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Innenpolitik

Die Praxis zur Theorie machen

Von Dimitri Tolov | 01.01.2010

In Brandenburg regiert die Linkspartei künftig mit. Reformistische Altlasten werden bei der ersten sich bietenden Gelegenheit über Bord geworfen.

In Brandenburg regiert die Linkspartei künftig mit. Reformistische Altlasten werden bei der ersten sich bietenden Gelegenheit über Bord geworfen.

Ursprünglich hatte Matthias Platzeck, Ministerpräsident Brandenburgs, seine Koalitionsentscheidung zugunsten der Partei Die Linke mit der „Entzauberung“ begründet, die stattfinden würde, sobald die Linkspartei sich in Regierungsverantwortung befinden würde. Wie schnell und bereitwillig die Linkspartei all ihre Kernpositionen über Bord wirft, hätte jedoch vermutlich nicht einmal er geahnt. Die durch und durch sozialdemokratische Praxis der Linkspartei ist nun zumindest in Brandenburg auch formell Parteilinie. Über den neoliberalen Lissabon-Vertrag, das größte Sozial- und Demokratieabbauprojekts der letzten Jahre, heißt es da doch tatsächlich: „Brandenburg bekennt sich nachdrücklich zur weiteren europäischen Integration und zum Vertrag von Lissabon“. Die Linkspartei stellt sich also ganz offiziell hinter Aufrüstung und die Festung Europa. Das allein würde schon jede Charakterisierung als reformistische Partei unhaltbar machen. Die Tatsache, dass die Linkspartei sich die neoliberale Standortlogik voll zu eigen gemacht hat, ist ja schon bekannt. Trotzdem ist der Satz „Brandenburg setzt sich für ein wettbewerbsfähiges und soziales Europa ein“ erwähnenswert, allein schon wegen der Reihenfolge. Entgegen den Versprechen der Bundespartei ist auch der Abbau von 10 000 Stellen im öffentlichen Dienst bis 2019 vorgesehen.
Weit hinter den Grünen
Selbst hinter den nicht gerade progressiven Grünen bleibt der Koalitionsvertrag zurück. Kaum zu fassen ist, was die KoalitionspartnerInnen zum Thema Energie zu sagen haben: „Die Koalition hält an der Verstromung des wichtigen einheimischen Energieträgers Braunkohle als Brückentechnologie fest“. Nicht einmal den Bau neuer Braunkohlekraftwerke schließt das Vertragswerk aus. Das Gerede von der „schrittweisen Umstellung“ auf „emissionsarme“ Kraftwerke ist nur zu gut bekannt und läuft letztendlich auf ein „weiter so“ hinaus. Das ausdrückliche Bekenntnis zur CCS-Technologie (unterirdische Speicherung von CO2) nimmt sich vor diesem Hintergrund fast harmlos aus. Hier wurden sämtliche Positionen kampflos aufgegeben. Von linken Positionen keine Spur. Bekenntnisse zu weitergehenden linken Forderungen sucht mensch vergeblich: Von Lippenbekenntnissen und freundlichen Absichtsbekundungen abgesehen enthält der Koalitionsvertrag nahezu nichts, was als sozial bezeichnet werden kann. Mitregieren um jeden Preis war wieder einmal die Devise, wobei in bester reformistischer Tradition ohne den geringsten Widerstand Grundpositionen aufgegeben werden. Beispielhaft ist hier der öffentliche Beschäftigungssektor Brandenburg: Die Linkspartei forderte 15 000 Arbeitsplätze, die SPD 7 500, der „Kompromiss“ hieß 8 000.
Neue Chancen
Wie überall zeigt sich auch in Brandenburg, dass die Partei Die Linke sich nur zu gern bei der SPD einfädelt. Ganz offensichtlich kann die Partei Die Linke nicht einmal Plattform eines antikapitalistischen Kampfes sein. Doch dies bietet auch neue Chancen für die radikale Linke: Früher oder später (eher früher) wird die Politik der Linkspartei in scharfen Gegensatz zu den Forderungen und Anliegen ihrer bisherigen Klientel geraten. Es gilt daher, die unsoziale Politik der Linkspartei öffentlich zu benennen, um so Kräfte, die im Moment in der Linkspartei gebunden sind, für einen echten außerparlamentarischen Kampf zu gewinnen und die Sogwirkung der Linkspartei wenigstens lokal zu brechen. Gelingt es nicht, der parlamentarischen Praxis der Linkspartei eine programmatische und praktische Alternative entgegenzustellen, droht die Resignation und letztlich Entpolitisierung der enttäuschten Mitglieder und Anhänger. Nutzen wir die Möglichkeiten!

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