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Betrieb & Gewerkschaft

Die Gewerkschaften im Parteienstaat

Von D. Berger | 01.02.2004

Die sinkende Glaubwürdigkeit der etablierten Parteien hat in den vergangenen Jahren vor allem in Mitgliederverlusten und in nachlassender Wahlbeteiligung ihren Ausdruck gefunden. Der Loslösungsprozess der Gewerkschaften von der SPD ist allerdings immer noch zaghaft. Die Gründe liegen im Wesen der Gewerkschaftsbürokratie.

Die sinkende Glaubwürdigkeit der etablierten Parteien hat in den vergangenen Jahren vor allem in Mitgliederverlusten und in nachlassender Wahlbeteiligung ihren Ausdruck gefunden. Der Loslösungsprozess der Gewerkschaften von der SPD ist allerdings immer noch zaghaft. Die Gründe liegen im Wesen der Gewerkschaftsbürokratie.

Seit Jahren schon finden zwei scheinbar sich widersprechende, in Wirklichkeit sich ergänzende Entwicklungen statt. Auf der einen Seite sind immer mehr Menschen von der herrschenden Politik und von SPD-Grünen, CDU/CSU und FDP enttäuscht und wenden sich von ihnen ab. Auf der anderen Seite festigen gerade diese Parteien immer mehr ihre Macht. Sie können dies, weil die Menschen keine Alternative sehen und sich von der Politik insgesamt abwenden – es sei denn, sie setzen für ihre Karriere auf die neoliberale Politik.

Hans Herbert von Arnim hat vor allem die Selbstbedienungsmentalität dieser Parteien immer wieder angeprangert und die unterschiedlichsten Missstände aufgelistet: die staatliche Parteienfinanzierung, die Ämterkungelei, die hohe öffentliche Versorgung der Abgeordneten usw.1  Dass die Macht dieser Parteien noch wachsen kann, hat dieselbe Ursache wie der ungebremste Sozialabbau: Es mangelt an Selbstorganisation und an der Unabhängigkeit der Gewerkschaften von der SPD.
Parteienstaat
Strukturell bedeutsam ist die Besetzung praktisch aller öffentlichen Ämter nach dem Parteienproporz. Wer was werden will, muss in einer dieser Parteien sein. Und wer dann in seiner Partei noch Karriere macht, hat die besten Aussichten auf einen besonders gut versorgten Verwaltungsposten oder dergleichen. Bevor z. B. Herr Gerster sein Amt antrat, hatte er dafür gesorgt, dass die Bezüge des Vorstandsvorsitzenden der heutigen Bundesagentur auf 250 000 € verdoppelt wurden. Seine Abfindung beträgt jetzt über 427 000 €. In weniger als zwei Jahren hat dieser SPD-Politiker ca. 900 000 Euro für sich herausgeholt. Dafür muss eine Verkäuferin ca. 45 Jahre lang arbeiten und bekommt anschließend eine Rente knapp über dem Sozialhilfesatz (gegenüber 8000 € für Herrn Gerster).

Die Hauptbastion der SPD sind heute die Zehntausenden von Menschen, die in der einen oder anderen Form über ihre Parteizugehörigkeit von der Postenverteilung in diesem Parteienstaat profitieren, und zwar angefangen bei städtischen Ämtern über die Landtage, Landesämter, Rundfunkanstalten, Bundesbehörden usw. bis hin zu den höchsten Richterämtern.
Parteien und Gewerkschaften
Gegen diesen Parteienstaat machen die Gewerkschaften nicht Front, weil auch sie in das System eingebunden sind. Nicht wenige Posten in Verwaltungsräten etc. werden den Gewerkschaften zugedacht. Wichtiger aber: Die SPD bindet bisher immer noch recht erfolgreich die Gewerkschaftsspitzen an die Sozialdemokratie. Dies funktioniert deswegen so gut, weil es eine gegenseitige Stützung von Gewerkschaftskarriere und Parteikarriere gibt. Wer jahre- oder jahrzehntelang der SPD die Stange gehalten hat, kann als Gewerkschaftsfunktionär in Ministerämter aufsteigen (Riester, Schartau usw.), im Rundfunkrat landen oder einen sonstigen gut dotierten Posten ergattern. Und da man sich als gut bezahlter Bürokrat schließlich schon lange an das gute Leben gewöhnt hat, hat mensch schon lange keine Skrupel mehr.

Diese enge Bindung hat sich allerdings in den letzten Jahren gelockert. Mehr und mehr reduziert sie sich auf die Verflechtung der Spitzen des gewerkschaftlichen Hauptamtlichenapparats mit dem SPD-Apparat. Kaum noch jemand traut sich heute, in der Gewerkschaft eine offene Werbung für die SPD zu betreiben. Und selbst die unterschwelligen Propagandaversuche werden oft schnell erkannt und ernten empörten Protest. Unter den einfachen KollegInnen und ehrenamtlichen FunktionärInnen ist das Vertrauen in die SPD auf einem Tiefpunkt angelangt. Für die Masse der Kolleg- Innen, die gerade keine Karriere in der Stadtverwaltung, im Landtag oder als Verwaltungsrat vor Augen haben, ist die SPD schon seit Jahren "eine Partei wie jede andere". Zu sehr haben gerade die Reformen der letzten Jahre den neoliberalen Charakter dieser Partei offen gelegt.
Die Gewerkschaften im Griff der Bürokratie
In nächster Zeit ist eine weitere politische Schwächung der SPD zu erwarten und zwar aufgrund der wachsenden Kluft zwischen ihr und den Gewerkschaften. Im Gegensatz nämlich zu "Parteibuchbeamten" im Öffentlichen Dienst sind Gewerkschaftsfunktionäre – aufgrund des Doppelcharakters der Gewerkschaften – strukturell anderen Drücken ausgesetzt. Setzt sich die neoliberale Politik in der SPD fort – und nichts Anderes ist aufgrund der Verwobenheit dieser Partei mit dem herrschenden System zu erwarten – müssen auch die Gewerkschaftsführungen sich zumindest in Worten davon distanzieren. Das wird objektiv die Loslösung von der SPD fördern wie auch die Argumentation für eine Unabhängigkeit der Gewerkschaften von der SPD und der herrschenden Politik überhaupt.

In dieser Situation stellt sich für die sozialistische Linke eine doppelte Aufgabe: Die Durchsetzung einer alternativen Gewerkschaftspolitik wird nur mit Hilfe einer besseren Organisierung gelingen. Wir brauchen eine offen auftretende linke Gewerkschaftstendenz. In den Gewerkschaften und Betrieben muss sie der bürokratischen Politik der Gewerkschaftsführung ein umfassendes klassenkämpferisches Programm entgegenstellen. Nur so kann der Kampf für eine andere "Linie" vorankommen. Nur wenn die Gewerkschaftslinke kontinuierlich und nach außen erkennbar auftritt, kann sie Massenanhang für eine Alternative gewinnen.

Außerdem muss die sozialistische Linke für den Aufbau einer Sozialistischen Arbeiter-Innenpartei Stellung beziehen. Das parteipolitische Vakuum, was sich objektiv entwickelt, kann sonst sehr schnell von Populisten oder Rechtsextremisten gefüllt werden.

1 "Das System. Die Machenschaften der Macht" (Droemer)

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