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Innenpolitik

Die ARGE – eine repressive Institution

Von Walter W. | 01.01.2007

Mit der Einführung des Arbeitslosengeldes II (ALG II), sog. Hartz IV, am 1. Januar 2005 erfolgte eine radikale Wende in der Sozialpolitik der BRD.

Mit der Einführung des Arbeitslosengeldes II (ALG II), sog. Hartz IV, am 1. Januar 2005 erfolgte eine radikale Wende in der Sozialpolitik der BRD.

Die neue Wunderwaffe zur „Dynamisierung” des Arbeitsmarktes und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze war die ARGE (Arbeitsgemeinschaft) zwischen der örtlichen Agentur für Arbeit und der zuständigen Kommune. Die Arbeitsagentur selbst konzentrierte sich nun auf die BezieherInnen des ALG I und die Arbeitssuchenden. Die ARGE verwaltet das ALG II und die so genannten Problemfälle.Unterstellt wurde durch diese Konstellation, dass die ALG-II-BezieherInnen arbeitsscheu oder ohnehin hoffnungslose Fälle sind. Ab jetzt gab es Arbeitslose der 1. und der 2.Klasse.
Die bittere Realität
Nirgends klaffen Anspruch und Wirklichkeit in der Arbeitsmarktpolitik mehr auseinander als bei den Arbeitsgemeinschaften, die in manchen Kommunen gelegentlich einen anderen Namen tragen. Fordern und Fördern ist die Devise. Letzteres ist meist ein reines Lippenbekenntnis. So werden Fördermittel in Millionenhöhe zurücküberwiesen, obwohl es leicht möglich wäre, in Bereichen wie Soziales, Gesundheit, Bildung, Ökologie etc. Projekte anzuschieben und Menschen in Arbeit zu bringen. Allein die ARGE Bochum schickte 9 Millionen Euro im Jahr 2006 zurück. In NRW waren es über eine halbe Milliarde Euro. Und das in einer Problemregion wie dem Ruhrgebiet.

Stolz verweisen die Agenturen auf 317 000 neue versicherungspflichtige Stellen… und verschweigen die Vernichtung hunderttausender tariflicher Arbeitsverhältnisse durch 1-Euro-Jobs und andere menschenverachtende Maßnahmen.
Am Anfang des Weges steht für die Betroffenen die so genannte Eingliederungsvereinbarung, die dem Profil des Erwerblosen gerecht werden soll, um ihn leichter auf dem Arbeitsmarkt zu plazieren. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Art Diktat, da der Arbeitslose die Aufgabe der ARGE ihn zu fördern kaum einklagen kann. Oft erfolgt auch nicht die notwendige Rechtsbelehrung, dass die Vereinbarung nicht sofort unterschrieben werden muss. Das Jobcenter Bramfeld versuchte, den Betroffenen wahrscheinlich rechtswidrige Masseneingliederungsvereinbarungen unterzujubeln. In Hamburg wurden die Vereinbarungen per Post versandt – eine im Prinzip illegitime Praxis. Die Arbeitsgemeinschaften in Berlin und Hamburg haben hier einen besonders schlechten Ruf.

Rechtlich gesehen sind die ALGII-BezieherInnen BürgerInnen zweiter Klasse. Die verfassungsmäßigen Grundrechte gelten für sie nur bedingt. So ist die Unverletzlichkeit der Wohnung (§ 13 des Grundgesetzes = GG) kaum garantiert, wenn der „Sozialkontrolleur” auf der Matte steht. Dem kann mensch zwar den Zutritt verweigern, aber dann folgen mit Sicherheit Sanktionen. Auch das Recht auf freie Wahl des Berufes und der Arbeitsstätte (§12 GG) ist de facto außer Kraft gesetzt. Auch der Zwang zu einer bestimmten Arbeit ist nicht verfassungskonform. Über allem schwebt das Damoklesschwert der Leistungskürzung. Leider ist auch vielen Linken entgangen, wie massiv Hartz IV die demokratischen Grundrechte für Millionen Menschen außer Kraft setzt.
In ihrer pathologischen Sparwut zuungunsten der Erwerbslosen kennen die ARGEs keine Skrupel. So sollen Jugendliche durch „Eigenbemühungen” erst gar nicht in den Leistungsbezug kommen. Die ARGE-Gelsenkirchen sonnt sich hier in großen Erfolgen. Ältere Arbeitslose sollen vom Sozialbuch II (Hartz IV) in Richtung SGB 12 (Sozialhilfe) bewegt werden. Gerade Ältere nach einem z.T. jahrzehntelangen Berufsleben empfinden dies als besonders demütigend. Beide Maßnahmen erfüllen ihren Zweck: man schont die Kassen und schönt die (ohnehin manipulierte) Statistik.

Dass die ARGEs letztlich Agenturen des bürgerlichen Klassenstaates sind, belegen die Aktivitäten der ARGE Köln. Die hat sich nämlich mit der Unternehmungsberatung Roland Berger, dieser eiskalten Vollstreckerin neoliberaler Kapitalinteressen, zusammengetan, um „ältere Erwerbslose möglichst abzuwimmeln” (junge Welt 14./15.10.2006).
Erste Schlussfolgerungen
Wahrscheinlich lässt sich eine ganze Avanti-Ausgabe mit solchen Beispielen füllen. Deutlich wird aber – der Widerstand vor Ort, wie es der Berliner Politologe Peter Grottian seit langem fordert, muss aufgebaut werden, um die Praktiken der ARGEs bekannt zu machen und ihnen zu begegnen. Dabei sollten die Erwerbslosen alle Möglichkeiten wie Begleitung (Beistand) beim Besuch der ARGE, Beratung durch Arbeitslosenzentren ggf. Rechtsschutz durch die Gewerkschaft voll ausschöpfen. Der Aufbau eines jour fixe der Gewerkschaftlinken wie in der Ruhrgebietskommune Hagen könnte hierfür ein Beispiel sein. Da sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Am besten natürlich, wo dies möglich ist, in Zusammenarbeit mit dem DGB und den Einzelgewerkschaften. Nicht von ungefähr werden Peter Grottian und seine FreundInnen vermehrt das Objekt der Begierde seitens des „Verfassungsschutzes”.

Der Aufbau des lokalen sozialpolitischen Widerstandes und die Mobilisierung gegen den G8-Gipfel werden 2007 die Aktivitäten der sich herausbildenden außerparlamentarischen Opposition prägen. 

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