TEILEN
Innenpolitik

„Die Grünen sind ein Motor des neoliberalen Rollbacks“

Von Sophie Wegener-Stahlschmidt | 01.07.2011

Jutta Ditfurth – Umweltaktivistin, Mitbegründerin der Partei Die Grünen, von 1984 bis 1989 Sprecherin des Bundesvorstands dieser Partei (Austritt 1991 zusammen mit zahlreichen anderen Linken) legt in der Streitschrift: „Krieg, Atom, Armut. Was sie reden, was sie tun: Die Grünen“ eine bitterböse Abrechnung mit der Politik dieser Partei und ihren HauptdarstellerInnen vor.

Jutta Ditfurth – Umweltaktivistin, Mitbegründerin der Partei Die Grünen, von 1984 bis 1989 Sprecherin des Bundesvorstands dieser Partei (Austritt 1991 zusammen mit zahlreichen anderen Linken) legt in der Streitschrift: „Krieg, Atom, Armut. Was sie reden, was sie tun: Die Grünen“ eine bitterböse Abrechnung mit der Politik dieser Partei und ihren HauptdarstellerInnen vor.

Von 2001 bis 2008 und seit April 2011 ist sie Stadtverordnete für die Wählervereinigung „ÖkolinX – Antirassistische Liste in Frankfurt am Main“.
Noch in der Elefantenrunde des Jahres 1987, einer Diskussionsrunde von ARD und ZDF mit den Parteivorsitzenden hatte sie durch ihr couragiertes Auftreten maßgeblich zu dem bis dahin besten Ergebnis von 8,3 % der Grünen bei einer Bundestagswahl beigetragen. Heute kommt sie in ihrer Studie zu dem Schluss: „Die Grünen sind ein Motor des neokonservativen Rollbacks.“ Gerade wegen des kometenhaften Aufstiegs der Grünen heute und der Illusionen, die anscheinend viele Menschen mit dieser Partei verbinden, sie sei links, ökologisch und sozial, ist eine Auseinandersetzung mit Geschichte und Politik dieser Partei dringend geboten. Das Buch ist erfreulicherweise seit Februar 2011 in der 3. Auflage im Rotbuch Verlag erschienen.

Jutta Ditfurth beschreibt die Entwicklung weg von einer pazifistischen Partei hin zum Kriegseintritt in Jugoslawien im Jahre 1999 und den Auslandseinsätzen der Bundeswehr (verantwortet von einer rot-grünen Regierung), wie auch den Weg von der Forderung nach „sofortigem Ausstieg“ aus der Atomenergie hin zum Energiekonsens von Rot-Grün mit den Betreibern der Kernkraftwerke (2000/2002).
„Realos“ gegen „Fundis“
Diese Verwandlung vollzog sich nicht kampflos. Die Autorin schildert eindrucksvoll die Machenschaften, mit denen sich „Realos“ (die BefürworterInnen der Übernahme von Regierungs„verantwortung“) gegen die „Fundis“ (eine diffamierende Bezeichnung ihrer GegnerInnen) durchsetzten. Dies geschah schließlich auch gegen einen großen Teil der Parteibasis, die damals noch von den Ideen der Friedensbewegung geleitet war. Die FundamentalistInnen sahen den Schwerpunkt ihrer Arbeit nicht in den Parlamenten, sondern in der Organisierung des außerparlamentarischen Widerstands.

Um den Krieg gegen Jugoslawien zu rechtfertigen, fügt die NATO der unendlichen Geschichte der Kriegslügen ein weiteres Kapitel hinzu, das Massaker von Račak. Dies tut sie mit dem Wissen des damaligen grünen Außenministers und EU-Präsidenten Fischer. „Der berühmteste Satz eines Achtundsechzigers nach 68 ist zweifellos Joschka Fischers Begründung für die erste militärische Intervention mit deutscher Beteiligung nach 1945. „Ich habe nicht nur gelernt; nie wieder Krieg, sondern auch: Nie wieder Auschwitz. Die Bomben sind nötig, um die serbische SS zu stoppen.“ (Christian Schneider: „Gefühlte Wirklichkeit“ , taz vom 21.12.2007).

Jutta Ditfurth zum Atomkonsens: „Wenn die Grünen in einer vierfarbigen Anzeige in der Süddeutschen Zeitung klagen: ‚Der atomare Müll wächst, die Endlagerfrage ist ungeklärt‘, vergessen sie ihren Anteil am Atommüll zu erwähnen.“

Zu den sozialpolitischen Schandtaten der rot-grünen Regierungen schreibt sie: “Die Sozial -und Wirtschaftspolitik von SPD und Grünen war ein Sprengstoffanschlag auf den ohnehin beschädigten Sozialstaat. Die rot-grüne Bundesregierung hat gleichsam eine Bombe neben die blutig erkämpfte Tradition sozialpflichtiger und gewerkschaftlich abgesicherter Jobs mit Flächentarifverträgen gelegt und sie gezündet. Nach diesem Attentat liegt die Zukunft vieler Menschen in Trümmern. Untertänig beugte sich die Basis der Parteien SPD und Grünen ihren ‚Autoritäten‘. „Auch die Grünen können sich heute nicht damit herausreden, dass alles Joseph Fischers oder Andrea Fischers [Gesundheitsministerin des Bundes von 1998-2001 W-St] schuld sei. Nicht nur weil Jürgen Trittin und Renate Künast auch in der Regierung waren und Cem Özdemir sowie Claudia Roth als Bundestagsabgeordnete alles abgesegnet hatten, sondern auch deshalb: Die grüne Partei hat mit riesengroßer Mehrheit den Verarmungsprozess namens Agenda 2010 selbst beschlossen. Nicht in Unkenntnis des Inhalts, das wäre schlimm genug, sondern nach heftigen gesellschaftlichen Diskussionen – auch in den Gewerkschaften.“

Die 300 Seiten starke Schrift ist keine leichte Kost. Für mich war es schwierig zwischen ihrem Charakter als Streitschrift einerseits und wissenschaftlicher Studie andererseits sowie den vielen Abschweifungen die Übersicht zu bewahren. Aber die Mühe hat sich gelohnt. JedeR muss wohl ihren/seinen eigenen Zusammenhang herstellen. Mein Zusammenhang ist, wie schmerzlich die Armut einerseits ist, und wie andererseits Menschen mit Hilfe von Geld und Karrierechancen gefügig gemacht werden. Für Jutta und alle, die trotz der Verunglimpfungen durch einen grünen Umweltminister Trittin den Kampf gegen die Castortransporte und die Kernenergie weitergeführt haben: Ohne sie wäre die Umweltbewegung in Deutschland heute nicht so stark. „Wir scheitern nicht an unsern Niederlagen, sondern an den Kämpfen, die wir nicht geführt haben“ frei nach Ulrike Meinhof.

 

Buchtipp
Jutta Ditfurth: „Krieg, Atom, Armut. Was sie reden, was sie tun: Die Grünen“
288 Seiten, 14,95 Euro,
Rotbuch Verlag, 2011

 

 

Artikel teilen
Kommentare auf Facebook
Ähnliche Artikel
Zur Startseite