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Kultur

„Der Mann, der Hunde liebte“

Von Jochen Sussa | 14.03.2012

„Aber vor allem sind wir feige. Wir hatten immer Angst. Unser Handeln wurde nämlich nicht von unserem Glauben an die Sache bestimmt, wie wir es uns jeden Tag vorerzählt haben, sondern von der Angst. Aus Angst haben viele von uns geschwiegen – was blieb auch anderes übrig? –, aber wir, Ramon, wir gingen weiter, wir haben Menschen fertiggemacht, haben sie sogar getötet … Und warum? Weil wir an die Sache geglaubt haben, ja, aber auch, weil wir Angst hatten.“ Wer hier spricht, ist der Mentor von Ramon Mercader, dem Mörder Leo Trotzkis, im Gespräch mit seinem Zögling zur Zeit des sowjetischen Einmarsches in die Tschechoslowakei.

„Aber vor allem sind wir feige. Wir hatten immer Angst. Unser Handeln wurde nämlich nicht von unserem Glauben an die Sache bestimmt, wie wir es uns jeden Tag vorerzählt haben, sondern von der Angst. Aus Angst haben viele von uns geschwiegen – was blieb auch anderes übrig? –, aber wir, Ramon, wir gingen weiter, wir haben Menschen fertiggemacht, haben sie sogar getötet … Und warum? Weil wir an die Sache geglaubt haben, ja, aber auch, weil wir Angst hatten.“ Wer hier spricht, ist der Mentor von Ramon Mercader, dem Mörder Leo Trotzkis, im Gespräch mit seinem Zögling zur Zeit des sowjetischen Einmarsches in die Tschechoslowakei.

Mehr als 15 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer nahm der kubanische Autor diesen Roman in Angriff. Er wollte „die Geschichte des Mordes an Trotzki dazu benutzen, über die Pervertierung der großen Utopie des 20. Jahrhunderts nachzudenken, jenes Prozesses, in den viele von uns ihre Hoffnungen investiert hatten und ebenso viele ihre Träume, ihre Jahre und manche sogar ihr Leben verloren.“ Um diesen Roman schreiben zu können, musste auch in Kuba erst die Zeit gekommen sein, die es dem Autor ermöglichte, an die bisher unter Verschlag gehaltenen Quellen zu gelangen und den Roman ohne Zensur zu veröffentlichen.

Das Buch ist eine Geschichte von Lüge und Verrat, es ist ein historischer und ein philosophischer Roman. Wichtige Episoden der Geschichte des letzten Jahrhunderts, zentrale Punkte der Auseinandersetzung in der sozialistischen Bewegung wandern am Leser vorbei. Vorüber ziehen der spanische Bürgerkrieg mit dem stalinistischen Verrat und der bitteren Niederlage, die Verbannung und Verdammung Trotzkis, die ungeheure Unterdrückung durch Stalin und seinen Apparat, die Moskauer Prozesse, der Aufstieg des Nationalsozialismus, der Prager Frühling,  aber auch das Leben in Kuba mit seiner Armut, seinen Lügen und seiner Unterdrückung von Homosexuellen.

In dem Roman sollte man keine Enthüllungen, keine Neuigkeiten erwarten, die man an anderer Stelle nicht schon hätte lesen können. Aber das Buch geht über die nüchterne historische Wirklichkeit hinaus. Es gibt den auftretenden Personen eine Persönlichkeit mit Gefühlen, Charakter und Moral; das gilt sowohl für die Familie Trotzki als auch für den Mörder. Dabei sollte man niemals vergessen, dass es sich um einen Roman handelt. Trotz genauester Recherchen und der Verwertung dessen, was historisch überprüfbar ist, bleibt er eine Fiktion und somit ein Versuch sich den realen Personen anzunähern.

Insbesondere gilt dies für die Person des Mörders. L. Padura denkt sich in die Gestalt von Ramon Mercader ein, schildert seinen Glauben, seine Beweggründe, seine Disziplin bis zur Selbstaufgabe und seine Zweifel, ohne dass man für diese Figur Sympathien empfinden muss. „Nein, ich will seine Geschichte nicht veröffentlichen, denn bei dem bloßen Gedanken daran, dass sie bei irgendjemandem auch nur eine Spur Mitleid hervorruft, könnte ich kotzen.“ Und über allem thront die Widerlichkeit des stalinistischen Unterdrückungsapparats vor und nach dem Tod Stalins.

Der Autor hofft, dass „diese exemplarische Geschichte von Liebe, Wahnsinn und Tod,“ (…)  „etwas zu der Klärung der Frage beiträgt, wie und warum die Utopie pervertiert wurde.“ Diese Geschichte ist keine optimistische Geschichte, und doch nicht ganz ohne Hoffnung. Was bleibt, ist, aus dem, was war, zu lernen, um die gleichen Fehler zu verhindern.

In dem anfangs schon zitierten Gespräch gegen Ende des Buches, sagt Mercaders Mentor: „In Prag ist der Mythos  von der Einheit der sozialistischen Welt zu Grabe getragen worden … und mit ihm die Möglichkeit, den Kommunismus zu reformieren. (…) Das nächste Mal, wenn so etwas passiert (…), dann geht es nicht mehr darum, den Kommunismus zu reformieren, dann wird alles auseinanderfallen.“ Und später sagt er auf die Frage des Bruders von Ramon Mercador hin, ob er denn eine Lösung kenne: „Diesen Laden hier schließen“ (– und damit meint er den sogenannten Realen Sozialismus, J.S.) „und zwei Straßen weiter einen neuen eröffnen. Aber ohne die Menschen zu belügen, ohne den anderen fertigzumachen, weil er anders denkt als du, ohne Vorwand, ihn zum Schweigen zu bringen, ohne zu behaupten, dass sie dich an den Arsch kriegen, weil es gut für dich und die Menschheit ist, und du nicht mal protestieren oder sagen kannst, wo es dir wehtut, weil man dem Feind keine Argumente an die Hand geben darf und diese ganzen Scheißrechtfertigungen. Ohne die Menschen zu erpressen…“. Ein spannendes und fesselndes Buch.

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