Am 8. Mai vor 60 Jahren ging in Europa der Zweite Weltkrieg zu Ende (in Asien erst am 2. September). Mit der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945 war die Niederlage von Nazi-Deutschland, war die militärische Befreiung vom Faschismus besiegelt.
Was war der Zweite Weltkrieg? Die übliche Darstellung ist: Er war ein Konflikt zwischen aggressiven faschistischen Diktaturen (Deutschland, Italien, Japan) auf der einen Seite und anti-faschistischen Demokratien (Großbritannien, Frankreich, USA) und der stalinistischen UdSSR auf der anderen Seite. Aber ist diese vorherrschende Sicht zutreffend?
Kriegsursachen und -ziele
Die ersten zwei unmittelbaren Ursachen für den Zweiten Weltkrieg waren der Vorstoß Deutschlands und Japans über ihre nationalen Grenzen hinaus. Als die dritte unmittelbare Ursache des Zweiten Weltkriegs muss der Entschluss des amerikanischen Imperialismus, bei der Neugestaltung der internationalen politischen Ordnung entscheidend mitzuwirken, angesehen werden. Diese drei Länder – das Dritte Reich, Japan und die USA – waren die Herausforderer des Status quo im Zweiten Weltkrieg.
Nazi-Deutschland
Der deutsche Imperialismus beabsichtigte, eine neue Ordnung in Europa zu errichten. Der Kampf um die Weltherrschaft sollte in Europa durch den Besitz des russischen Gebietes entschieden werden. Hitler 1941: „Jeder Gedanke an Weltpolitik ist (für Deutschland) lächerlich, solange man den Kontinent nicht beherrscht… Sind wir die Herren in Europa, dann haben wir die dominierende Stellung in der Welt.“ Dabei hatte Hitler vor allem drei Ziele:
– die Ankurbelung der krisengschüttelten deutschen Industrie mit starkem Anstei- gen der Gewinne,
– die Vernichtung der Juden und anderen „unwerten Lebens“,
– den Angriff auf die Sowjetunion, um ganz Ost-Europa zu kolonialisieren.
Japan
Auf der anderen Seite des Globus arbeitete der japanische Imperialismus Schritt für Schritt an der Eroberung Chinas; danach sollte Südostasien an der Reihe sein.
USA
Der US-Imperialismus hatte enorme Reserven an ungenutztem Kapital und an ungenutzten Produktionskapazitäten und Produktivkräften zur Verfügung. Die Wirtschaftspolitik des New Deal – die Ausrichtung auf den inneren Markt –, um Wirtschaft und Gesellschaft aus der Krise herauszuholen, erwies sich größtenteils als Fehlschlag: 1938 gab es wieder zwölf Millionen Arbeitslose. Die Hinwendung zum Weltmarkt wurde unumgänglich. Für die Vereinigten Staaten wurde der Krieg so zum Hebel, der den gesamten Weltmarkt und die weltweiten Bodenschätze der amerikanischen Ausbeutung zugänglich machen sollte.
Großbritannien
Die britischen Mächtigen versuchten, die vorhandenen Positionen britischer Vorherrschaft und kolonialer Weltmachtstellung zu sichern und auszubauen. Das zeigen klar die britische Intervention in Ostafrika, die Aneignung des italienischen Kolonialreichs, die Liquidierung der französischen Gebiete im Nahen Osten, der Zugriff auf den Iran, die Vorbereitung zu einer Invasion auf dem Balkan mit dem Ziel, Griechenland zum Sprungbrett für die Schaffung von Staaten in Osteuropa zu machen, die von Großbritannien abhängig sind und die die 1918 entstandenen französischen Satellitenstaaten ablösen sollten. Doch für den britischen Imperialismus wurde die Kluft zwischen erstrebtem Zweck und vorhandenen Mitteln zunehmend größer.
Hindernisse zum Weltkrieg
Um den Kampf um die Weltvorherrschaft führen zu können, müssen die Mächtigen der imperialistischen Länder die Arbeiterklasse gefügig machen, die sonst ein schwerwiegendes Hindernis auf dem Weg zum Zweiten Weltkrieg wäre. Diese „Integration“ der Arbeiterklasse gelang den Großmächten zunehmend.
Meilensteine auf diesem gegen-revolutionären Weg zum Zweiten Weltkrieg waren: das Misslingen des britischen Generalstreiks (1926); das Massaker, das Tschiang Kai-schek an der Arbeiterschaft 1927 in Shanghai anrichtete; der Aufstieg des Faschismus in Italien und Deutschland in den zwanziger und dreißiger Jahren; der Zusammenbruch der Volksfront in Frankreich (1936-1938) und die Niederlage der spanischen Revolution (1939).
Die letztliche Kriegsursache
Kapitalismus bringt Konkurrenz mit sich. Mit dem Auftreten großer Körperschaften und Kartelle – also mit dem Beginn des Monopolkapitalismus – nimmt diese Konkurrenz eine neue Dimension an. Es steht nicht mehr das Schicksal von Geschäften auf dem Spiel, in denen es um einige zehntausend Pfund oder um einige hunderttausend Dollar geht, sondern es handelt sich um Industrie- und Finanzgiganten, deren Vermögenswerte sich auf einige zehn bis Hunderte von Millionen belaufen. Dementsprechend beteiligen sich die Staaten und ihre Armeen immer stärker direkt an dieser Konkurrenz, die zum imperialistischen Wettkampf um Absatzmärkte, um die Investition in neue Produkte und um den Zugang zu wichtigen, billigen oder seltenen Rohstoffen wird.
Nur im Rahmen dieses imperialistischen Strebens nach Weltherrschaft kann der Zweite Weltkrieg (ebenso wie der Erste Weltkrieg) begriffen werden: Der Motor des Zweiten Weltkriegs war, wie Ernest Mandel in seinem Buch „Der Zweite Weltkrieg“ (isp-Verlag, Frankfurt/Main 1991) darlegt, das Bedürfnis der bedeutendsten kapitalistischen Staaten, die Ökonomie ganzer Kontinente zu beherrschen. Das Ziel der kapitalistischen kriegführenden Mächte war die eigene Vorherrschaft und damit die Unterordnung der weniger entwickelten Welt, aber auch die anderer Industrienationen – egal, ob es sich um Feinde oder Alliierte handelt. Diese durch Krieg angestrebte Vorherrschaft sollte der Kapitalakkumulation der eigenen kapitalistischen Wirtschaft den Vorrang verschaffen.
Anti-Faschismus als Ideologie
Die amerikanischen und britischen herrschenden Klassen führten den Zweiten Weltkrieg, um den Widerstand der deutschen und japanischen Bourgeoisie zu brechen und so die eigenen M&
ouml;glichkeiten zu erhalten oder zu erweitern, ihre Interessen durchzusetzen. Ihr Anti-Faschismus war im wesentlichen Propaganda, Ideologie.
Die antifaschistische Propaganda war die ideologische Hauptwaffe vor allem für den britischen Imperialismus und seine Verbündeten in den kleineren Ländern Europas. Sie nützte den berechtigten Hass der britischen und europäischen Massen gegen die Unterdrückung der Arbeiterbewegung durch Hitler und andere faschistische Regime aus: Übergriffe gegen vitale Rechte und Freiheiten der Arbeiter und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Damit gelang es dieser ideologischen Propaganda, die zwischen Kapital und Arbeit grundsätzlich bestehenden antagonistischen Klasseninteressen im großen und ganzen dem Ziel der Niederwerfung der Nazis unterzuordnen. Erfolgreich wurden mit dieser Propaganda in den Hintergrund gedrängt der imperialistische Charakter des britischen, französischen und amerikanischen Staates, die weiterhin bestehende Ausbeutung und Unterdrückung von Millionen Menschen in den britischen und französischen Kolonialreichen und die Verweigerung von Selbstbestimmung und von elementaren Rechten in diesen Kolonien.
Wer die im Krieg aktiven Kräfte in „faschistische“ und „antifaschistische“ unterteilt, für den folgt daraus als politische Orientierung:
Die deutschen, italienischen und japanischen Formen des Imperialismus sind in Zusammenarbeit mit den herrschenden Klassen von Großbritannien, den Vereinigten Staaten, Frankreich usw. zu bekämpfen. Diese Politik der „antifaschistischen Allianz“ läuft, wie die praktische Erfahrung nach 1943 klar bestätigte, direkt auf die Kollaboration der Klassen hinaus und führt zum Abwürgen der revolutionären Möglichkeiten, die während des Krieges aufgetaucht waren (z.B. in Italien und in Frankreich). Die politischen Parteien, und besonders die kommunistischen Parteien, traten in bürgerliche Koalitionsregierungen ein, in denen sie aktiv an der Wiederherstellung des bürgerlichen Staates und der kapitalistischen Wirtschaft teilnahmen. Außerdem führte dieser Anti-Faschismus zum systematischen Verrat an den antiimperialistischen Kämpfen der Kolonialvölker (von Algerien bis Vietnam) und z.B. zur Duldung der Gegenrevolution in Griechenland (1944-1948).
Was der Zweite Weltkrieg war
Der Zweite Weltkrieg war, wie Ernest Mandel in „Der Zweite Weltkrieg“ detailliert darlegt, eine Kombination von fünf verschiedenen Konflikten:
1. ein Krieg zwischen imperialistischen Staaten um die Weltherrschaft, den die Vereinigten Staaten gewannen (wenn auch ihre Herrschaft gebietsweise durch die Ausdehnung nicht-kapitalis- tischer Gebiete in Europa und in Asien eingeschränkt wurde).
2. ein Selbstverteidigungskrieg der Sowjet- union gegen einen imperialistischen Versuch, ihr Land zu kolonisieren und die Errungenschaften der Revolution von 1917 zu zerstören.
3. ein Krieg des chinesischen Volkes gegen den Imperialismus, der sich zu einer sozialistischen Revolution entwik- kelte.
4. ein Krieg der asiatischen Kolonialvölker gegen die verschiedenen Militärmächte und ein Krieg um nationale Befreiung und Selbstbestimmung, der in einigen Fällen (z.B. in Indochina) in eine sozialis- tische Revolution überging.
5. ein nationaler Befreiungskrieg, den die Völker der besetzten europäischen Län- der führten und der zu einer sozialisti- schen Revolution anwuchs (Jugosla- wien und Albanien) oder zu einem offenen Bürgerkrieg (Griechenland, Italien). In Osteuropa brach die alte Ordnung unter dem Druck der Bevölke- rung und der Aktionen der sowjet- ischen Militärbürokratie zusammen, wogegen im Westen und Süden – oft gegen den Willen der Massen – die bürgerliche Ordnung von den westli- chen alliierten Truppen (unter Mithilfe der kommunistischen Parteien) wieder- hergestellt wurde.