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Die griechischen Wahlen vom 4. Oktober 2009

Von Andreas | 01.11.2009

Die Wahlen zum griechischen Parlament, die am 4. Oktober stattfanden, führten zum erwarteten Sieg der bislang oppositionellen Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (PASOK), die der sozialistischen Internationale angehört. Der Erfolg fiel mit 43,9 %, einem Plus von 5,8 % im Vergleich zu den Wahlen vom September 2007, gegenüber den 33,5 % der bislang regierenden rechtskonservativen Nea Dimokratia (ND), die um 8,4 % abstürzte, allerdings viel höher aus als erwartet.

Die Wahlen zum griechischen Parlament, die am 4. Oktober stattfanden, führten zum erwarteten Sieg der bislang oppositionellen Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (PASOK), die der sozialistischen Internationale angehört. Der Erfolg fiel mit 43,9 %, einem Plus von 5,8 % im Vergleich zu den Wahlen vom September 2007, gegenüber den 33,5 % der bislang regierenden rechtskonservativen Nea Dimokratia (ND), die um 8,4 % abstürzte, allerdings viel höher aus als erwartet.

PASOK wird nun aufgrund eines reichlich undemokratischen Wahlgesetzes mit 160 von 300 Parlamentssitzen die Alleinregierung stellen. Auf Platz drei behauptete sich mit 7,5 % die Kommunistische Partei Griechenlands (KPG), die allerdings auch, mit – 0,6 %, Stimmenverluste zu verzeichnen hatte. Viertstärkste Partei wurde mit 5,6 % (+ 1,8 %) erstmals der rassistische, rechtsradikale Volks-Orthodoxer Alarm (LAOS) und Platz fünf belegte die linke Allianz SYRIZA mit 4,6 %, was einen Verlust von 0,4 % bedeutet. Ein relativ respektables Ergebnis erreichten die „Grünen Ökologen“ mit 2,5 % (+ 1,5 %), die damit aber unter der 3 %-Hürde blieben und nicht im Parlament vertreten sind.    

Ein genauerer Blick auf die Wahlergebnisse der letzten Jahre, von 2004, 2007 und 2009 zeigt jedoch, dass die Wahlbeteiligung in Form abgegebener gültiger Stimmen von Mal zu Mal nicht dramatisch, aber deutlich zurückgeht. Von 2007 auf 2009 ist sie von 72,1 % auf 68,9 %, also um 3,2 %, zurückgegangen. Dementsprechend höher sind in absoluten Zahlen die Verluste von ND, aber auch von KPG und SYRIZA, was einem nicht unbedeutenden Rückgang an Unterstützung in der Bevölkerung entspricht. Sehr charakteristisch ist, dass PASOK mit diesmal 3  012 Mio. Stimmen nur rund zehntausend Stimmen mehr erhalten hat als 2004, als die Partei nach elfjähriger Regierungszeit aufgrund der unverhüllt prokapitalistischen, neoliberalen und pro-imperialistischen Politik der Simitis-Regierung (1996-2004) zugunsten von ND abgewählt wurde. PASOK hat also trotz des scheinbar triumphalen Wahlerfolges die bis 2004 vor allem in der arbeitenden Bevölkerung verlorenen Stimmen nicht zurückerobern können.  
Verbalradikal
PASOK kam erstmals 1981 mit ihrem legendären Parteigründer Andreas Papandreou, der, sehr verbalradikal und in dieser Hinsicht die reformistische KPG weit hinter sich lassend, einen „griechischen Weg zum Sozialismus“ versprach und in breiten Schichten große Hoffnungen weckte, an die Regierung. Innerhalb weniger Jahre passte sich die PASOK-Regierung aber den schlechten Gegebenheiten des Staatsapparats und des griechischen Kapitalismus an, sodass die Widersprüche zwischen Wort und Tat nur allzu deutlich wurden. In den skandalträchtigen Jahren 1989-90 verlor PASOK die Macht an ND, die dabei tatkräftig vom Synapismos (SYN), dem damals auch die KPG angehörte, unterstützt wurde. In den folgenden Jahren erreichten die beiden Linksparteien, nach der Spaltung von 1991 in KPG und SYN getrennt, einen historischen Tiefpunkt, während PASOK 1993 wieder an die Regierung kam.

Spätestens seit 1996, als K. Simitis Ministerpräsident wurde, verwandelte sich PASOK aber endgültig in eine auf die Ausübung der Staatsmacht ausgerichtete Wahlpartei und die Aktivitäten der örtlichen Einheiten an der Basis gingen radikal zurück. Die Partei kontrolliert aber weiterhin die meisten bürokratisch verknöcherten Führungen der Gewerkschaftsbewegung, die der neoliberalen Daueroffensive außer sporadischen Ein-Tage-Generalstreiks, die dem Kapital kaum wehtun, sehr wenig entgegenzusetzen haben. Die Simitis-Regierung trieb auch die Privatisierungen, die Flexibilisierung und weitere Verschlechterungen der Arbeitsverhältnisse entscheidend voran. In der Außenpolitik ordnete sie sich der NATO, der EU und 2003 beim Angriff auf den Irak den Interessen des US-Imperialismus unter, wofür sich Colin Powell später ausdrücklich bedankte. Der neue Ministerpräsident Giorgos Papandreou, Sohn des Parteigründers und seit 2004 Parteivorsitzender, diente in dieser Regierung von 1999 bis 2004 als Außenminister. Die Wahlniederlage von PASOK 2004 war die logische Folge der konsequent rechten Regierungspolitik.
Klägliche Bilanz
Die Bilanz der seit 2004 amtierenden rechten ND-Regierung unter K. Karamanlis ist aber derart kläglich, die immer wieder gebrochenen Wahlversprechen so gravierend, der Korruptionssumpf, die Vetternwirtschaft und die Skandale um einen nach dem anderen ND-Minister dermaßen horrend, die Umweltzerstörung besonders durch immer riesigere Waldbrände derart unkontrolliert, die Ignoranz und Unfähigkeit der Regierung, die wichtigsten Probleme des Landes auch nur ansatzweise anzugehen, so offensichtlich, das immer brutalere Auftreten der staatlichen Repressionsorgane, das in der Ermordung eines 15jährigen durch die Polizei gipfelte, dermaßen unerträglich, dass die Abwahl der Rechtsregierung von breiten Bevölkerungsschichten und sogar von einem Teil der traditionellen ND-Wählerschaft als dringend erforderlich empfunden wurde. Hinzu kam ein schwerer taktischer Fehler von Karamanlis, dessen Regierung normalerweise bis zur Präsidentenwahl im März 2010 hätte weiterregieren können. Karamanlis entschied sich aber für eine Art „Flucht nach vorn“ und rief Neuwahlen aus, um ein neues Mandat für das Einfrieren der Löhne (!) und andere Sparmaßnahmen zu bekommen, die angeblich wegen der Wirtschaftskrise nötig seien.
Verluste der beiden Linksparteien
Die Verluste von KPG und SYRIZA in einer Konjunktur der schweren kapitalistischen Krise und des Einbruchs der Rechten kann nur auf Faktoren der eigenen Schwächen und Unzulänglichkeiten zurückgeführt werden. Tatsächlich waren die Alternativen, die von diesen beiden Formationen in der letzten Zeit angeboten wurden, sicher enttäuschend. Die KPG-Führung verbirgt seit den 90er Jahren hinter der Fassade einer linken antiimperialistischen und sozialistischen Rhetorik nur mühsam ihr in Wirklichkeit keineswegs radikales Programm einer „Volksökonomie“ und einer „Volksmacht“ im Sinne illusionärer klassenübergreifender Allianzen. In der Praxis scheint die Parteiführung davon überzeugt zu sein, dass die realen Kämpfe in keinem Fall zu positiven Ergebnissen führen können. Von daher erklärt sich ihre den von ihr nicht kontrollierten Bewegungen gegenüber feindliche Haltung, wie sie besonders gegenüber der Jugendrevolte vom Dezember 2008, aber schon bei der Entscheidung zum Streik der Grundschullehrer/innen 2006 und zuvor bei den Aktionen der Studierenden gegen die Änderung des Artik
els 16 der Verfassung zugunsten einer Privatisierung des Hochschulbereichs zum Ausdruck kam. Hinter der linkssektiererischen Fassade und der Ablehnung jeder Zusammenarbeit mit allen anderen politischen Kräften steckt eine im Kern eher rechtsgerichtete reformistische und parlamentarische Orientierung.

Krisengeschüttelt ging SYRIZA in den Wahlkampf. Dieses Linksbündnis, dessen dominierende Kraft die reformistische, aus dem Eurokommunismus stammende Partei Synaspismos (SYN) darstellt, um die sich mehrere linkere, teils auf den revolutionären Marxismus berufende Organisationen gruppieren, hatte im Sommer 2008 ein Hoch in den Meinungsfragen, die es bei rund 15 % in der Wählergunst ansiedelten. Die schwankende Haltung des SYRIZA zu den Dezember-Ereignissen, einerseits das „Verständnis“ für die aufbegehrenden jungen Leute, andererseits das Zurückweichen vor der Staatsgewalt und die faktische Unterordnung unter die auf Recht und Ordnung ausgerichtete Linie von PASOK und Gewerkschaftsbürokratie, ließen SYRIZA zur Zielscheibe einer rechten Medienkampagne werden. Der SYN kritisiert die Auswüchse der neoliberalen Politik, führt sie aber nicht auf die Funktionsweise des Kapitalismus selbst zurück, sondern auf eine falsche Sozial- und Wirtschaftspolitik der Regierungen. Im SYN hat eine so genannte „Linke Strömung“ die Mehrheit, die das SYRIZA-Bündnis befürwortet. Eine starke rechte Minderheit, ca. ein Drittel der Partei, hält dies aber für verfehlt und setzt auf eine (noch) stärkere Zusammenarbeit mit PASOK.   

Nach dem ungünstigen Abschneiden bei den Europawahlen – SYRIZA erhielt nur 4,7 % und einen statt der erhofften drei Abgeordneten – startete die Parteirechte eine wüste Kampagne, in der die linke Mehrheit und SYRIZA für den Misserfolg verantwortlich gemacht wurden. In der Folge entwickelte sich Monate lang eine fast unglaubliche Schlammschlacht in der SYN-Führung, in der sich die wichtigsten Repräsentant­Innen der „Linken“ untereinander zerstritten, ohne dass entscheidende politische Differenzen nachvollziehbar wurden. Der bis dahin unumstrittene Vorsitzende von SYRIZA, A. Alavanos, trat schließlich zurück. Damit setzte sich A. Tsipras, der junge Parteichef, durch, machte aber vor und nach den Wahlen vom 4. Oktober eine ganze Serie von Zugeständnissen an die Parteirechte, die gestärkt aus den Streitereien hervorging. Von den 13 neuen SYRIZA-Abgeordneten gehören alle dem SYN an, 5 von ihnen sind ausgewiesene Rechte, bei anderen ist die politische Identität unklar. Die SYN-Führung ist sich darin einig, eine so genannte „programmatische Opposition“ betreiben zu wollen, d. h. die zu erwartende Regierungspolitik nicht pauschal und grundsätzlich abzulehnen, sondern Punkt für Punkt zu überprüfen und mit „konkreten“ Gegenvorschlägen zu beantworten. Führende PASOK-Politiker­Innen ließen bereits ihr Wohlwollen für die neue Orientierung von SYN/SYRIZA erkennen. Wie weit die Unterordnung (bzw. Selbstverleugnung) der anderen linken Organisationen des SYRIZA angesichts dieser Rechtswende der SYN-Führung noch gehen wird, bleibt abzuwarten. 

Die Grenzen, Beschränkungen und Widersprüche der beiden linken, aber reformistischen Parteien sind gerade mit dem offenen Ausbruch der kapitalistischen Krise und den Dezemberereignissen klarer zutage getreten als je zuvor in den letzten beiden Jahrzehnten. Man hat den Eindruck, dass sie ihre Wahlunterstützung nicht wegen, sondern trotz der Politik der Parteiführungen erhalten. Immerhin bleibt es ein Zeichen des Widerstands oder Protests, seine Stimme einer linken Partei zu geben.   
Das antikapitalistische Bündnis ANTARSYA
Das neu gegründete Bündnis Antikapitalistische Linke Allianz für den Umsturz (ANTARSYA), das von rund zehn Organisationen der radikalen, nicht-reformistischen Linken ins Leben gerufen wurde und sich hauptsächlich auf die positiven Erfahrungen der Bewegungen der letzten Jahre bezieht, erhielt 0,36 %, d. h. 25 000 Stimmen. Auch OKDE-Spartakos, die griechische Sektion der Vierten Internationale, nimmt an ANTARSYA teil. Zu den Wahlen 2007 waren noch die beiden Bündnisformationen MERA und ENANTIA getrennt angetreten. Das Wahlergebnis stellt sicher keinen großen Durchbruch dar, zeigt aber im Vergleich zu 2007 deutliche Fortschritte der auf Zusammenarbeit und den Aufbau der außerparlamentarischen Opposition in den Bewegungen setzenden radikalen Linken. Im größten und bedeutendsten Wahlkreis des Landes, der Athener Peripherie außerhalb des Stadtzentrums, erhielt ANTARSYA 0,55 % und scheint sich damit, wenn auch bislang nur ansatzweise, als wahrnehmbare politische Kraft zu profilieren.
Insofern ist der bescheidene Wahlerfolg sicher ein Hoffnungszeichen, muss aber auch als eine Art Kredit verstanden werden, der ANTARSYA gegeben wurde, damit sie ihn nun in der Praxis umsetzt. Ein positiver Effekt des Wahlergebnisses ist auch, dass die – besonders in der Vergangenheit – selbstgerechten und sektiererischen Führungen der größeren und kleineren Organisationen des Bündnisses zunehmend gezwungen sind, ihre Haltung angesichts der nur gemeinsam zu erzielenden Erfolge zu überdenken und sich entsprechend auf die neuen Möglichkeiten einzustellen. Dazu trägt auch der Anteil der Nichtorganisierten im Bündnis bei, der rund 15 % beträgt. All dies deutet darauf hin, dass sich in der anti­kapitalistischen Linken, die sich bewusst von den reformistischen Parteien abgrenzt, tatsächlich neue Horizonte eröffnen könnten. Inwieweit sich die Hoffnungen erfüllen werden, hängt vor allem von der Haltung und Entwicklung der in ANTARSYA vertretenen Organisationen selbst ab, aber auch davon, ob sich in SYRIZA oder vielleicht sogar in der KPG neue Bruchlinien entwickeln, die zur Stärkung der antikapitalistischen Einheit führen können. Entscheidend wird natürlich vor allem sein, wie sich mit der neuen Regierung der soziale Widerstand in den Betrieben und auf der Straße entwickeln wird. 
Perspektiven der neuen Regierung
An Zündstoff für soziale Konflikte wird es auch in Zukunft nicht mangeln. Symbolisch ist, dass Th. Pangalos, der frühere Außenminister, „Kommunistenfresser“ und Befürworter der harten Hand gegenüber illegalen Immigrant­Innen, zum stellvertretenden Ministerpräsidenten ernannt wurde. Die neue Regierung wird das Programm der Privatisierungen, der „Stabilisierung der Staatsfinanzen“ durch radikale Ausgabenbegrenzung im öffentlichen Bereich und der Aushebelung der Rentenversicherung und anderer Errungenschaften des Sozialstaats fortsetzen. Auf die Arbeitenden werden außerdem eine weitere Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse und eine Verstärkung des Niedriglohn-Sektors sowie der Arbeit ohne Sozialversicherung zukommen. In der Bildungspolitik ist eine verstärkte Privatisierung des Hochschulbereichs zu erwarten. Das Innenministerium, nun „Ministerium zum Schutz des Bürgers“ genannt, wird im Namen der Terrorbekämpfung die Politik des staatlichen Terrorismus zulasten der demokratischen Freiheiten vorantreiben. G. Papandreou selbst gab nach den Europa-Wahlen die Parole „Keine Toleranz für illegale Einwanderer!“ aus und kam damit einer weitverbreiteten und besonders gefährlichen Stimmung entgegen, die auch die wachsende Unterstützung für LAOS erklärt. Mit der ent
sprechenden Politik des Ausbaus von „Empfangsgebäuden“, die in Wirklichkeit besonders elende Haftanstalten darstellen, und der massenhaften Abschiebung unerwünschter Immigrant­Innen ist mit Sicherheit zu rechnen. In der Außenpolitik wird zweifellos die uneingeschränkte Unterstützung von NATO und EU-Militarismus richtungweisend bleiben. Nur konsequenter, breiter, einheitlicher, außerparlamentarischer Widerstand wird alle diese Aspekte der neuen alten Politik erfolgreich in Frage stellen können. 

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