Bornierung der Linken muss da noch jede Menge Überzeugungsarbeit geleistet werden. Der Kampf der Griechen muss in einen Kampf der Europäer transformiert werden, wenn er erfolgreich sein soll.

Der Entwicklungsstand der Produktivkräfte verwandelt den ganzen Kontinent heute in einen Ressourcenraum, wenn es zu nationalen Aufständen kommt. Daher ist eine vorrevolutionäre Situation auf nationaler Ebene für die herrschenden schnell zu bereinigen, wenn sie sich nicht auf die kontinentale oder die internationale Ebene erstreckt. Damit ist "proletarischer Internationalismus" aus dem Status einer Parole der Arbeiterbewegung zu einer existentiellen Notwendigkeit der linken Praxis geworden.

Das negative linke Blum-Szenario wäre fatal: 1936 war die Regierung Blum in Frankreich durch einen sozialrevolutionären Aufstand in Abwehr des drohenden Faschismus ins Amt "gespült" worden.Die Regierung führte auf sozialpolitischem gebiet große reformen durch, hielt sich aber in der Europafrage völlig zurück: Sie griff nicht in den antifaschistischen Kampf Spaniens ein und sie tat nichts, um die entstehenden Partisanenbewegungen in Europa zu unterstützen. Diese fehlende Europadimension wurde der Blum-Regierung zum Verhängnis und der große Schrecken der französischen Bourgeoisie vor den revolutionären Möglichkeiten der Arbeiterbewegung trieb alle Konservativen in die Arme des mit Hitler kollaborierenden Vichy-Regimes. Das damals bei den französischen Konservativen geflügelte Wort hiess, "lieber Vichy als nochmal Blum".

Die linke Unfähig- oder Willigkeit, die rev Situation in eine europäische Dimension zu überführen, kam damals der von Beginn an europäisch operierenden Konterrevolution zugute.

Es liegt heute an uns, dass sich etwas ähnliches in Europa nicht wiederholt.

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