Die letzte Tarifrunde gescheitert, die Post AG vertritt den „Herr-im-Hause-Standpunkt“. Ver.di im Zugzwang – wie von uns prognostiziert, erleben wir einen grundsätzlichen Konflikt und eine längere Auseinandersetzung.
Der Forderungskatalog von Ver.di ist weder ultimatistisch noch besonders radikal, sondern knüpft unmittelbar an die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten der Post AG an. Neben Forderungen wie keine Fremdvergaben von Aufträgen an andere Anbieter und die Postzulage für Beamtinnen und Beamte zu verlängern, will die Gewerkschaft den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis 31. Dezember 2020. Und an Stelle einer linearen Forderung verlangt Ver.di 500 Euro für alle. Besonders relevant für untere und mittlere Gehaltsgruppen. Zudem soll DHL Delivery bis zum 1.11.2015 in den Haustarif der Post AG eingegliedert werden.
Mit dem Anspruch, die Wochenarbeitszeit von 38,5 auf 36 Stunden bei vollem Lohnausgleich zu realisieren, betritt die Gewerkschaft eine Tabuzone im „sozialpartnerschaftlichen“ Standortparadies Deutschland. Im europäischen Niedriglohnland BRD mit Mini- und Midijobs, zeitweise 1–Euro–Jobs, Aufstockern, Beschäftigung in mehreren Arbeitsverhältnissen, unbezahlten Überstunden etc., um nur einige Segnungen der rot-grünen Agenda 2010 zu benennen, grenzt die Forderung nach der Reduzierung der Arbeitszeit bei vollen Lohnausgleich an Blasphemie. Und aktuell ist Sonntagsarbeit von Streikbrechern im Gespräch.
Als generalisierte Forderung für den ganzen Arbeitsmarkt bedeutet dies eine Verteilung der vorhandenen gesellschaftlichen Arbeit auf alle Hände und die Ermittlung der erforderlichen Wochenarbeitszeit bei einem Mindestlohn von 12 Euro pro Stunde für alle abhängig Beschäftigten. Dies ist die einzig wirksame Waffe im Kapitalismus gegen Massenarbeitslosigkeit und ein probates Mittel gegen die Spaltung des Proletariats in Arbeitende und Erwerbslose.
Bei riesigen Gewinnen wie zum Beispiel 1,3 Milliarden € im Paket- und Briefgeschäft ist das Lamentieren des Post–Managements über die Unfinanzierbarkeit der Forderungen wenig glaubhaft. Hier müsste Ver.di – in der Tradition des Übergangsprogramms von Trotzki – auf der Offenlegung der Bücher bestehen. Eine plausible Forderung nicht nur in dieser Klassenauseinandersetzung.
„Sozialpartner“ Post AG
Ver.di klagt vehement die sogenannten DRECK-Regeln des Unternehmens an. Dabei steht D für Drohen und R für Rekrutieren wie z. B. Studierende. E für Ersetzen durch beamtete Beschäftigte als Streikbrecher und C für Chef-Sein, ergo den Wert der anderen außer den eigenen herunterspielen. Und K? Kassieren. Bis 5 Millionen € jährlich – wie der Vorstandsvorsitzende.
Von einem besonderen Beitrag zu einer gerechteren Weltwirtschaftsordnung weiß Der Spiegel zu berichten (25/2015). Im außereuropäischen Bereich des Weltunternehmens würden MitarbeiterInnen mit Niedriglöhnen abgespeist. Loyalität und Glaubwürdigkeit der Beschäftigten überprüfe man durch Lügendetektoren. Ferner versuche das Unternehmen die Bildung von Gewerkschaften zu verhindern. Frühkapitalismus der zeitgenössischen Art. Da wissen die Beschäftigten im Inland, mit wem sie es zu tun haben.
Einige Aspekte
Die Auseinandersetzung findet auf dem Rücken der Belegschaft statt, insbesondere der Zusteller in prekären Beschäftigungsverhältnissen mit befristeten Verträgen, niedrigeren Löhnen und häufig bei Subunternehmen. Laut Uwe Speckenwirth (Ver.di NRW Fachbereichsleiter) werden MitarbeiterInnen jahrelang mit befristeten Verträgen unter Druck gesetzt. Außerdem soll die Post AG mit anderen Zustellern Verträge abgeschlossen haben. Und bei DHL Delivery gilt nicht der Haustarif, sondern der Vertrag mit Ver.di für Logistikunternehmen. Im konkreten Fall bekommt der Mitarbeiter das gleiche Grundgehalt ohne Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Zu den „freiwilligen“ Zusatzleistungen zählt die Erhöhung der Wochenarbeitszeit von 40 auf 48 Stunden ohne Überstundenzulage. Ein Niedriglohnunternehmen im gesamten Geschäftsbereich – mit Ausnahme des Vorstandes – entsteht. Solche Parallelstrukturen unterminieren den Gewerkschaftseinfluss und die Interessenvertretung aller Beschäftigten substanziell. Die Gewinne sollen bis 2020 jährlich um 8 % steigen, auf Kosten der Belegschaft. Hauptsache die Dividende stimmt.
Ausblick
Der grundsätzliche Konflikt als Klassenauseinandersetzung ist offensichtlich. Seine klassenpolitische Bedeutung und Einordnung analysieren wir zu einem späteren Zeitpunkt. Die Strategen haben im außereuropäischen Bereich die Maske abgelegt, und auch ihr Agieren im Inland lässt frösteln. Der diskrete Charme der Bourgeoisie war gestern. Will Ver.di nicht ihr Gesicht verlieren, muss sie diese Konfrontation konsequent durchstehen. Die mittlerweile 25 000 streikenden Kolleginnen und Kollegen beweisen ihre Kampfbereitschaft (21.06.2015). Und täglich werden es mehr. Vermehrte Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärung gegen neoliberalen Mainstream sind notwendig. Dazu leisten wir in Solidarität mit den kämpfenden PostlerInnen unseren bescheidenen Beitrag.
Aktuelle Infos: www.taffi.de