Diskussionsbeitrag von Edith Bartelmus-Scholich "Die Linke könnte an einem schönen Morgen finden, dass ihr parlamentarischer Sieg und ihre wirkliche Niederlage zusammen fallen." Karl Marx, 1848, MEW 5/385 Am 18.9.05 hatte die Linke in Deutschland etwas zu Feiern. 8,7% der gültigen, abgegebenen Stimmen bei der Bundestagswahl führen dazu, dass dem 16. deutschen Bundestag 54 Abgeordnete der Linken angehören werden. Offensichtlich war die Entscheidung einer gemeinsamen Kandidatur von WASG, nicht organisierten Linken und PDS-Mitgliedern auf den Listen der Linkspartei.PDS richtig. Der Erfolg ist ein politischer Sieg nach einer langen Folge vernichtender Niederlagen. Er wurde möglich durch die Erfahrung der Schwäche der Linken in den letzten beiden Jahrzehnten, durch die Erkenntnis eigener Fehler, vor allem aber auf der Grundlage der in den Jahren 2003 und 2004 aufgekommenen gesellschaftlichen Prostete gegen die Zerschlagung des Sozialstaats, den sich abzeichnenden Demokratieabbau und die fortschreitende Militarisierung. Konkret konnte sich die Linke dem gesellschaftlichen Druck, eine parlamentarische Opposition gegen die neoliberale Vier-Parteien-Formation im Bundestag zu ermöglichen, nicht entziehen. Treibende Kraft hinter dem gemeinsamen Antreten von WASG, PDS und anderen Linken auf den Listen der Linkspartei war das gesellschaftliche Bedürfnis nach einer Opposition, die diese Bezeichnung verdient. Ohne dieses gesellschaftliche Bedürfnis, wären die Bemühungen von Oskar Lafontaine, Gregor Gysi und anderen Akteuren ins Leere gelaufen. Die Linke, die in diese Formation hineingetrieben wurde, steht nun vor der Aufgabe, die Erwartungen ihrer Wählerinnen und Wähler zu erfüllen und zu einem neuen Selbstverständnis in einer gemeinsamen Organisation zu finden. Der Erfolg ist zu relativieren, seine Gründe sind zu hinterfragen, wenn es der erste einer Serie von Erfolgen werden soll. Dies nicht zu tun, hieße die Chance auf eine Trendwende in Politik und Gesellschaft leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Unschwer ist zu erkennen, dass zwar 8,7% der Wählerinnen und Wähler ihre Stimme der Linken gaben und dass die bürgerlichen Parteien Stimmen verloren, aber doch noch 91,3% der Stimmen auf FDP, CDU/CSU, SPD und GRÜNE entfielen. Bemerkenswert ist auch, dass die Wahlbeteiligung 77,7% die niedrigste war, mit der je ein deutscher Bundestag gewählt wurde. Gegenüber 2002 ist die Wahlbeteiligung nochmals um 1,4% gesunken. Daraus kann geschlossen werden, dass das Zutrauen in den Parlamentarismus weiter sinkt. FDP und CDU/CSU haben es nicht geschafft die Regierung zu übernehmen. Vor die Wahl gestellt, ob der Sozialstaat vollständig zerschlagen, oder doch wenigstens ein bisschen davon erhalten werden soll, scheinen sich viele Wählerinnen und Wähler für das kleinere Übel entschieden zu haben. Dass dies so ist, dass schließlich Schwarz-Gelb 1 bis 2 % der Wählerstimmen fehlten, ist ganz überwiegend auf Fehler der Union während des Wahlkampfs zurück zu führen. Wählerinnen und Wähler, die eine Kopfpauschale in der Krankenversicherung und Flat-Tax á la Kirchhoff ablehnten, haben die SPD gewählt, solche, die sich einen Regierungswechsel wünschten, aber keine Mehrwertsteuererhöhung haben die FDP gestärkt. SPD und Grüne haben nicht so massiv verloren, weil sie von den Fehlern der Union profitierten. Die Linke hat fast 2 Millionen Stimmen gewonnen, 960.000 ehemalige SPD-Wähler und 390.000 ehemalige Nichtwähler wählten links. Die Rechtsradikalen spielten keine Rolle. Vor diesem Hintergrund tritt zurück, dass es der Linken in den neuen Bundesländern nicht gelungen ist, die SPD als stärkste politische Kraft abzulösen, und dass das Ziel drittstärkste Fraktion im deutschen Bundestag zu werden, verfehlt wurde. Die besten Ergebnisse verzeichnete die Linke im Osten Deutschlands. Im Westen Deutschlands ist ein deutliches Nord-Süd-Gefälle zu erkennen. Im Saarland wurde aufgrund der Kandidatur des ehemaligen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine ein Ausnahmeergebnis erzielt. Vereinfacht kann gesagt werden, die Linke erzielte da gute Ergebnisse, wo die SPD stark ist und da schlechte Ergebnisse, wo CDU/CSU stark sind. Erwerbslose (25%) und ArbeiterInnen (12%) stellen unter den WählerInnen der Linken die stärksten Gruppen. Junge Menschen und Frauen wählten seltener die Linke. Protest gegen die Regierungspolitik wollten die Wählerinnen und Wähler der Linken mit ihrer Stimmabgabe in erster Linie ausdrücken. Wichtig für die Wahlentscheidung waren die Themen soziale Gerechtigkeit und Arbeit. Den Vorschlägen der Linkspartei nach Mindestlohn und Grundsicherung stimmten zwar 75% bzw. 80% der AnhängerInnen der Linkspartei zu, trotzdem waren nur 50% der AnhängerInnen der Linkspartei der Meinung, dass mit den Vorschlägen die wirtschaftlichen und sozialen Probleme gelöst werden könnten. Eine große Mehrheit der Bevölkerung (82%) glaubte nicht, dass die Vorschläge der Linkspartei geeignet seien, die Probleme zu lösen. Diese Zahlen zeigen, dass viel Öffentlichkeits- und Überzeugungsarbeit vor der Linken liegt, soll der Erfolg keine Eintagsfliege bleiben. Die große Koalition wird die Probleme nicht lösen, sondern verschärfen, auch wenn, das Maximalprogramm von FDP und CDU/CSU nicht umgesetzt werden wird. Mit fortschreitendem Sozialabbau und untauglichen Instrumenten in der Arbeitsmarktpolitik ist ein weiterer Anstieg der (verdeckten) Arbeitslosigkeit und eine Zunahme der Armut zu erwarten. Gleichzeitig kündigen die Großkonzerne Entlassungswellen an, die ganze Stadtviertel in Existenzangst stürzen. Vor diesem Hintergrund kann eine Belebung des sozialen Widerstands in den kommenden zwei Jahren erwartet werden. Eine solche Bewegung wird dann zum Akteur mit entscheidendem Einfluss auf das Gleichgewicht der Kräfte, wenn sich die Gewerkschaften zur Teilnahme und Mobilisierung entschließen. Dies bleibt abzuwarten. Für die Linke ist die große Koalition eine günstige Rahmenbedingung, denn sie kann sich in der Opposition deutlich unterscheiden ohne allzu extreme Positionen einnehmen zu müssen, da die SPD sich in der großen Koalition nicht nach links profilieren kann. Es kann durchaus erwartet werden, dass die SPD in der großen Koalition forschreitendem Mitgliederschwund und nachlassender Bindung der StammwählerInnen ausgesetzt sein wird. Aber auch dann droht in Westdeutschland von den in der Opposition befindlichen Grünen der Linken einige Gefahr. In dieser Lage kommt es darauf an, die SPD auch wirklich in die große Koalition zu zwingen und nicht etwa Spielräume durch die Tolerierung einer rot-grünen Minderheitenregierung zu verschenken. Der Erfolg der Linken wird wiederholbar und nachhaltig werden in dem Maße, wie es ihr gelingt,
Was die Linke dringend lassen sollte, ist das Liebäugeln mit kleinen Anteilen an einer vermeintlichen Macht, sei es durch Tolerierung einer rot-grünen Regierung auf Bundesebene oder durch Teilnahme an rot-roten Koalitionsregierungen in den Ländern, die unvermindert Sozialabbau betreiben. Eine Integration der Linken in die neoliberale All-Parteien-Koalition würde das Scheitern der Linken besiegeln. 5.10.05 |