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Länder

Die Kette reißt zuletzt am stärksten Glied

Von B. B. | 14.03.2012

2011 exportierte Deutschland Waren im Wert von über 1 Billion Euro. Den Jubelnachrichten über die  einheimische Wirtschaft stellen die bürgerlichen Medien Schreckensbotschaften aus Griechenland entgegen, dessen Bruttoinlandsprodukt im letzten Jahr um 6,8 Prozent einbrach.

2011 exportierte Deutschland Waren im Wert von über 1 Billion Euro. Den Jubelnachrichten über die  einheimische Wirtschaft stellen die bürgerlichen Medien Schreckensbotschaften aus Griechenland entgegen, dessen Bruttoinlandsprodukt im letzten Jahr um 6,8 Prozent einbrach.

Der Zusammenhang liegt auf der Hand. Die deutsche Wirtschaft konkurriert in der Europäischen Union und auf dem Weltmarkt andere Länder nieder. Aber was heißt das hierzulande für die politische Lage, für die Gewerkschaften und den Neubeginn der sozialen Bewegung gegen die Krise?

Damit die Profitrate steigt, haben die EU-Regierungen mit Deutschland an der Spitze eine Offensive gegen die Errungenschaften der europäischen Arbeiter­Innenklasse eingeleitet. Dieser Angriff wird von der EU-Kommission und der Europäischen Zentralbank mit Unterstützung des IWF zentral gesteuert. Das Ergebnis könnte sehr unterschiedlich ausfallen:

  • Entweder es gelingt der herrschenden Klasse, die Krise auf die Arbeiter­Innenklasse abzuwälzen, indem der Lebensstandard um 30 Prozent abgesenkt wird (in Griechenland bereits mehr). Die Finanzkrise würde abgeschwächt, in der gesamten EU eine wirtschaftliche Wiederbelebung eintreten, die EU und besonders der deutsche Imperialismus gestärkt aus der Krise hervorgehen.
  • Oder Griechenland, Portugal oder Italien erleiden Staatsbankrott, reißen die gesamte EU einschließlich der BRD mit in den Malstrom der Krise, die Europäische Union zerfällt, die  Krise der Weltwirtschaft verschärft sich. Eine Senkung des Lebensstandards um 30 Prozent würde nicht mehr ausreichen, um die Profitrate zu sanieren, das Kapital würde seine Offensive erneuern und versuchen, den Lebensstandard um zusätzliche 30 Prozent zu senken, die Errichtung von Militärdiktaturen und das Aufkommen faschistischer Massenbewegungen ständen auf der Tagesordnung. 


Zwischen beiden denkbaren Entwicklungsvarianten liegen verschiedenste Möglichkeiten ihrer Kombination.
Weder die „weiche“ noch die „harte“ Variante kann die Krise lösen, allenfalls vorübergehend abschwächen, handelt es sich doch um eine internationale Systemkrise des Kapitalismus, in der die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise, die weltweite Umweltzerstörung (Klimakatastrophe, Fukushima), die institutionelle Krise der EU, die politische Revolution in den arabischen Ländern und andere Krisenerscheinungen zusammenfließen.

International eröffnet die Systemkrise, ähnlich wie die Weltwirtschaftskrise von 1929, eine Periode von Revolution und Konterrevolution, der Wiederbelebung und Radikalisierung der Arbeiter­Innenbewegung. 
Regierung für Lohnerhöhungen
Systemkrise heißt aber nicht, dass sich die politische Lage von Tag zu Tag verschärft, sondern dass das System jene „Stabilität“ verloren hat, die es nach 1989 in der Hochphase des Neoliberalismus gewonnen hatte. Plötzliche Wendungen der politischen Lage sind jederzeit möglich. Internationale Systemkrise bedeutet auch nicht, dass jedes Land zum gleichen Zeitpunkt und gleich tief von ihr betroffen ist. Namentlich die BRD stellt  eine Ausnahme in der politischen Entwicklung dar, zumindest so lange, wie nicht der Fall eines Staatsbankrotts in Italien oder anderswo eintritt.

Für die BRD erwarten selbst die bürgerlichen Medien „deutliche“ Lohnerhöhungen oder eine Steigerung der Staatsausgaben, um den Import anzukurbeln. Damit soll Forderungen aus den USA und aus Frankreich nachgekommen werden, die Handelsbilanz auszugleichen. Die Reaktion der Bundesregierung ließ nicht lange auf sich warten. In der Bild-Zeitung fand Ministerin von der Leyen ungewohnte Worte: „Die deutsche Wirtschaft fährt ordentliche Gewinne ein. Jetzt müssen die Arbeitnehmer daran beteiligt werden, und sie müssen das Plus auch spüren“. Die Lohnerhöhung solle über den Preissteigerungen liegen. Von der Leyen weiter: „In einer so reichen Gesellschaft wie in Deutschland muss auch ein Geringqualifizierter, der Vollzeit arbeitet, zumindest seinen eigenen Lebensunterhalt verdienen“.
Gewerkschaftsführung übt Bescheidenheit
Ungeachtet solcher Appelle fordert die Gewerkschaft Verdi für die laufende Tarifrunde in Bund und Kommunen nur 6,5 % Lohn- und Gehaltserhöhung, mindestens 200 Euro. Die Beschäftigten im Versorgungsbereich sollen 7,9 % mehr Lohn und Gehalt bekommen, die Azubis 100 Euro mehr. Im Vergleich dazu fällt die Empfehlung des IG Metall-Vorstands – „bis zu“ 6,5 Prozent höhere Löhne und Gehälter – noch magerer aus, lagen doch früher die Lohnforderungen in der Metallindustrie über denen im Öffentlichen Dienst. Ginge es nach den  Gewerkschaftsvorständen dürften im Ergebnis 3 – 3,5 % mehr Entgelt herauskommen, von denen die zukünftige Preissteigerung abzurechnen ist.

Wieder einmal hinkt die Gewerkschaftsbürokratie den Ereignissen hinterher und versteht weder die wirtschaftliche Entwicklung noch das politische Entgegenkommen der Herrschenden auszunutzen. Wirkliche und vor allem „deutliche“ Lohnerhöhungen durchzusetzen, werden die Arbeiter­Innen und Angestellten schon selber angehen müssen. Wenn selbst in Chemiebetrieben Forderungen nach 10 Prozent Lohnerhöhung auftauchen, spricht das für die steigende Erwartungshaltung vieler Lohnabhängiger. 

Stehen in Deutschland Lohnerhöhungen an, so geht es in Griechenland um Lohnsenkung. Dort wird der Bruttomindestlohn von 751 auf 586 Euro (von 4,38 € auf 3,34 €/Stunde) zusammengestrichen. Die Löhne werden eingefroren bis die Erwerbslosigkeit von 21 auf 10 Prozent gefallen ist, d. h. bei geplanten 150 000 Entlassungen im Öffentlichen Dienst werden Lohnerhöhungen auf den St. Nimmerleinstag verschoben.
Die Arbeiter­Innenklasse in Deutschland profitiert von der wirtschaftlichen Ausnahmestellung des BRD-Imperialismus in Europa, die wiederum auf dem Niederkonkurrieren anderer EU-Länder basiert und mit erheblichen Einschnitten für die dortigen Lohnabhängigen verbunden sind.
Wer in Griechenland drastische Lohnsenkung in Kauf nehmen muss, wird nicht so leicht verstehen, dass in Deutschland Lohnerhöhungen gefordert und gewährt werden. Internationale Solidarität ist auf der Ebene der Löhne schwerlich herstellbar. Eher besteht die Gefahr, dass nationalistische Ressentiments gestärkt werden. Ausdruck davon sind hierzulande die Hetze der bürgerlichen Medien gegen „die Griechen, die über ihre Verhältnisse leben“, was auch bei Lohnabhängigen verfängt, oder in Griechenland die Wahlprognosen für die faschistische Organisation Chrysi Avgi (Morgenröte), die neben der rechtsradikalen LAOS ins nächste Parlament einziehen könnte.

Die unterschiedlichen ökonomischen Bedingungen verändern auch den Rahmen für den Kampf gegen Sozialabbau. Wenn die Herrschenden über höhere Staatsausgaben nachdenken, dann ist es relativ unwahrscheinlich, dass sie neue soziale Einschnitte wie Hartz IV oder Rente mit 67 auf die Tagesordnung setzen. Bleiben solche Konter-Reformen aus, dann wird die neue soziale Bewegung gegen die Krise bei der geplanten Bankenblockade am 18. und bei der Demonstration 19. Mai in Frankfurt/M. an enge Grenzen stoßen, weil sich die Gewerkschaftsführung weiterhin weigern wird, ihre Mitglieder zu mobilisieren.

Während in Griechenland die Arbeiter­Innenbewegung gegen die Privatisierung des Öffentlichen Eigentums, die 19 Mrd. Euro einbringen soll, und gegen dramatische Kürzungen im Sozialbereich kämpft, verpassen die Gewerkschaften in Deutschlands boomender Wirtschaft eine ausgezeichnete Chance, die Lohnabhängigen für die Rücknahme der „Rente mit 67“ und für die Abschaffung von Hartz IV zu mobilisieren. Die „Sozialpartnerschaft“ macht sich für die herrschende Klasse bezahlt.
Bankenblockade & Bankenenteignung
Dass die Systemkrise des Kapitalismus an die europäische Arbeiterinnenbewegung unterschiedliche Anforderungen stellt und der Klassenkampf in Griechenland unter anderen Bedingungen verläuft als der in Deutschland, kann sich die Arbeiter­Innenklasse weder hier noch dort aussuchen. Es wäre falsch verstandene Solidarität würden die DGB-Gewerkschaften auf Lohnerhöhungen verzichten. Solidarität besteht auch nicht darin, nur das zu fordern, was die Herrschenden freiwillig zugestehen wollen. Ziel muss sein, das herauszuholen, was herauszuholen ist.

Auch die neue soziale Bewegung gegen die Krise ist nicht für die objektiven Bedingungen verantwortlich, unter denen sie arbeitet. Es ist positiv, dass sie nicht nur einzelne Sparschweinereien, sondern den Kapitalismus bekämpft. Dazu reichen jedoch phantasievolle Aktionsformen wie z. B. die geplante Bankenblockade nicht aus. Denn die radikale Form muss die des radikalen Inhalts werden – der sich gegen das Privateigentum an Produktionsmitteln richtet. Solidarität mit der Arbeiter­Innenklasse in Griechenland heißt: Bankenblockade und Bankenenteignung!

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