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Innenpolitik

Der Ein-Euro-Flop

Von Walter Wiese | 01.04.2007

Als Peter Hartz seinem Kanzler Gerhard Schröder die Diskette – oder war es eine CD? – mit dem Programm der sog. Hartz-„Reformen” überreichte, verkündete er vollmundig das Absinken der Arbeitslosenzahlen um 2 Millionen in wenigen Jahren. Die Wunderwaffen von Hartz I bis III erwiesen sich als stumpfe Instrumente. Die Arbeitslosigkeit verharrte auf hohem Niveau. Wer spricht z.B. heute noch über die Ich-AG? Mit Hartz IV wurden die Betroffenen nicht nur finanziell ausgeplündert, massiv entrechtet und gedemütigt, es wurde ein Zwangsarbeitsverhältnis geschaffen, das auf der Basis von Hungerlöhnen den Arbeitsmarkt beleben sollte. Der Ein-Euro-Job war geboren.

Als Peter Hartz seinem Kanzler Gerhard Schröder die Diskette – oder war es eine CD? – mit dem Programm der sog. Hartz-„Reformen” überreichte, verkündete er vollmundig das Absinken der Arbeitslosenzahlen um 2 Millionen in wenigen Jahren.

Die Wunderwaffen von Hartz I bis III erwiesen sich als stumpfe Instrumente. Die Arbeitslosigkeit verharrte auf hohem Niveau. Wer spricht z.B. heute noch über die Ich-AG? Mit Hartz IV wurden die Betroffenen nicht nur finanziell ausgeplündert, massiv entrechtet und gedemütigt, es wurde ein Zwangsarbeitsverhältnis geschaffen, das auf der Basis von Hungerlöhnen den Arbeitsmarkt beleben sollte. Der Ein-Euro-Job war geboren.
Schein und Wirklichkeit
Die versprochenen Qualifizierungsmaßnahmen fanden kaum statt, obwohl die Träger eine monatliche Pauschale bis 450 Euro erhalten. Die Tür zum ersten Arbeitsmarkt wurde nicht geöffnet und selbst die ABM-Maßnahmen wurden auf ein Minimum reduziert. Der Übergang vom welfare-state zum workfare-state nahm konkrete Formen an. Insbesondere die Kommunen – und im Geiste der Solidarität und christlichen Nächstenliebe – die „Wohlfahrts“-Verbände bemächtigten sich der neuen Klientel.  Primär geschehen die Einstellungen im Bereich der gesellschaftlichen Reproduktion wie Kranken- und Altenpflege, Reinigung von Parkanlagen, Hausmeistertätigkeiten … Qualifizierung war häufig nicht notwendig, da mensch auf ein Millionenheer von gut ausgebildeten und berufserfahrenen Langzeitarbeitslosen zurückgreifen kann. Die ohnehin manipulierten Statistiken werden bis heute im Sinne des Jobwunders „verschönert“. Sinkende Arbeitslosenzahlen bei fast täglichen Massenentlassungen – die Bundesagentur für Arbeit (= Bundesagentur des Kapitals) wird es schon richten.

Ohnehin konzentriert sie sich auf das Alterssegment der 20 bis 40jährigen. Dabei versucht sie die über 50jährigen aus dem Leistungsbezug in Richtung Sozialgesetzbuch 12 (Sozialhilfe) auszugliedern. Jüngere versucht die BfA erst gar nicht in den „Genuss“ von Hartz IV kommen zu lassen. Der Zugriff auf die Datenbanken wird massiv erleichtert. Zudem wird der Ein-Euro-Job genutzt, um das Tarifrecht zu unterlaufen oder außer Kraft zu setzen und die Rahmenbedingungen der Arbeit zu verschlechtern. Die öffentliche Hausarbeit wird über die zunehmende Rücknahme der Mehraufwandsentschädigung noch mehr verbilligt. Hier spielen die Kommunen eine Vorreiterrolle.
Das Beispiel Dortmund
Das sozialdemokratische Herzstück Dortmund hat sein Kontingent an Ein-Euro-Jobbern von 750 auf 1350 Personen erhöht. Fachliche Qualifikation steht z.Z. noch nicht im Vordergrund. So wird das Entsorgen von Fäkalien und Straßendreck jeder Art in menschenverachtender Weise zynisch als „ästhetische Reinigung“ apostrophiert. Teure Arbeit und Technik werden eingespart. Besondere Arbeitskleidung unterscheidet die Betroffenen von der festen Belegschaft. Diese wird gleichzeitig zum Anleiter und Aufpasser, eine besonders perfide Form der Klassenspaltung! Dabei sind Frauen und MigrantInnen von solchen Maßnahmen stärker betroffen.

Die Kommunen haben dabei ein handfestes Betriebsinteresse. Die Klientel arbeitet kostenneutral oder gewinnbringend. Die Zahlen bleiben geheim. Frei werdende Stellen werden nicht neu besetzt, sondern in Ein-Euro-Jobs transformiert. Die Betroffenen müssen sich in diesem System der Lohnsklaverei einrichten und bleiben vom ersten Arbeitsmarkt Lichtjahre entfernt. Handreinigung von öffentlichen Anlagen, Botendienste, Küchenarbeit, Hausmeisterarbeiten etc. am Rande des Existenzminimums – hier ist ein neues, entrechtetes Subproletariat im Entstehen begriffen. Das Verhältnis zu Normalarbeitsverhältnis kann in bestimmten Bereichen im Verhältnis 1 : 3 umgekehrt werden. Die Kommunen tragen dann nur noch die Kosten für die Warmmieten. Die steuerlichen Aufwendungen schultert mehrheitlich die ArbeiterInnenklasse in Form der Lohn- und Verbrauchssteuern. Das sage einer, die Bourgeoisie verstände nichts von Umverteilung.
Eine bittere Bilanz
Es ist das wissenschaftliche Institut der Arbeitsagentur selbst, das bezüglich der Ein-Euro-Jobs zu dem Resultat kommt: Operation gelungen – Patient tot! Gerade 2 % (!) der Ein-Euro-JobberInnen sind in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis gelandet. So sehen zwei Drittel der Betriebe die Umsonstarbeitskräfte als kostensparenden Faktor. Drei Viertel erfahren durch sie insgesamt eine Entlastung z.B. bei Krankheit und Urlaubsvertretung. Jeder zweite Betrieb konnte durch Ein-Euro-Jobs seine Leistung verbessern bzw. ausweiten.

Den Zauberlehrlingen aus der neoliberalen Giftküche war die Ein-Euro-Lösung aber auf die Dauer zu teuer und am Horizont erscheint nun wie ein böses Omen – die Bürgerarbeit. Ein Modell, das die SPD in Flöha (Sachsen) für Langzeitarbeitslose favorisiert und an bestimmten Orten in Sachsen-Anhalt bereits praktiziert. Hinter dem sprachlich moderat klingenden Begriff steht die Intention, die Ein-Euro-Jobber durch ein profitableres Instrument zu ersetzen. Zwar handelt es sich um ein zunächst ansprechendes sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis, aber von 650 bis maximal 1000 Euro brutto kann kein Mensch leben. Damit liegen wir 30 % unter der niedrigsten Tarifgruppe von ver.di.!

Der Hintergrund: Die Pauschale, die der Unternehmer für den Ein-Euro-Jobber erhält, entfällt und es entstehen ca. ein Drittel weniger Kosten. Dabei kann in vielen Bereichen auf eine millionengroße industrielle und z.T. hochqualifizierte industrielle Reservearmee zurückgegriffen werden, die gezwungen ist, jedes Arbeitsverhältnis zu akzeptieren, um die eigene Reproduktion zu sichern. Dann spannt sich der Bogen des Erwachsenenlebens von den prekären Arbeitsverhältnissen (s. Artikel in dieser Avanti) hin zur Altersarmut. Wenn diese Entwicklung aber schon die reichen kapitalistischen Metropolen erreicht, dann können wir uns die Folgen an der Peripherie des kapitalistischen Systems nur als Barbarei vorstellen. „Sozialismus oder Barbarei“ ist aktueller denn je. Um letztere „Alternative“ zu verhindern, ist erstere zu befördern. Daran arbeiten wir.

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