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Das Schweigen brechen

Von Walter Wiese | 01.07.2011

Die israelische ReservistInnenorganisation Breaking the Silence (BTS – Das Schweigen brechen) unternimmt den Versuch, die israelische Politik zu durchleuchten, die den anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in der Besetzung der Westbank, Jerusalem und dem Gazastreifen zugrunde liegt.

Die israelische ReservistInnenorganisation Breaking the Silence (BTS – Das Schweigen brechen) unternimmt den Versuch, die israelische Politik zu durchleuchten, die den anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in der Besetzung der Westbank, Jerusalem und dem Gazastreifen zugrunde liegt.

Sie stellt fest, dass die militärischen Autoritäten der israelischen Verteidigungskräfte (IDF) der israelischen Öffentlichkeit suggerieren, die Armee verfolge allein das Ziel, die israelische Zivilbevölkerung zu schützen. Das geschieht mittels einer immer ausgefeilteren Kontrolle aller Lebensaspekte der Palästinenser­Innen. Letztlich entlarvt BTS die tatsächlichen Absichten des israelischen Staates, nämlich, die Armee zur aktiven Veränderung des derzeitigen Status und zur Verdrängung der palästinensischen Bevölkerung einzusetzen.

„Zeig mir deinen Pass innerhalb von 5 Sekunden“, fordert ein israelischer Armeeoffizier einen den Checkpoint passieren wollenden Palästinenser auf. Der schafft das nicht, auch nicht beim zweiten und dritten Versuch. „Dann stell’ dein Auto ab  und komme in 2 Stunden wieder!“, weist der Leutnant ihn an. Als der Palästinenser nach 2 Stunden Wartezeit wieder am Kontrollpunkt erscheint, hat er sich auf das `Spiel` vorbereitet und schafft es jetzt, innerhalb der geforderten 5 Sekunden, den Pass vorzuzeigen. Dies berichtet ein Soldat der Reservist­Innenorganisation Breaking the Silence und fügt hinzu: „Dieses `Spiel` ließ sich der Offizier gegen die Eintönigkeit der Checkpointkontrollen einfallen“.

Medico International arbeitet eng mit der Reservisten­Innenorganisation zusammen, die jüngst einen 347 Seiten starken Bericht „Die Besatzung der Gebiete: Zeugenaussagen israelische Soldat­Innen 2000 bis 2010“ herausgegeben hat, und den medico auf seiner Internetseite Anfang Mai 2011 publizierte.

Die Schilderung der Operationsmethoden der Soldat­Innen der israelischen Truppen im Westjordanland und im Gazastreifen zeigen deren Auswirkungen auf die Menschen in den besetzten Gebieten: auf Palästinenser­Innen, Siedler­Innen und auf die Soldat­Innen selbst. Die Beschreibungen vermitteln einen Einblick in die den israelischen Operationen unterliegende Logik. Die in der israelischen Gesellschaft weit verbreitete Annahme, die Kontrolle über die besetzten Gebiete diene allein dem Schutz der israelischen Bevölkerung, wird durch die Aussagen der Soldat­Innen vehement in Frage gestellt.
Die vier Teile des Berichtes
Mit dem Stichwort „Prävention“ werden alle Offensiven in den Palästinensergebieten begründet und gerechtfertigt. Viele offensive Handlungen der Armee haben nicht die Prävention bestimmter Terrorakte zum Ziel, sondern die Bestrafung, Abschreckung oder die erhöhte Kontrolle über die  palästinensische Bevölkerung.

Unter „Separation“ werden Handlungen beschrieben, die die palästinensische Bevölkerung kontrollieren und palästinensisches Land enteignen und zugunsten Israels annektieren. Das hat zur Folge, dass die palästinensische Abhängigkeit von Israel sich ständig vertieft und in den letzten Jahren zugenommen hat. Dies wird am Beispiel des Transitverbots zwischen dem Gazastreifen und der Westbank deutlich, das Israel verhängt hat und die Trennung der PalästinenserInnen untereinander vorantreibt.

Das dritte Stichwort lautet „Lebensstrukturen“. Es ist nachvollziehbar, dass die Handlungen der israelischen Streitkräfte und der Behörden das Leben der Palästinenser­Innen in den besetzten Gebieten stark beeinflussen. Diese behaupten, dass trotz ihres Sicherheitsbedürfnisses palästinensische Lebensstrukturen in den besetzten Gebieten entstünden. Sie suggerieren, das Leben unter der Besatzung sei erträglich und die PalästinenserInnern könnten ein gutes Leben führen.

Tatsächlich aber ist die einheimische palästinensische Bevölkerung auf die Gnade Israels angewiesen; rechtlich stehen sie völlig schutzlos dar. So sind sie z. B. vom Verhalten der Soldaten am Checkpoint abhängig (s. oben). Sie treten als beständige Bittsteller­Innen gegenüber den verschiedenen israelischen Institutionen auf.

Zum Schluss das Stichwort „Rechtsdurchsetzung“. Die Palästinenser­Innen unterliegen einer Militärherrschaft und damit der Kontrolle der israelischen Armee. Diese demonstriert ihre Stärke durch Drohungen und Strafaktionen. Der/die israelische SoldatIn am Checkpoint ist BefehlshaberIn vor Ort und hat nach eigenem Ermessen vorzugehen. Er/Sie ist gegenüber allen berechtigt, den er/sie aus welchen Gründen auch immer als Bedrohung empfindet, Festnahmen oder Verhaftungen durchzuführen oder Gewalt anzuwenden.
Die hemmungslosen Siedler­Innen sind nicht nur Staatsbürger­Innen Israels auf besetztem palästinensischem Gebiet, sondern machen es den dort lebenden arabischen Einwohner­Innen wegen ihrer engen Verbindung zur IDF unmöglich, sich gegen Landraub und Vertreibung erfolgreich zur Wehr zu setzten.
Ein realistischer Bericht
Wer noch nicht selbst in Palästina war und die schikanöse und menschenverachtende Behandlung der Palästinenser­Innen durch die IDF erlebt hat, erhält durch den realistischen Bericht einen Eindruck vom alltäglichen Leben der Palästinenser­Innen in israelischer Okkupation.
Der Bericht ist unbedingt lesenswert; er enthält viele Erläuterungen und Einordnungen auf Deutsch. Es finden sich dort aber auch unmittelbar die Zeugnisse der Soldat­Innen in englischer Sprache, die, quasi als einzelne Mosaiksteine zusammengefügt, ein eindringliches Gesamtbild vom täglichen Leben in den besetzten Gebieten bilden. Von daher: unbedingt lesenswert!

Die Seite „Breaking the Silence“ mit weiteren Berichten und Videos: www.breakingthesilence.org.il/testimonies/publications

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