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Innenpolitik

Die EHEC-Epidemie

Von Thadeus Pato | 01.07.2011

Den Umgang von Politik und veröffentlichter Meinung mit dem Ausbruch der durch die neue Abart eines altbekannten Erregers (des Darmkeims Escherichia coli) erzeugten Epidemie kann man am treffendsten mit einem Bonmot des polnischen Literaten Kazimierz Bartoszewicz qualifizieren: „Dummheit ist ansteckend. Verstand wächst sich kaum zur Epidemie aus.“

Den Umgang von Politik und veröffentlichter Meinung mit dem Ausbruch der durch die neue Abart eines altbekannten Erregers (des Darmkeims Escherichia coli) erzeugten Epidemie kann man am treffendsten mit einem Bonmot des polnischen Literaten Kazimierz Bartoszewicz qualifizieren: „Dummheit ist ansteckend. Verstand wächst sich kaum zur Epidemie aus.“

Der Keim, der die Epidemie auslöste, ist wie gesagt seit Langem bekannt. Verschiedene Serotypen von EHEC (der Variante des eigentlich harmlosen Darmkeims Escherichia coli, die die sog. enterohämorrhagische Colitis auslöst) sind mindestens seit 1977 identifiziert. Seit 1998 existiert in Deutschland eine Meldepflicht betreffend das Auftreten dieser Erreger. Dass sie schwere Erkrankungen bis hin zum Tod auslösen können, ist ebenfalls nichts Neues. Epidemisches Auftreten wurde in regelmäßigen Abständen beobachtet, so z. B. in den USA 1982 und 2006, in Japan 1996.

Neu ist lediglich die jetzt aufgetretene Variante, die eine erheblich größere krank machende Potenz aufzuweisen scheint, als die bisher bekannten.
Verschwörungstheorien …
Natürlich traten, wie immer in solchen Fällen, die notorischen VerschwörungstheoretikerInnen auf den Plan, die mutmaßten, die neue EC-Variante sei aus einem Labor entwischt oder sogar gezielt in Umlauf gebracht worden. Da ist aus mehrerlei Gründen grober Unfug. Zum einen würde es aus bestimmten Gründen keinem MikrobiologInnen einfallen, als biologischen Kampfstoff EC einzusetzen, da gibt es erheblich attraktivere Möglichkeiten. Zum anderen sind Bakterien auch ohne menschliches Zutun höchst wandlungsfähig. Sie können untereinander Gensequenzen austauschen, gelegentlich auch über Artgrenzen hinweg, und so ihre Eigenschaften erheblich verändern. Bei der neu entdeckten EHEC-Variante O 104 (O steht für Oberfläche) handelt es sich offensichtlich um das Produkt eines solchen Genaustauschs. Auch die Versuche mancher KommentatorInnen, die Entstehung von Husec04 (so der wissenschaftliche Name) auf andere menschengemachte Einflüsse zurückzuführen, sind pure Spekulation. Tatsache ist, dass sich Bakterien ständig wandeln, dabei spielt der Zufall eine genauso große Rolle wie der Selektionsdruck – ein Beispiel für Letzteren sind die zunehmenden Antibiotikaresistenzen bei bestimmten Krankheitserregern.
Schuldzuweisungen …
Als die Zahl der Erkrankten in den ersten Wochen rapide zunahm, und die EpidemiologInnen über die Quelle der Epidemie rätselten, traten dann die Neunmalklugen von Spiegel und anderen Boulevardmedien auf den Plan, die über „mangelndes Krisenmanagement“ daherschwadronierten und wechselweise die niedersächsischen Behörden, das Robert-Koch-Institut, die Bundesregierung oder alle gemeinsam verschiedener Versäumnisse bezichtigten. Selbst die Grünen entblödeten sich nicht, einen „nationalen Kontrollplan mit einer Checkliste möglicher Übertragungswege vom Bauern über die Verarbeitung bis zum Restaurant“ zu fordern und zu behaupten, die Verantwortlichen täten nicht genug.

Aber damit hatten sie ausnahmsweise einmal nicht Recht. Dass die Quelle der Epidemie überhaupt ausfindig gemacht werden konnte, und noch dazu vergleichsweise rasch, ist die Ausnahme. In ca. 80 % aller Fälle gelingt dies nicht, vor allem dann, wenn es sich nur um einen kurzzeitigen, einmaligen Eintrag eines Erregers in die Nahrungskette handelt.

Vielleicht hätten sich die KritikerInnen, statt sich am „Krisenmanagement“ der Regierung abzuarbeiten, besser mit den Methoden beschäftigt, mit denen die Erkrankten und ihr Umfeld ausgeforscht wurden – die entsprechenden, an den Gesundheitsämtern verwendeten Fragebögen hatten es in sich.

Und vielleicht hätten sie auch einmal hinterfragen sollen, ob die von der Pharmaindustrie begeistert unterstützte Testung neuartiger Antikörper an den Erkrankten überhaupt angezeigt war.

Und so wurde fröhlich auf den Sack eingedroschen, der Esel allerdings blieb völlig unbehelligt. Denn so problematisch derartige, neu auftauchende Erregervarianten auch sind, so sind sie doch, wie jetzt auch geschehen, mit den bewährten Methoden der Epidemiologie – Rückverfolgung der Infektionskette, Identifizierung der Quelle und Beseitigung derselben, entsprechende präventive Maßnahmen – in den Griff zu bekommen.

Dass es immer schwieriger wird, diese Maßnahmen auch erfolgreich anzuwenden, liegt nicht an der Unfähigkeit der Gesundheitsbehörden, sondern an einem Phänomen, von dem unsere Kanzlerin immer wieder beteuert, dass es für „uns Deutsche“ absolut segensreich sei: der Globalisierung.
Dunkle Quellen …
Es war von Beginn an klar, dass die EHEC- Infektion über die Nahrung verbreitet wird. In diesen Fällen versucht der Epidemiologe, über die Erhebung der Nahrungsgewohnheiten der Betroffenen, eine Kartierung des geografischen Auftretens und eine entsprechende Zuordnung die Quelle einzugrenzen. Auf diese Weise kamen die verschiedenen, zum Teil inzwischen widerlegten, Vermutungen über die Herkunft des Keims aus Spanien, den Niederlanden oder Deutschland zustande.

Und da liegt der Hase im Pfeffer oder, besser, der Spross im Salat: Durch die globalisierte Massenproduktion und Vermarktung von Lebensmitteln ist die Quellenforschung immer schwieriger geworden. Es ist zwar immer noch möglich, von einem Betroffenen zu erfahren, ob er z. B. Gurken, Tomaten oder Avocados gegessen hat, aber dann herauszufinden, ob es spanische, niederländische oder israelische waren und aus welchem Betrieb sie kamen, ist oft nicht möglich. Da nützt auch die Herkunftsangabe im Supermarkt nicht viel.

Eine der ersten epidemiologischen Untersuchungen der Neuzeit war deshalb erfolgreich, weil es sich um ein kleinräumiges Geschehen handelte: John Snow forschte 1854 über die Ursache der damaligen Choleraepidemie in London. Er verglich das Risiko, zu erkranken, für ein Quartier mit einem bestimmten Brunnen ("Broad Street Pump") mit dem in einem Quartier mit Wasserversorgung aus einem anderen Brunnen und kam relativ schnell darauf, dass es der Brunnen mit ungefiltertem Themsewasser war, der den Ausbruch ausgelöst hatte.
Agrarindustrie und Bakterientourismus
Die jetzt – da die Quelle der Infektion gesichert erscheint – durch die Presse geisternden Vorwürfe, man hätte den entsprechenden Erzeugerbetrieb zu spät geschlossen, man hätte die Quelle schneller finden können/müssen etc., sind irreführend. Natürlich kann man sich darüber streiten, ob die getroffenen Maßnahmen zeitgerecht und effektiv waren.
Aber das ist nicht der wesentliche Punkt, denn nach den vorliegenden Informationen handelte es sich nicht um eine über einen längeren Zeitraum kontinuierlich erfolgte, sondern akzidentelle einmalige Verunreinigung der entsprechenden Produkte – selbst wenn man den Betrieb unmittelbar nach dem Auftauchen der ersten Fälle geschlossen hätte, wäre der epidemiologische Verlauf kein wesentlich anderer gewesen. Das zeigt die entsprechende Grafik mit den Erkrankungszahlen (Quelle: Robert-Koch-Institut, Epidemiologisches Bulletin Nr.23, 14.6.2011): Nach steilem Anstieg der Zahlen ein ebenso rascher Rückgang.
Das eigentliche Problem wird durch diese Nebelwerferei der Medien verschleiert. Die globalisierte und industrialisierte Massenproduktion von Lebensmitteln ist es, die die Gefahr großräumiger Ausbrüche derartiger Epidemien immer weiter vergrößert und gleichzeitig, wie oben angemerkt, auch die Quellenforschung erschwert.

Industrielle Lebensmittelproduktion ist eben nicht nur aus ökologischen Gründen – Monokulturen, Zunahme von Verkehr, Einsatz von Pestiziden, Export­orientierung auf Kosten der lokalen und regionalen Versorgung – kontraproduktiv, sondern ebenso aus epidemiologischer Sicht. Auch für einen medizinischen Laien ist es offensichtlich, dass die Gefahr großräumiger Ausbrüche von derartigen Epidemien steigt, wenn die entsprechend kontaminierten Produkte überregional und im Extremfall weltweit vertrieben werden, und dass die Quellenforschung dadurch erheblich verkompliziert und erschwert wird. Deshalb ist kleinräumige, regionale Produktion und Vermarktung von Lebensmitteln die strategisch richtige Antwort.

Wenn man dem Robert-Koch-Institut und den politisch Verantwortlichen einen Vorwurf machen kann, dann vor allem den, dass sie über diese Zusammenhänge kein Wort verlieren. Aber was soll man auch von PolitikerInnen erwarten, die nicht müde werden, zu beteuern, dass „wir" von der Globalisierung angeblich nur profitieren. 

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