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Innenpolitik

Bürgerbegehren verhindert Privatisierung

Von Korrespondent Leipzig | 01.03.2008

In Leipzig stimmten am 27. Januar 87% für den Erhalt der kommunalen Betriebe in „öffentlichem Eigentum“ in den nächsten drei Jahren. Die Wahlbeteiligung betrug 41% (im Vergleich zu knapp 32% bei der Oberbürgermeisterwahl 2006). Avanti interviewte dazu Mike Nagler von Attac Leipzig. Ein Gespräch über Konzept der Initiative, die Probleme und Anknüpfungspunkte.

In Leipzig stimmten am 27. Januar 87% für den Erhalt der kommunalen Betriebe in „öffentlichem Eigentum“ in den nächsten drei Jahren. Die Wahlbeteiligung betrug 41% (im Vergleich zu knapp 32% bei der Oberbürgermeisterwahl 2006). Avanti interviewte dazu Mike Nagler von Attac Leipzig.


Avanti: Was beinhaltet das Erfolgsrezept des Anti-Privatisierungs-Bündnisses?

Mike Nagler: Ohne die vielen Leute, die sich im Bündnis ehrenamtlich engagiert haben, wäre das Ganze nicht möglich gewesen. Für wichtig halte ich auch, dass keine Organisation den Hut auf hatte.

Von außerhalb des Bündnisses wurden u. a. Motto und Plakatgestaltung der Kampagne kritisiert, da sie auf einem sehr niedrigen Niveau angesiedelt waren („Ja zu Leipzig“). Hat sich nun gezeigt, dass diese Kritik nicht berechtigt war?

Mike: Es ist richtig, dass das Motto etwas zu Verwirrungen führte. Das hing aber vor allem mit der Fragestellung zusammen, die darauf abzielte, dass mit „Ja“ gestimmt werden musste, wenn man gegen die Privatisierung war. Wir hielten nach langer Diskussion eine positive Besetzung für wichtig. Auf den Plakaten standen die Aussagen sehr reduziert, aber wir haben ja noch weitere Möglichkeiten genutzt, um unsere Positionen und Argumente zu verbreiten, wie beispielsweise unsere Zeitung. Auch wenn die Plakate kein ästhetischer Meilenstein waren, so haben sie ihren Zweck erfüllt. Die Leute haben hingeschaut.

Der Unmut in der Bevölkerung über die herrschende Politik steht ihr ins Gesicht geschrieben. Wie haben die Menschen auf der Straße auf eure Kampagne reagiert?

Mike: Mein Eindruck ist, dass die Leute viel öfter nach ihrer Meinung gefragt werden wollen, wenn es um wichtige Angelegenheiten geht. Ich glaube, es gibt eine Menge Menschen, die das Gefühl haben, sie haben keinen Einfluss mehr auf das, was an Politik gemacht wird. Viele sagen auch, dass Wahlen nichts mehr ändern. Und ganz unrecht haben sie damit auch nicht. Wie stark man den Wahlprogrammen der Parteien vertrauen kann, ist auch bekannt. Da kann es schon mal passieren, dass Stadtratsvertreter einer linken Partei kommunale Wohnungen oder Krankenhäuser privatisieren lassen, obwohl grundsätzlich anderes im eigenen Wahlprogramm steht.

Wie nah war das Bündnis am Puls der Bevölkerung?

Mike:
Gemeinsam mit Bürgervereinen haben wir im Januar sehr oft Diskussionsveranstaltungen in den Stadtteilen durchgeführt. Dort war nach den Diskussionen eigentlich immer klar, dass die Mehrheit der Anwesenden in der Frage der Privatisierung mit uns auf einer Wellenlänge liegt. Die führenden Politiker von CDU, FDP und SPD haben sich immer wieder für die Privatisierungen ausgesprochen. Ich hoffe, das Ergebnis trägt dazu bei, dass sie sich Gedanken machen, ob diese Positionen überhaupt tragbar sind bei einer so deutlichen Ablehnung ihrer Privatisierungsabsichten.

Wie setzte sich das Bündnis zusammen, das das Bürgerbegehren getragen hat?

Mike:
Hinter dem Bündnis stand eine ganze Reihe von Unterstützern, die sich mehr oder weniger stark eingebracht haben. Neben Attac, Mieterverein, ver.di, Linke und Grünen gab es eine breite Beteiligung aus Vereinen und kleineren Gruppen sowie Einzelpersonen.

Von radikaleren Kräften wurde von außerhalb des Bündnisses eine Soli-Demo vorgeschlagen. Wieso ist diese nicht zustande gekommen?

Mike: Eine zentrale Demonstration wäre meines Erachtens sicherlich sinnvoll gewesen, aber angesichts der beschränkten Kapazitäten war es einfach nicht möglich. Wir waren mit dem Plakatieren und den täglichen Info- und Diskussionsveranstaltungen gut beschäftigt.

Was werden die AktivistInnen nun tun?

Mike: Das Ziel ist zunächst erreicht. Viele Akteure werden aber natürlich auch weiterhin aktiv bleiben. Im Moment planen wir für den 3. Mai ein bundesweites Vernetzungstreffen von lokalen AktivistInnen. Ich hoffe, dass sich durch den Erfolg und das eindeutige Ergebnis hier in Leipzig in anderen Städten Leute motiviert fühlen, ähnliche Initiativen zu bilden und Privatisierungen verhindern bzw. (Re-)Kommunalisierung voranzutreiben.

Erleben wir gerade ein abebben der Privatisierungswelle in der BRD?

Mike: Wohl kaum. Dazu müssten sich zunächst auch die Rahmenbedingungen ändern. Die Vorgaben der WTO, die besagen, möglichst alle öffentlichen Bereiche zu liberalisieren bzw. der Marktwirtschaft und dem „freien Wettbewerb“ zu unterwerfen, werden weiterhin von der EU-Kommission in Richtlinien gegossen und von den Nationalstaaten in Gesetze umgewandelt. Hier stellt sich die Frage: Wer hat die Macht?

Mike, vielen Dank für das Gespräch

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