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Innenpolitik

Der Traum von der „Links-Regierung“

Von Philipp Xanthos | 01.10.2009

Eine „linke“ parlamentarische Mehrheit (SPD, Linkspartei, Grüne) hatte es im Bundestag seit 2005 gegeben, ohne, dass sie zu einer „Links-Regierung“ geführt hätte. Schon hier zeigte sich, dass eine antikapitalistische Strategie, die im Wesentlichen auf die Änderung parlamentarischer Mehrheitsverhältnisse setzt, zumindest nicht automatisch aufgehen wird. Doch ungeachtet dessen machten auch die „Linken“ in der Linkspartei über vier Jahre weiter Wahlkampf.

Eine „linke“ parlamentarische Mehrheit (SPD, Linkspartei, Grüne) hatte es im Bundestag seit 2005 gegeben, ohne, dass sie zu einer „Links-Regierung“ geführt hätte. Schon hier zeigte sich, dass eine antikapitalistische Strategie, die im Wesentlichen auf die Änderung parlamentarischer Mehrheitsverhältnisse setzt, zumindest nicht automatisch aufgehen wird. Doch ungeachtet dessen machten auch die „Linken“ in der Linkspartei über vier Jahre weiter Wahlkampf.

Dahinter steckt im Grunde die Vorstellung, das parlamentarische System sei ein mechanisches Räderwerk, das die Funktion hat, den „Wählerwillen“ in Regierungspolitik umzusetzen. Das Bundstags-Wahlprogramm der Partei Die Linke brachte es auf den Punkt: „Es gilt die Gleichung: Je stärker die Linke, desto sozialer unser Land!“ Diese mechanische Vorstellung geht einher mit dem Glauben, dass der bürgerliche Staat insgesamt eine neutrale Instanz sei, die – erst einmal gerei­nigt vom Lobbyismus und anderem Übel – die Interessen der lohnabhängig Beschäftigten, Arbeitslosen und Armen vertreten könne.
Logik des Pragmatismus
Ebenso wenig wie der „Wählerwille“ im Allgemeinen zählen bei der Linkspartei im Besonderen offenbar die Beschlüsse der eigenen Partei, wie in Thüringen zu beobachten ist. Hier verzichtete Ramelow schon vor der ersten Verhandlung auf das Amt des Ministerpräsidenten, obwohl die Linkspartei stärkste Fraktion geworden war. Es liegt in der Logik des Pragmatismus: Ein relativ sicherer Minister­posten war ihm lieber als ein relativ unsicherer Posten als Regierungschef. Dass er die Grünen mit an den Verhandlungstisch holte, obwohl auch SPD und Die Linke allein eine Mehrheit gehabt hätten, stellt ein bewusstes taktisches Manöver dar, damit die Linkspartei in Zukunft ein Druckmittel gegenüber der linksliberalen grünen Konkurrenz hat. Damit schwächte Ramelow selbstverständlich die Verhandlungsposition der eigenen Partei, da statt zwei nun drei „linke“ Parteien um Ministerposten schacherten. Doch da seine Partei für ihn ohnehin nur Mittel zum Zweck ist, brauchte ihn das nicht zu stören.

Während also schon die Regierungsbildung nur indirekt abhängig vom Wahlergebnis ist, kann eine einmal gebildete Regierung im parlamentarischen System bekanntermaßen völlig unabhängig agieren. Es braucht eigentlich gar nicht erwähnt werden, dass in Berlin die ersehnte „Links-Regierung“ seit Langem Realität ist. Etliche privatisierte Krankenhäuser, geschlossene Schulen, Lohnkürzungen, Zehntausende Ein-Euro-Jobber­Innen und weit über 100 000 privatisierte Wohnungen bezeugen bislang, dass die oben genannte Gleichung Augenwischerei ist.
Regierungsbeteiligung
Die eindeutige Entwicklungslinie, die sich beobachten lässt, ist das stetige Vorrücken der Linkspartei an die Macht. Magdeburg, Berlin, Schwerin waren die ersten Stationen auf Landesebene, die nächsten heißen Saarbrücken und Erfurt. Und während sich unter den Linken in der Linkspartei die Diskussionen hauptsächlich um das Thema „Regierungsbeteiligung – ja oder nein“ drehen, wird oft übersehen, dass es auch hierbei Abstufungen gibt. Die links-regierten Gemeinden und Städte sind keineswegs Pariser Kommunen geworden. Die Magdeburger Tolerierung diente dazu, sich als loyaler Partner zu bewähren, aber den störenden Einfluss des eigenen Programms zu mindern. Auch die linke „Opposition“ im Bundestag wählte das Bundestagspräsidium mit und arbeitete brav in den Ausschüssen. Die Regierungsbeteiligung der Linkspartei ist ein Prozess, der schon lange begonnen hat. Dennoch halten die Linken in der Linkspartei an dem Glauben fest, alles sei noch offen, nichts endgültig entschieden. Ihre Gleichung lautet: „Je stärker wir sind, desto linker die Linkspartei.“ Hierbei wird in der Regel verkannt, dass dort, wo sie Diskussionen beginnen, die eigentlichen Diskussionen schon abgeschlossen sind. Ebenso wird verkannt, dass die Linkspartei nicht erst „Verrat begeht“, nachdem ein Koalitionsvertrag unterzeichnet ist; eine neue Stufe auf dem Machttreppchen wird der Linkspartei erst dann freigeräumt, wenn sie im Voraus auf linke Positionen verzichtet, es sei denn die aller Bescheidensten. Deswegen räumt Ramelow seinen Stuhl, bevor er ihn erhalten hat, deswegen schwärmt Gysi schon heute vom Blauhelmeinsatz der Bundeswehr.
Sachzwänge
Wie „linke“ Regierungspolitik aussieht, kennen wir aus zahllosen Beispielen. Denn über der Regierung steht letztlich immer der „Sachzwang“, d. h. das unmittelbare Herrschaftsinteresse der Bourgeoisie. Dass alle unsozialen Maßnahmen immer mit „Sachzwängen“ begründet werden, zeigt den begrenzten Einfluss, den ein bürgerliches Parlament überhaupt hat. Sollte eine echte reformistische „Links-Regierung“ auch diese Barriere überwinden wollen, folgen Sabotage, Aussperrung und Putsch von rechts. Linke in der Linkspartei, die all diese Hindernisse sehen, schlagen daher eine utopische Doppel-Strategie vor: Wahlkampf und außerparlamentarische Mobilisierung, um einer „Links-Regierung“ Rückhalt zu geben. Dass die ihren Rückhalt lieber in Wasserwerfern und Tränengas sucht, zeigt Berlin. Allein beim Anblick der heutigen schwarzen Einsatzhundertschaften müsste es allen Linken vor einer „Links-Regierung“ auf Bundesebene grauen.

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