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Länder

Die griechische Krise

Von Andreas Kloke | 14.09.2010

Im Oktober 2009 siegte PASOK, die Partei der „Panhellenischen Sozialistischen Bewegung“, mit 44% in den griechischen Parlamentswahlen und kam damit wieder an die Regierung, nachdem von 2004 bis 2009 die rechtskonservative Nea Dimokratia (ND), die etwa der CDU/CSU entspricht, regiert hatte, aber wegen der vielen Skandale, Korruptionsaffären und ihrer provokant neoliberalen Politik abgewirtschaftet hatte. ND sackte um mehr als 8% auf 33,5% ab. Dritte Partei wurde die KPG mit 7,5%, die damit aber auch geringfügig an Stimmen verlor. Viertstärkste Partei wurde erstmals der rechtsradikale, halbfaschistische LAOS, der „Volks-Orthodoxe Alarm“, mit 5,6%, der hauptsächlich ausländerfeindliche Hetze und ultranationalistische Demagogie betreibt. Die fünfte im Parlament vertretene Partei ist Synaspismos (SYN) / SYRIZA, ein Bündnis, das von dem ehemals eurokommunistischen, heute in etwa linkssozialdemokratischen SYN geführt wird. Zu SYRIZA gehören aber auch einige kleinere antikapitalistisch – revolutionäre Organisationen, die teils aus einem ex-stalinistischen oder trotzkistischen, halbtrotzkistischen oder auch linken eurokommunistischen Milieu stammen. SYRIZA erhielt 4,6% und damit auch weniger als bei den Parlamentswahlen von 2007. Die Wahlbeteiligung ging um 3% auf 72% zurück.

Im Oktober 2009 siegte PASOK, die Partei der „Panhellenischen Sozialistischen Bewegung“, mit 44% in den griechischen Parlamentswahlen und kam damit wieder an die Regierung, nachdem von 2004 bis 2009 die rechtskonservative Nea Dimokratia (ND), die etwa der CDU/CSU entspricht, regiert hatte, aber wegen der vielen Skandale, Korruptionsaffären und ihrer provokant neoliberalen Politik abgewirtschaftet hatte. ND sackte um mehr als 8% auf 33,5% ab. Dritte Partei wurde die KPG mit 7,5%, die damit aber auch geringfügig an Stimmen verlor. Viertstärkste Partei wurde erstmals der rechtsradikale, halbfaschistische LAOS, der „Volks-Orthodoxe Alarm“, mit 5,6%, der hauptsächlich ausländerfeindliche Hetze und ultranationalistische Demagogie betreibt. Die fünfte im Parlament vertretene Partei ist Synaspismos (SYN) / SYRIZA, ein Bündnis, das von dem ehemals eurokommunistischen, heute in etwa linkssozialdemokratischen SYN geführt wird. Zu SYRIZA gehören aber auch einige kleinere antikapitalistisch – revolutionäre Organisationen, die teils aus einem ex-stalinistischen oder trotzkistischen, halbtrotzkistischen oder auch linken eurokommunistischen Milieu stammen. SYRIZA erhielt 4,6% und damit auch weniger als bei den Parlamentswahlen von 2007. Die Wahlbeteiligung ging um 3% auf 72% zurück.
 
Die Politik des Memorandums

Jorgos Papandreou hatte als Präsident der oppositionellen PASOK im Wahlkampf versprochen, die arbeiterfeindliche neoliberale Politik zu beenden, die Löhne und Sozialausgaben zu erhöhen und damit eine grundsätzliche Wende durchzusetzen. Er sagte, dafür sei „genug Geld da“. Aber schon wenige Wochen nach Regierungsbeginn stellte sich heraus, dass genau das Gegenteil eintreten würde. Angeblich wurde plötzlich „entdeckt“, dass das Staatsdefizit viel höher war als bis dahin bekannt und dass außerordentliche Maßnahmen zu ergreifen seien, um den Staatsbankrott abzuwenden. Damit begann ab Dezember eine endlose Abwärtsspirale. Griechenland, so hieß es, benötige immer mehr Kredite aus dem Ausland, die Kreditwürdigkeit des Staates fiel aber auf  „Junk“ – Niveau und schon im Januar wurde bekannt, dass Griechenland auf die Hilfe der EU und des Internationalen Währungsfonds (IWF) angewiesen sein würde.

Damit wurden so genannte Rettungs- und Sanierungsmaßnahmen eingeleitet, die schon in diesem und im nächsten Jahr zu einem radikalen Absinken des Lebensstandards für 85 -90% der Bevölkerung um etwa 35 – 40% führen werden. Täglich wurden und werden neue Maßnahmen bekannt gegeben, um die Löcher im Staatshaushalt zu stopfen. Im Mai vereinbarte die Regierung das MEMORANDUM mit dem „Trio“. Dieses besteht aus der Europäischen Kommission, d.h. der Brüsseler Vertretung der Regierungen der EU, der Europäischen Zentralbank (EZB) und dem IWF, der die Interessen der US-Regierung vertritt, die in ihm über eine Sperrminorität verfügt. Das Memorandum ist praktisch das neue Grundgesetz in Griechenland, es bestimmt die Wirtschafts- und Sozialpolitik, nichts kann gegen seine Bestimmungen beschlossen werden. Die einzelnen Maßnahmen des Memorandums sind schon jetzt ein fast unerschöpflicher Katalog geworden und ständig kommen neue Maßnahmen hinzu, die sich ausschließlich gegen die arbeitende Bevölkerung richten und dazu bestimmt sind, sie systematisch auszuplündern. Die Politik des Memorandums bedeutet eine bewusst herbei geführte Rezession, in die die griechische Wirtschaft gestürzt wird, indem die Staatsausgaben zu ihrer angeblichen Sanierung drastisch gekürzt und die verbliebenen Reste des Sozialstaats demontiert werden. Die Rezession wird dieses Jahr 4% des Brutto-Inlandprodukts (BIP) betragen und bis Ende 2012 auf ca. 12% steigen.

Die Politik des Memorandums begann mit einer rund 15-prozentigen Kürzung der Löhne für die Staatsangestellten, eine Kürzung, die sich auch in den Privatsektor fortsetzen wird. Zehntausende von Stellen im öffentlichen Dienst werden abgebaut. Die Besteuerung von kleinem Immobilienbesitz wird angehoben. Die staatlichen Investitionen werden für 2010 und 2011 um 1,5 Mrd. Euro reduziert. Das Recht auf Arbeitslosengeld wird beschnitten. Daneben wurde die Mehrwertsteuer (MWST) für lebenswichtige Produkte wie Grundnahrungsmittel von 9 auf 11%, für andere Produkte von 19 auf 23% erhöht. Ab 2011 werden 30 bis 50% der lebenswichtigen Produkte in die Kategorie der mit 23% MWST besteuerten Produkte überführt. Die Inflation ist bereits auf 5,5% gestiegen, die höchste Inflationsrate seit 1997.

Die Arbeitsverhältnisse werden flexibilisiert und radikal verschlechtert. 30% der bisher unbefristeten Arbeitsverträge werden in befristete oder anders verschlechterte umgewandelt. Die Preise für Brennstoffe, Benzin, Heizöl, Eisenbahntickets und für öffentliche Verkehrsmittel werden drastisch erhöht. Wer glaubt, die Griechinnen und Griechen hätten über ihre Verhältnisse gelebt, sollte wissen, dass der Durchschnittsverdienst bei etwa 1000 Euro liegt. Die Privatisierung des gesamten öffentlichen Sektors mit Banken, Wasserversorgung, Häfen und Flughäfen sowie staatlicher Immobilien soll zugunsten der Großkonzerne und Banken entscheidend vorangetrieben werden. Die Energieversorgung wird ebenfalls den Zielen des Memorandums untergeordnet. Es wird geschätzt, dass die Strompreise in den nächsten drei Jahren um 50% steigen werden, die Institute der Gewerkschaften erwarten eine Erhöhung von 100%. Durch diese Politik ist die Arbeitslosigkeit in den Monaten von Juni 2009 bis Juni 2010 offiziell von 9,5 auf 12% gestiegen, in Wirklichkeit liegt sie bei mindestens 18% und wird sich nach Schätzungen der Gewerkschaftsinstitute bis Ende des Jahres auf 20% erhöhen. Dazu ist zu bemerken, dass der Anteil der sozial Ausgegrenzten, also Menschen, die in den Statistiken praktisch
nicht auftauchen und zu denen u. a. legale und so genannte illegale Ausländerinnen und Ausländer gehören, bereits jetzt bei etwa 20% liegt.

Besonders schlimm ist die Änderung des Rentengesetzes, das im Juli von Regierung und Parlament beschlossen wurde. Das  Rentenalter wird drastisch heraufgesetzt, praktisch wird niemand mehr unter 65 Jahren eine Rente bekommen können. Davon sind besonders die Frauen betroffen, die von 7 bis 15 Jahre länger arbeiten müssen. Gleichzeitig werden die Renten um ca. 35% gesenkt und das bei einem durchschnittlichen Rentenniveau von derzeit weniger als 600 Euro. Insgesamt werden die Renten auf diese Weise um etwa 50% sinken und man kann damit sagen, dass das öffentliche Rentensystem praktisch abgeschafft wird. Die Lohnabhängigen werden so gezwungen, ihre Spargroschen in Privatversicherungen zu stecken, in der Hoffnung, auf diese Weise später eine kleine Rente zu erhalten.
 
Insgesamt bedeutet die Politik des Memorandums, dass die Errungenschaften der Arbeiterbewegung der Jahrzehnte seit dem 2. Weltkrieg und besonders nach 1974 in einem beispiellosen und mit ungeheurer Wucht durchgeführten Angriff seitens des Banken- und Finanzkapitals, der herrschenden Klassen Griechenlands und Europas und ihrer Regierung in Athen abgeschafft und zunichte gemacht werden. Diese Politik kommt einzig und allein den griechischen und ausländischen Banken zugute, die griechische Staatsanleihen halten und deren Profite abgesichert werden sollen. Die Staatsverschuldung beträgt 115% des BIP und liegt bei 259 Mrd. Euro, wobei die ausländische Verschuldung mit 120 Mrd. relativ hoch ist und französische Banken einen Anteil von 75 Mrd. und deutsche von 43 Mrd. halten.

Die wirklichen Gründe für die griechische Staatsverschuldung

Nach dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 2008 hat die damalige ND-Regierung den maroden und bankrotten Banken Griechenlands 28 Mrd. Euro zu ihrer Rettung aus Steuermitteln zur Verfügung gestellt. Dazu kamen weitere 25 Mrd. Euro, die die PASOK – Regierung den Banken Anfang dieses Jahres zuschob. Im August kamen noch einmal 25 Mrd. hinzu. Den Banken wurden also in nur zwei Jahren insgesamt 78 Mrd. Euro praktisch auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung geschenkt. Wenn von Verschwendung im griechischen Staatshaushalt gesprochen wird, ist vor allem zu berücksichtigen, dass Griechenland EU – weit den höchsten prozentualen Anteil an Rüstungsausgaben im Staatsbudget aufweist und als kleines Land auch in absoluten Zahlen einer der weltweit größten Importeure von Rüstungsgütern ist. Von diesen Importen profitieren vor allem deutsche und französische Rüstungskonzerne. Griechenland hat in den Jahren 1990 – 2008 Rüstungsgüter in Höhe von 75 Mrd. Euro importiert, die Türkei im gleichen Zeitraum in Höhe des doppelten Betrages. Dazu kommen weitere gesellschaftlich sinnlose Ausgaben wie die Kosten für die Austragung der Olympischen Spiele 2004 in Athen, die auf 20 bis 30 Mrd. Euro geschätzt werden und ebenfalls hauptsächlich deutschen und französischen Großkonzernen zugute kamen. Griechische und ausländische Medien verbreiten gern, dass der aufgeblähte und ineffektive griechische Staatsapparat für die Krise verantwortlich ist. Tatsache ist aber, dass der prozentuale Anteil der Ausgaben für die Staatsdienste im Staatshaushalt in Griechenland niedriger ist als z.B. in Deutschland. Das hängt mit den in Griechenland niedrigeren Gehältern zusammen.

Es ist wahr, dass es in Griechenland Korruption, Vetternwirtschaft, Bereicherung von zuständigen Ministern und Politikern usw. gibt. Zu fragen ist aber: Wer besticht wen? In den Siemens – Bestechungsskandal, der in Griechenland hohe Wellen geschlagen hat, sind die Minister beider großen Parteien verwickelt. Wenn bedeutende Rüstungsaufträge für ausländische Konzerne vergeben werden, scheinen Schmiergelder in Millionenhöhe im Spiel zu sein. Die Korruption dient also in erster Linie den Großkonzernen der großen EU – Länder.

Andere gewaltige Lücken im Staatshaushalt entstehen dadurch, dass das Großkapital nur sehr minimal Steuern bezahlt. Griechenland hat mit 4000 Schiffen die größte Handelsflotte der Welt, das Reeder-Kapital bezahlt aber kaum Steuern. Der Steuersatz für Unternehmensgewinne wurde 2001 von 40 auf 25% gesenkt und liegt heute im EU-Durchschnitt bei über 30%. Unternehmen gründen offshore – Gesellschaften z.B. in Zypern, wo sie mit nur 10% besteuert werden. Dazu kommt, dass die orthodoxe Kirche, der größte Immobilienbesitzer Griechenlands, überhaupt keine Steuern bezahlt.

Es wird gesagt, dass die Politik des Memorandums notwendig ist, um Griechenland vor dem Staatsbankrott zu retten. In Wirklichkeit wird Griechenland in den nächsten Jahren einen immer höheren Prozentsatz seines Staatshaushalts für die Abbezahlung seiner Schulden und der Zinsen und Zinseszinsen aufbringen müssen und aus den Klauen der Gläubiger, des IWF und in der EU, nie mehr herauskommen. Die jetzige Staatsverschuldung von 115% des BIP wurde als unerträglich angesehen und Griechenland musste durch zusätzliche Kredite, wie es heißt, vor dem Staatsbankrott gerettet werden. Nach den Berechnungen unserer Gläubiger und Retter selbst wird die Staatsverschuldung  am Ende von 2016 auf 148% des BIP steigen, vor allem weil die Rezession sinkende Steuereinnahmen zur Folge haben wird. Die Politik des Memorandums ist also absurd, wenn man ihre offizielle Zielsetzung zugrunde legt. Sie ist nicht absurd im Sinn der Rettung der Profite des Banken- und Finanzkapitals, die in Griechenland auf dem Spiel stehen.

In Nordamerika und den Ländern der EU sind seit 2008 14 Billionen Dollar in das Bankensystem hineingepumpt worden, das damals pleite gegangen war und nur durch den größten Raubzug aller Zeiten zu Lasten der Steuerzahler vorläufig gerettet wurde. Die überall steigende Staats-, aber auch die Privatverschuldung ist vor allem auch die Folge der Rezession nach dem Ausbruch der großen Krise im Jahr 2008. Insofern ist die Staatsverschuldung Griechenlands ein sehr relatives Phänomen, andere so genannte PIIGS – Länder, besonders Spanien, aber auch Großbritannien sind insgesamt viel stärker verschuldet. Die FAZ schreibt daher am 14.6. zu Recht: „Die Einschätzung, dass es sich bei dem 750 Mrd. Euro schweren Rettungspaket der EU um ein weiteres Hilfspaket für Banken handelt, trifft erst recht im Fall von Spanien zu.“ Die Verschuldung der USA wird im nächsten Jahr 350 – 400% des BIP erreichen und man kann dort von einer tickenden Zeitbombe für die Weltwirtschaft sprechen. Was Griechenland betrifft, das wirtschaftlich nur etwas mehr als 2% der EU ausmacht, hat sich bereits herausgestellt, dass es sich um eine Krise des Euros insgesamt handelt. Es sind also in erster Linie internationale und weltweite Faktoren, die die Staatsverschuldung Griechenlands so dramatisch erscheinen lassen.

Es ist auch falsch zu behaupten, die griechischen Regierungen hätten sich vor 2001 durch geschönte Statistiken in den Euro hinein getrickst. Griechenland ist hauptsächlich de
swegen Mitglied der EU und der Eurozone, weil dies den geostrategischen Interessen der großen imperialistischen Staaten der EU und vor allem Deutschlands entspricht. Außerdem nützt Griechenlands Mitgliedschaft direkt dem deutschen Großkapital, das in Griechenland Geschäfte macht, investiert und besonders nach 2000 eine Reihe von Filialen aufgebaut hat. Auch dass der griechische Staat selbst ein kleiner imperialistischer Räuber ist, griechisches Kapital Albanien und die – frühere jugoslawische – Republik Mazedonien dominiert und bedeutenden Einfluss in Serbien, Bulgarien, Rumänien und bis in die Ukraine hat, ist für die großen EU-Staaten eher nützlich.
 

Der politische Aspekt

Die Politik des Memorandums wird zu einer radikalen Polarisierung des sozialen und politischen Lebens führen und das Bewusstsein der Menschen über ihre eigene Lebensrealität, die ihres Landes und der Welt beträchtlich verändern. Das griechische Parlament war am 5. Mai und am 20. Juli, als über das Memorandum und die das neue Rentengesetz abgestimmt wurde, nur noch dazu da, bereits beschlossene Diktate abzusegnen. 157 der anfangs 160 PASOK – Abgeordneten haben sich für diese schäbige Rolle missbrauchen lassen und sich damit für immer mit Schimpf und Schande beladen. Nur drei PASOK – Abgeordnete haben es gewagt, dagegen zu stimmen, und wurden sofort aus der PASOK – Fraktion ausgeschlossen. Der rechtsextreme LAOS stimmte ebenfalls dafür, ebenso einige ND – Abgeordnete, obwohl ND aus taktischen Gründen nicht dafür stimmte, im Grunde aber die Linie des Memorandums unterstützt.

Mit diesen Abstimmungen ist Griechenland in Wirklichkeit keine Demokratie mehr, sondern es ist einer neuen Form von Diktatur unterworfen, der Diktatur der Gläubiger, also der des griechischen, europäischen und weltweiten Banken- und Finanzkapitals. Was auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet beschlossen wird, steht unter der absoluten Kontrolle des Trios. Damit ist die Tarifautonomie praktisch beseitigt. Ein Land, in dem der Preis der Ware Arbeitskraft nicht einmal ansatzweise mehr frei ausgehandelt werden kann, ist auch nach bürgerlicher Staatsauffassung keine Demokratie mehr. Der Herrschaft der Institutionen des Trios, der Europäischen Kommission, der EZT und des IWF fehlt jede demokratische Legitimation. Das griechische Volk hat sie weder gewählt noch gewollt. Was sich im griechischen Parlament abspielt, ist nur noch Palaver, um die tatsächlichen Machtverhältnisse notdürftig zu verschleiern. Unsere „sozialistische“ Regierung, deren Premier sogar Vorsitzender der „Sozialistischen Internationale“ ist, ist nichts als eine Marionettenregierung in den Händen derjenigen, die in Europa und weltweit die wirkliche ökonomische Macht ausüben.

Griechenland hat in der Vergangenheit und besonders im 20. Jahrhundert schwere Formen von Unterdrückung und Diktatur erlebt. Die schlimmste war die deutsche Besatzung im 2. Weltkrieg von 1941 bis 1944. In diesen Jahren hat sich eine Partisanenbewegung entwickelt, die sich aus Hunderttausenden von Menschen zusammensetzte und eine regelrechte Volksbefreiungsarmee hervorbrachte. Die Deutschen waren schließlich froh, dass sie wieder abziehen konnten. Von 1967 bis 1974 hatten wir die Obristen-Diktatur, die sich auf die direkte Unterstützung des CIA, der USA und der NATO stützte. Im November 1973 besetzten Studierende und andere junge Leute das Polytechnio, die Technische Hochschule im Zentrum von Athen, um gegen die Militärdiktatur zu protestieren. Panzer der Junta drangen in das Polytechnio ein und massakrierten Dutzende von jungen Protestierenden. Die Junta war dadurch aber so diskreditiert, dass sie nach einigen Monaten abtreten musste. Man kann sagen, dass die deutsche Besatzung und die Junta am Volkswiderstand gescheitert sind. Die heutige Form der Diktatur wird schwieriger zu besiegen sein, weil sie von einer geschlossenen Front der herrschenden Klassen Griechenlands, der EU und der USA ausgeübt wird. Um die Politik des Memorandums zu Fall zu bringen, werden außerordentliche massenhafte Aktionen notwendig sein und schließlich der Kapitalismus selbst abgeschafft werden müssen. Anders ist diese Politik nicht zu stoppen.
 
Griechenland ist auch das Versuchskaninchen für die Liquidierung des westeuropäischen Sozialmodells insgesamt, wie es sich zwischen 1950 und 1970 entwickelt hat. Überall wird seit Jahrzehnten dieselbe neoliberale Politik der Umverteilung des gesellschaftlichen von unten nach oben betrieben, aber sie wird sich in nächster Zukunft noch beschleunigen. Nicht nur in Ländern wie Spanien und Portugal, sondern auch in Großbritannien, Frankreich und Deutschland wird die Sparpolitik rigoros verschärft und kann bald neue Dimensionen wie in Griechenland annehmen. Die im Juni von den G20 in Toronto beschlossenen Richtlinien, die Staatsverschuldung in den wichtigsten kapitalistischen Ländern bis 2013 um 50% zu reduzieren, bestätigen diese Tendenz.

Der soziale Widerstand und die Linke

In Griechenland haben in diesem Jahr bereits fünf Generalstreiks und eine Reihe anderer Streiks stattgefunden. Der Widerstand wird damit von den Betroffenen, der arbeitenden Bevölkerung und der Jugend, getragen. Besonders die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes beteiligen sich an den Streiks, in den privaten Unternehmen ist es schwieriger, da immer Entlassung droht. Die Gewerkschaften spielen die wichtigste Rolle, werden aber durch die Haltung der Gewerkschaftsführungen behindert, die von einigen Ausnahmen abgesehen von PASOK – Funktionären geleitet werden. Diese werden oft von der Partei bezahlt und dienen als Transmissionsriemen der Regierungspolitik. Auf Grund dieser Situation hat es seit Mitte der 80er Jahre nur noch wenige erfolgreiche Streiks gegeben und die Gewerkschaftsbewegung wurde seitdem stark geschwächt. 2001 gab es einen spontanen Streik und eine große Demonstration von Hunderttausenden in Athen, als die damalige PASOK – Regierung mit einem Gesetzesentwurf das Rentensystem drastisch beschneiden wollte.

Im Dezember 2009 setzte eine Wiederbelebung der Basiseinheiten in vielen Gewerkschaften ein, die dazu aufriefen, sofort praktische Kampfschritte gegen die Regierungspolitik einzuleiten. In diesen gewerkschaftlichen Basiskomitees spielen Mitglieder antikapitalistisch– revolutionärer Organisationen eine führende Rolle. Diese Basiskomitees konnten durchsetzen, dass schon im Dezember ein wichtiger Streik- und Kampftag zustande kam. Die Aktivitäten dieser Komitees und die allgemeine Stimmung setzten die Gewerkschaftsführungen so stark unter Druck, dass ab Februar die Generalstreiks mit Protestmärschen organisiert wurden, die in Athen zum Parlament führten. Die Protestmärsche erreichten am 5. Mai, dem Tag der Abstimmung des Memorandums im Parlament, ihren Höhepunkt. 200.000 Menschen nahmen allein in Athen an der Demonstration teil. Dabei kam es zu dem tragischen Zwischenfall, dass in eine Bank im Athener Zentrum, an der die Demo vorbeiführte, ein Brandsatz geworfen wurde. Die Angestellten der Bank waren mit Entlassung bedroht worden für den Fall, dass sie nicht zur Arbeit erschienen, es gab keinen Feuerschutz und die Angestellten waren in der Bank ei
ngeschlossen. Dadurch kamen drei Bankangestellte ums Leben, wobei es unbekannt ist, ob Provokateure oder einige hirnlose Elemente des „schwarzen Blocks“ den Brandsatz geschleudert haben. Die Regierung und die Medien ergriffen sofort die Gelegenheit, die Schuld für dieses Ereignis der Bewegung insgesamt in die Schuhe zu schieben und tatsächlich hat der Vorfall der Entwicklung der Massenbewegung schwer geschadet. Die Demo am 20. Mai und die im Juli hatten eine deutlich geringere Beteiligung und die erste Runde der Auseinandersetzung ging insgesamt an die Regierung, auch wenn sie große Probleme hat, die Bevölkerung von der Notwendigkeit ihrer Politik zu überzeugen. Die Wut, aber auch die Ratlosigkeit und teilweise Verzweiflung sind jetzt schon riesig, aber die Härte aller Maßnahmen des Memorandums wird sich erst ab dem kommenden Herbst voll auswirken und allen bewusst werden.

Die an PASOK orientierten Gewerkschaftsbürokraten versuchen, der Bewegung die Spitze zu nehmen und abzuwiegeln. Mit gelegentlichen auf einen Tag beschränkten Generalstreiks ist die Regierungspolitik nicht zu Fall zu bringen. Die Führungen der beiden großen linken Parteien, KPG und SYN, waren auf den Angriff in Form des Memorandums weder ideologisch noch programmatisch vorbereitet und setzen ihre unzureichende Politik der letzten Jahre fort. Die KPG ist allgemein für den Sozialismus, will ihn aber über Zwischenetappen wie „Volksökonomie“ und „Volksmacht“ erreichen, die den Kapitalismus direkt nicht in Frage stellen. Die Parteiführung ist sehr nationalistisch und spricht sich für das Ausscheiden aus der EU aus. Die KPG ist eine sehr legalistische Partei und fest im parlamentarischen System und seinen Spielregeln verwurzelt. Dabei ist sie extrem sektiererisch, lehnt jede Zusammenarbeit mit allen anderen linken Parteien und Organisationen ab und denunziert diese als Befürworter des kapitalistischen Systems. Bei den Mobilisierungen und Demos stellen die KPG und ihre Gewerkschaftsfront PAME rund 50% der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, halten ihren Block aber von allen anderen weit entfernt und spalten damit die Bewegung. Die Politik der KPG zielt darauf ab, ihren eigenen Einfluss auszuweiten, bietet der Bewegung aber keine politische Perspektive. In Wirklichkeit glaubt die Führung der KPG nicht, dass durch die Bewegung die Politik des Memorandums zu stoppen und umzukehren ist.
 
Die Führung von SYN – SYRIZA repräsentiert die andere Variante der unserer Ansicht nach linksreformistischen Politik, die das System nicht grundsätzlich in Frage stellt. Sie setzt darauf, durch eine andere, arbeiterfreundliche Wirtschafts- und Sozialpolitik im Sinne von Keynes den Sozialstaat zu erhalten und auszubauen. Sie meint also, das System könne grundsätzlich anders und besser funktionieren und eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von oben nach sei im gegebenen sozialpolitischen Rahmen zu verwirklichen. Die SYN – Führung geht auch von einer Reformierbarkeit der Institutionen der EU aus, anstatt zu erkennen, dass die EU insgesamt einen aggressiv kapitalistischen und imperialistischen Charakter hat. Der strategische Hauptfehler besteht in dem Glauben, die falsche Politik der Regierungen und nicht die Funktionsweise des Kapitalismus selbst sei die Ursache der Krise. Die SYN – Führung tritt daher auch für den Verbleib Griechenlands in der Eurozone ein und meint, dass durch Neuverhandlungen mit der EU über die Staatsschulden und durch Ausschaltung des US-orientierten IWF eine Verbesserung und Entschärfung der Situation erreichbar ist. Wir, d.h. meine Organisation, OKDE – Spartakos, Teil der 4. Internationale, halten diese Politik für reformistisch und illusorisch.

Die linke Bündnisformation ANTARSYA

OKDE – Spartakos ist Teil einer Bündnisformation von 8 antikapitalistisch – revolutionären Organisationen, die sich ANTARSYA nennt und im Januar 2009 gegründet wurde. Eine der größten Organisationen ist NAR, das 1989 aus einem bürokratischen Ausschluss des gesamten Jugendverbandes der KPG entstanden ist, der gegen die damalige Regierungsbeteiligung von SYN und KPG mit der rechten ND protestiert hatte. Relativ stark ist auch die halbtrotzkistische SEK, Schwesterorganisation der britischen SWP. Wir von OKDE glauben, dass ANTARSYA nach Jahrzehnten furchtbarer Zersplitterung der außerparlamentarischen antikapitalistischen Linken jenseits der beiden reformistischen Parteien einen bedeutenden Fortschritt darstellt. Mitglieder der Organisationen spielen eine wichtige und vorwärtstreibende Rolle in den erwähnten Basiskomitees der Gewerkschaften und der Bewegung der an den Universitäten Studierenden, wo sie als EAAK auftreten. Die Aktivistinnen und Aktivisten von ANTARSYA gehören damit zur vordersten Front des gesellschaftlichen Widerstands an der Basis, allerdings auch Mitglieder von SYRIZA und andere.

ANTARSYA verfolgt im Gegensatz zu KPG und SYN – SYRIZA eine prinzipiell richtige politische und programmatische Orientierung, besonders die Nichtanerkennung der Schulden. Wir sind der Meinung, dass die griechische Bevölkerung weder den griechischen noch den ausländischen Banken auch nur einen Cent schuldet. Schlüsselforderung ist auch die entschädigungslose Enteignung der Banken unter demokratischer Kontrolle der Beschäftigten selbst, außerdem das Verbot der Entlassungen, eine deutliche Reduzierung der Arbeitszeit, eine drastische Senkung der Rüstungsausgaben, der Austritt aus der NATO sowie deren Auflösung, ein antikapitalistischer Bruch mit der Eurozone und der Austritt aus der Eurozone, da der Euro der arbeitenden Bevölkerung Griechenlands nur zusätzliche Probleme gebracht hat. Entscheidend ist, dass ANTARSYA grundsätzlich die Logik der Übergangsforderungen akzeptiert und damit nicht vor dem Bruch mit dem bestehenden ökonomischen und politischen System zurückschreckt. Die Art von Übergangsprogramm, das ANTARSYA entwickelt, ist aber noch in der Diskussion und ausbaufähig. Auch in ANTARSYA besteht noch überwiegend der Glaube, ein Austritt aus der EU sei schon ein entscheidender Schritt nach vorn, wobei übersehen wird, dass ein stärker isolierter Kapitalismus in Griechenland alles andere als eine zukunftsweisende Perspektive darstellt.

Die Widerstandsbewegung in Griechenland wird letztlich nur erfolgreich sein, wenn sich die Bewegung überall in Europa, auch in Deutschland und Frankreich, stärker entwickelt. Der geschlossenen Front der herrschenden Klassen in der EU muss ein einheitlicher Widerstand der arbeitenden Bevölkerung Europas gegenübergestellt werden. Internationalismus statt nationalistisch beschränkter Illusionen ist hier erforderlich. Die Bewegung braucht unbedingt die Einheit aller oppositionellen Kräfte gegen die Regierungspolitik in der Aktion. Die Streiks und Protestmärsche müssen einheitlich durchgeführt werden. Das Motto sollte sein: Getrennt marschieren – vereint schlagen. Alle Versuche, den Widerstand und die Solidarität der betroffenen Menschen selbst zu organisieren, müssen vorbehaltlos und uneigennützig unterstützt werden, in den Betrieben, den Schulen, Universitäten, Krankenhäusern, aber auch durch den Aufbau von Volksversammlungen in den Städten, Stadtteilen und Gemeinden. Die Linke wird letztlich aber nur dann das Memorandum zu Fall bringen, wenn sie eine realistische
Perspektive zu seiner Überwindung aufzeigt und dafür mobilisiert. Das wird nur durch die erwähnte Übergangsprogrammatik möglich sein und durch die Stärkung der antikapitalistisch – revolutionären Kräfte zu Lasten des Reformismus. – Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit!

Anmerkung Verfasser: Eine Genossin hat mich in Wiesbaden dazu angeregt, meine Einleitung, die ich in vier verschiedenen Städten gehalten habe und die überall etwas verschieden war, in eine elektronische Fassung zu bringen. Herausgekommen ist dabei anscheinend eine Mischform aus Text und Redebeitrag mit etwas mehr Einzelheiten in den beiden letzten Abschnitten als in den mündlichen Einleitungen. – Andreas Kloke, 27.8.2010

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