TEILEN
Betrieb & Gewerkschaft

Der Kampf des Fahrpersonals bei der Bahn – Ein Lehrstück im Klassenkampf

Von D. Berger | 01.12.2007

 {mosimage}

Noch vor dem Ende des Kampfes steht fest, dass kein Ereignis der letzten Jahre die politischen Verhältnisse so stark beeinflusst hat bzw. noch beeinflussen wird, wie diese Auseinandersetzung. Sie ist aber nicht nur ein grundsätzliches Lehrstück in Sachen Klassenkampf, sie ist auch im Speziellen ein Lehrstück in Sachen Gewerkschaftspolitik. Selten haben die KollegInnen in den Industriebetrieben oder im Öffentlichen Dienst, zumindest die aufmerksameren unter ihnen, so sehnlich den Sieg einer kämpfenden Gewerkschaft gewünscht wie dieses Mal.

Noch vor dem Ende des Kampfes steht fest, dass kein Ereignis der letzten Jahre die politischen Verhältnisse so stark beeinflusst hat bzw. noch beeinflussen wird, wie diese Auseinandersetzung. Sie ist aber nicht nur ein grundsätzliches Lehrstück in Sachen Klassenkampf, sie ist auch im Speziellen ein Lehrstück in Sachen Gewerkschaftspolitik.

Selten haben die KollegInnen in den Industriebetrieben oder im Öffentlichen Dienst, zumindest die aufmerksameren unter ihnen, so sehnlich den Sieg einer kämpfenden Gewerkschaft gewünscht wie dieses Mal. Dies hat verschiedene Ursachen: Sie selbst haben sich in den letzten Jahren immer wieder mit mickrigen Lohnerhöhungen zufrieden geben müssen, weil sie auf das Geschehen in den Tarifrunden nur schwer oder gar nicht einwirken konnten (ganz extrem war dies beim TVöD). Und immer wieder haben sie neidvoll nach Frankreich geschaut, wenn „dort die Post abgeht“. Wenn hier „Warnstreiks“ (meist nur mit symbolischer Wirkung) durchgeführt wurden und kurz danach schon ein Tarifvertrag unterschrieben wurde, dann haben das die KollegInnen immer als ineffektiv bezeichnet. Da müsse mehr passieren, da „müssen wirklich mal die Brocken hingeworfen werden“. Jetzt sagen sie: „Die“ (die Lokführer) sollten nicht nach kurzer Zeit wieder arbeiten. Sie müssten so lange am Stück streiken, bis der Mehdorn einknickt.“

Von dieser – teils instinktiven, teils sehr bewussten Stellungnahme – unterscheiden sich diverse Positionen so mancher Linker und vor allem der Führungen der großen DGB-Gewerkschaften, allen voran der Transnet. Wenn die Gewerkschaftsführungen sich ständig von den Zielen und dem Vorgehen der GDL distanzieren, dann ist das sehr wohl erklärlich: Die hartnäckige Haltung der GDL ist ein schallende Ohrfeige für die sozialpartnerschaftliche Politik der Gewerkschaften, im Besonderen der Transnet. Trotz ausgedehnter öffentlicher Kampagnen aller Gegner der GDL, trotz der Tatsache, dass ihr Streik auch die PendlerInnen traf und trifft, trotz der Medienkampagne sowie der Anzeigenkampagne der DB („Stoppen Sie diesen Wahnsinn Herr Schell“), trotz der Personalisierung und der Diffamierungen hat diese kleine Gewerkschaft sich nicht einschüchtern lassen und kämpft weiter. Sie könnte den Beweis antreten, dass kämpfen sich lohnt. Deswegen schauen alle so gespannt auf diesen Kampf, der Klassengegner noch mehr als so manche Linke.

Diejenigen Gewerkschaftsführer, die sich in ihren bürokratischen Positionen politisch herausgefordert (bzw. indirekt politisch bedroht) fühlen, kritisieren die „Spaltung“, bezeichnen die GDL als eine „Berufsverbandsorganisation“ (Bsirske), bzw. eine Standesorganisation, die sich „aus der Solidarität“ verabschiede und „für sich das Maximale“ heraushole usw. In Wirklichkeit ist das alles vorgeschoben, denn für die Spaltung ist nun wahrlich nicht die GDL verantwortlich. Zu allererst ist dies ein Werk des Bahnvorstands, der den Betrieb in viele Einzelunternehmen mit einer Unzahl von Tarifverträgen aufgespaltet hat. Zum Zweiten hat die große Transnet (die ehemalige GDED) all dies mitgemacht und unterstützt faktisch auch die Privatisierung der Bahn. Zum Dritten – und das ist der Kern der Angelegenheit – hat die Transnet jahrelang Verschlechterungstarifverträge abgeschlossen, auf die die GDL als kleines Anhängsel in der Tarifgemeinschaft keinen faktischen Einfluss hatte. So wurde z.B. gegen den Willen der GDL die Arbeitszeit für das Fahrpersonal (und nur für dieses) auf 41 Stunden (ohne Lohnausgleich!) heraufgesetzt. Wie lange sollen diese KollegInnen dies eigentlich noch mitmachen?

Besonders traurig ist, dass so mancher Gewerkschaftsfunktionär in kaum gemilderter Form die Hetze der bürgerlichen Medien unterstützt. So zieht der neue IG Metall-Vorsitzende Huber eine Parallele zwischen dem Verhalten der GDL und der Zersplitterung der Kräfte in der Weimarer Republik, die zur Katastrophe geführt hat. In der FR vom 8.11.07 schreibt er, dass „wir die Politik der GDL missbilligen“ (meint er  mit „wir“ die IG Metall, oder nur den Vorstand“?)
Die Interessen des Fahrpersonals
Seltsam, dass der Gegenstand der Auseinandersetzung auch bei manchen Linken völlig im Hintergrund steht. So schreibt z.B. die Zeitschrift Sozialismus (Nov. 07, S. 6): „Die GDL, obwohl mit über140 Jahren formal die älteste deutsche Gewerkschaft, ist eine zwar kämpferische, aber dennoch im Kern ständische Organisation.“ Detlev Hensche hat an anderer Stelle schon zu Recht angemerkt: Eine ständische Organisation streikt nicht!

Wer materialistisch an die Sache rangeht, wird ohne Schwierigkeit feststellen, dass die Lokführer­Innen (und erst Recht die noch schlechter bezahlten ZugbegleiterInnen) allen Grund haben, sich endlich zur Wehr zu setzten. Sie arbeiten in Schichtdienst, haben Ausbleibezeiten von  bis zu 55 Stunden, nur 13 freie Wochenenden im Jahr, bei ungünstigen Schichtplänen nur 9 Stunden frei bis zur nächsten Schicht usw. und verdienen netto gerade mal im Schnitt 1500 €. Das sind 8,42 € (netto) in der Stunde. Wer von den vielen KritikerInnen (auch im Gewerkschaftslager und unter den hoch bezahlten GewerkschaftsbürokratInnen) möchte gern für dieses Geld einen solchen Job machen? Frau Suckale mit ihrem Stundenverdienst von 1050 € ganz bestimmt nicht.
Nicht umsonst waren die LokführerInnen aus dem Güterverkehrsbereich schon wochenlang scharf darauf, endlich streiken zu dürfen. Nicht umsonst drängen die KollegInnen immer offener darauf, den Streik nicht mehr zu befristen, sondern unbefristet anzusetzen, um den Vorstand möglichst bald in die Knie zu zwingen (bevor mit anderen Manövern oder erneut mit Hilfe der Gerichte wieder eine neue „Gefechtslage“ geschaffen wird). Nach allem, was sich seit ein paar Wochen herauskristallisiert, ist es gerade nicht der GDL-Vorsitzende, der den Streik auf Teufel komm raus will, sondern die KollegInnen wollen „Butter bei de Fische“ haben. Schell hat jetzt schon zweimal den Streik früher absetzen wollen als der GDL-Vorstand und die Tarifkommission.
Entscheidend ist also nicht, ob die GDL früher eine reine Standesorganisation war. Sie war lange als Berufsverband einer bestimmten Gruppe von Beamten sowieso nicht streikfähig. Erst mit dem allmählich geringer werdenden Anteil der Beamten in Westdeutschland (40% der LokführerInnen sind immer noch BeamtInnen!) und der Übernahme der ostdeutschen EisenbahnerInnen, die alle keine BeamtInnen wurden, ist diese Organisation überhaupt streikfähig.
Aus der Solidarität verabschiedet?
Wichtig festzuhalten ist: Die GDL hat sich nicht von der Transnet abgespalten. Sie war nie Teil derselben. Die Transnet-Führung hat mit dem Bahnvorstand gekungelt und sich die Zustimmung zu Mehdorns Börsengang mit einem (zum Gewerkschaftstag zeitgenau eingepassten) Tarifvertrag bezahlen lassen: auf 12 Monate umgerechnet 2,8% Lohnerhöhung. Das kann die KollegInnen Lokführer und andere nicht zufrieden stellen. Schließlich arbeiten sie heute nicht nur länger, sie verdienen heute auch real 9,4 % weniger als noch 1994.

Der Unterschied zu den großen DGB Gewerkschaften ist also eigentlich recht einfach auf den Punkt zu bringen: Der Verband ist noch nicht so stark bürokratisiert, dass die Interessen der Mitglieder nicht mehr zum Zug kommen. Denn Durchsetzungsmacht hätten auch andere Bereiche oder Berufsgruppen, wenn die Gewerkschaft sie in einer überzeugenden Weise dafür ansprechen würde. Dazu gehören allerdings zwei ganz wesentliche Dinge:

Erstens muss die Forderung so substantiell sein, dass es sich für die KollegInnen lohnt, dafür zu kämpfen. Für eine Forderung von beispielsweise 4 oder 5%, von der nach aller Erfahrung schon nach kurzer Zeit und ohne Not deutlich nach unten abgewichen wird, kann kein großer Kampfgeist entwickelt werden.

Zweitens muss auch mit dem Willen zur Durchsetzung gekämpft werden. Durchsetzungsstreiks sind also das Gebot erfolgreicher Tarif- bzw. Gewerkschaftspolitik und nicht Warnstreiks mit meist nur symbolischer Bedeutung.
Was wäre also, wenn beim nächsten Kampf nicht nur die LokführerInnen streiken, sondern auch die StellwerkerInnen, oder die FahrdienstleiterInnen usw. Wenn eine überzeugende Tarifpolitik gemacht wird, wenn substantielle Forderungen aufgestellt werden und der Wille zur Durchsetzung erkennbar ist, wieso sollten dann die LokführerInnen nicht mit den anderen gemeinsam kämpfen wollen? Nichts wäre ihnen doch lieber als genau das.
Unsere Kritik an der GDL-Führung
Was wir kritisieren, ist nicht der Sonderweg der GDL. Dazu ist sie heute gezwungen und ein erfolgreicher Kampf kann die Situation sehr wohl deblockieren, nicht nur bei der Bahn. Zu kritisieren ist vielmehr die falsche Betonung ihrer Streikziele. Es ist nicht so sehr der „eigenständige Tarifvertrag“, der alles ins Lot bringt. Viel bedeutsamer sind die materielle Besserstellung der KollegInnen und die Darstellung dieser Lage in der Öffentlichkeit. Zu sehr fühlt sich die GDL in ihrer gegenwärtig starken Position zur Ausübung ökonomischen Drucks wohl. Ein sich sonnen in dieser Situation kann zu einem bösen Erwachen führen, wenn etwa der Fahrpersonalbereich umorganisiert und zerschlagen wird und die LokführerInnen die Solidarität der anderen bräuchten.

Die Solidarität muss allerdings von unten aufgebaut werden. Sie kann nicht dadurch hergestellt werden, dass ein GDL-Verhandlungsführer (mit etwas mehr Mitspracherecht als in der Vergangenheit) am Katzentisch der Tarifverhandlung zwischen Transnet und Bahn dabeisitzt.

Zweitens: Die GDL sollte umgehend den unbefristeten Streik ausrufen (er ist seit Mitte November überfällig) und so lange weiter streiken lassen, bis ein akzeptables Angebot da ist und nicht aus lauter Angst vor den Gerichten sich selbst beschneiden. Je massiver jetzt zugelangt wird, umso schneller liegt ein gutes Angebot auf dem Tisch!

Drittens sollte sich die Organisation noch konsequenter für andere Beschäftigtengruppen bei der Bahn öffnen. Der massive Übertritt von Transnet-Mitgliedern in den letzten Monaten kommt nicht von irgendwo (laut internem Transnet-Bericht 1021 seit dem Sommer, allein 214 in Bayern. Weitere 1000 nicht organisierte KollegInnen haben sich der GDL angeschlossen). Vor allem muss das gesamte Fahrpersonal beteiligt werden: Also keine Fahrkarten mehr kontrollieren!

Viertens muss die GDL unbedingt alle Ausgliederungspläne ablehnen und bekämpfen.

Fünftens sollte die GDL zusammen mit VerkehrsexpertInnen ein Gesamtverkehrskonzept entwickeln (weg von der Autogesellschaft) und für dessen Umsetzung kämpfen.

Sechstens und schließlich sollte die GDL sehr wohl – im Gegensatz zu ihrer bisherigen Haltung – einen allgemeinpolitischen Anspruch entwickeln. Die DGB-Gewerkschaften haben ihn noch, auch wenn dieser Anspruch meist nur auf dem Papier steht. Er muss natürlich auch in der Praxis umgesetzt werden: Beim Kampf gegen die Rente mit 67 genauso wie beim Bundeswehreinsatz oder beim Überwachungsstaat.
Was auf dem Spiel steht
Klar sollte uns sein: Der Bahnvorstand hat das allergrößte Interesse, die GDL niederzumachen, weil damit der Marktwert der Bahn steigen würde. Und das Kapital hat das Interesse, dass nicht vorgelebt wird, wie sich kämpfende KollegInnen durchsetzen können. Und die Gewerkschaftsbürokraten im DGB und den großen Einzelgewerkschaften haben das Interesse, dass sie nicht von einer kleinen Gewerkschaft vorgeführt werden, die all den KollegInnen im Land zeigt: Schaut her, was ein Durchsetzungsstreik bringen kann! Und die Politik hat das Interesse, dass die Bahnprivatisierung nicht gefährdet wird, dass Kämpfen bestraft wird, dass Kämpfen nicht Schule macht.
Den KollegInnen Solidarität vermitteln, Aufklärungsarbeit leisten, bei den anderen Gewerkschaften Solidarität einfordern usw., das muss heute ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Wenn es zu einer breiteren Bewegung kommt, können KollegInnen, die solidarisch sind, z.B. auch Eisenbahnknotenpunkte besetzen, Unruhe in die Städte tragen usw.

 

Unterschiedliche Tarifverträge – Wer ist schuld?
Im Bereich der Bahn existieren heute etwa 200 verschiedene Tarifverträge. Sie regeln z.T. sehr unterschiedliche Angelegenheiten, aber auch z.T. gleiche Regelungsgegenstände, aber für unterschiedliche Bereiche oder Beschäftigtengruppen. So gibt es selbst innerhalb der Gruppe der Schlosser verschiedene Tarifverträge, je nachdem ob sie an der Instandhaltung der ICE arbeiten oder an anderen Zügen. Solange diese Zersplitterung im Interesse des Bahnvorstands war, weil damit die Beschäftigten gut aufgeteilt werden konnten, war bzw. ist die Unterschiedlichkeit der Tarifverträge offenbar „voll in Ordnung“.
D. B.

 

 

Artikel teilen
Kommentare auf Facebook
Ähnliche Artikel
Zur Startseite