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Betrieb & Gewerkschaft

Der Konflikt bei der Post AG (Teil 1)

Von Walter Weiß | 28.01.1970

Der Briefkasten leer, der erwartete Versandhausartikel wird nicht zugestellt und tausende Postbeschäftigte im Warnstreik und auf der Straße. Der Konflikt bei der Post AG eskaliert.

Die Forderung von ver.di nach einer 36-Stundenwoche für 140 000 Tarifkräfte bei vollem Lohnausgleich sieht auf den ersten Blick wie der Beginn einer alltäglichen Tarifauseinandersetzung aus. Hintergrund ist allerdings die Gründung von 49 Regionalgesellschaften für die Paketzustellung (DHL Delivery GmbH). Hierin sieht die Gewerkschaft den Bruch bestehender Verträge durch die Post AG.

Der Vertragsbruch ist ein doppelter. Einerseits verstößt die Post AG gegen den Vertrag zum Schutz vor Fremdvergaben, andererseits findet eine Flucht aus dem bestehenden Haustarifvertrag statt. Die DHL-Paketzustellung wird teilweise aus der Post AG ausgegliedert.

Ein schwerer Schlag für die zahlreichen befristet Beschäftigten. Sie haben nun die „Wahl“ zwischen Erwerbslosigkeit oder dem Unterschreiben von Arbeitsverträgen der neu gegründeten Tochtergesellschaft. Das bedeutet für den Einzelnen – wie z. B. in Hessen – eine Gehaltskürzung bis zu 30 % nach fünfzehnjähriger Betriebszugehörigkeit und den Fortfall der betrieblichen Altersversorgung!

Die seit Jahren existierenden Konzerngewinne, die auch für die Zukunft erwartet werden, können dieses neoliberale Kabinettstückchen ökonomisch nicht begründen. Der Kampf gegen befristete Arbeitsverhältnisse, Arbeitsverdichtungen und chronische Mehrarbeit ist mehr als eine „klassische“ Tarifrunde, er ist eine klassenpolitische Konfrontation.

Apropos befristete Verträge: In Wittenberge erhielt eine Postzustellerin sei 1997 sage und schreibe 88 Verträge. Soviel zum Thema soziale Sicherheit bei der Post AG.
Somit ist die Forderung von ver.di nach einer 36-Stundenwoche bei vollem Lohnausgleich eine politische Kampfansage gegen die Tarifflucht.

Subunternehmen und Post AG

Im Bereich der Postzustellung agieren zur Zeit 16 000 Subunternehmen, davon arbeiten circa 11?000 für die Post AG. Das sind 33 % mehr als 2009. Für die Beschäftigten heißt das: deutlich weniger Gehalt bei mehr Arbeit.

Die Entwicklung ist kein Zufall. Seit geraumer Zeit fordern US-Investoren Lohnsenkungen mit der Tendenz, die Einkommen der abhängig Beschäftigten zu halbieren, um sie auf US-Niveau zu reduzieren. Diese Variante des american way of life findet keine Sympathie bei den Betroffenen. Sie durften ihre neuen Arbeitsverträge zum Teil nicht mal mit nach Hause nehmen. Und der Versuch, über 20?000 Postbedienstete tariflich herabzustufen, soll erst der Anfang sein. Die nächsten Kandidaten für diese neoliberale Operation stehen schon fest: Telekom und Deutsche Bahn. Und der Meister der schwarzen Null, Wolfgang Schäuble, steht schon bereit, Bundesanteile an diesen Unternehmen zu veräußern. Und, oh Wunder, der zweitgrößte Posteigentümer, ist der US-Hedgefond Blackrock.

Der Kampf von ver.di hat also exemplarischen Charakter und bedarf der breitesten Unterstützung aller Gewerkschaften. Es ist eine klassenpolitische Attacke von oben, die durch Klassenkampf von unten beantwortet werden muss. Und da haben sozialpartnerschaftliche Diskurse keinen Platz.

Ein Beispiel

Die Leerung der 112?052 Briefkästen ist für die Post AG unter dem Strich ein lukratives Geschäft. Für die Beschäftigten weniger. Sie partizipieren nicht an dem operativen Gewinn von 1,2 Milliarden Euro in der Briefsparte der Post AG.

Ihr Alltag sieht anders aus, wie die Wochenzeitung Die Zeit dokumentierte. (3. Mai 2014) Fahrer der Post verdienen 11 Euro pro Stunde und nach 12 Dienstjahren 14 Euro bei einer 38,5 Stundenwoche. Die privaten Fahrer haben eine 40-Stundenwoche. Oft beginnt ihr Dienst um 7 Uhr morgens und endet um 19 Uhr bei einer zweistündigen Mittagspause. Im genannten Fall kommt der Fahrer auf 4,50 Euro pro Stunde. Nun ist ein Lohn, der ein Drittel unter dem Tariflohn liegt, nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts ein Wucherlohn. Im genannten Beispiel ist er sittenwidrig. Ein nervenaufreibender Job unter permanentem Zeitdruck, der die Betroffenen nicht selten zwingt, zum Jobcenter zu gehen, um die mageren Bezüge aufzustocken. Und das, weil der Vorstand der Post AG den Hals nicht voll bekommt, denn 5,2 Milliarden Euro reichen ihr nicht als Gewinn. 8 Milliarden werden angepeilt – auf dem Rücken der Beschäftigten.

Vorläufiges Resümee

Aus dem Geschilderten geht klar hervor, dass es sich bei dem Konflikt um mehr als eine normale Tarifrunde handelt. Für die Betroffenen geht es ums Eingemachte. Die Intentionen der US-Investoren und die Ziele der Post AG lassen erahnen, was uns bevorsteht, wenn wir mit den Segnungen von TIPP beglückt werden. Unsere bescheidenen Zeilen sind der Anfang einer Artikelserie, in der wir die kommenden Auseinandersetzungen dokumentieren, analysieren und kommentieren wollen. Für Informationen aus der Leserschaft wären wir dankbar.

Die künftigen Arbeitskämpfe sind eine Chance, die Logik der Sozialpartnerschaft zu durchbrechen und die Entwicklung von Klassenbewusstsein zu befördern. Dabei stehen wir auf der Seite der abhängig Beschäftigten bei der Post AG!

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