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Kultur

Buchbesprechung: In Deutschland bebte die Erde

Von Ingrid Kohlhaas | 28.09.2014

Sebastian Haffner, promovierter Jurist, geboren 1907 in Berlin, emigrierte 1938 nach England und arbeitete als freier Journalist für den “Observer“. 1954 kehrte er nach Deutschland zurück und schrieb zunächst für die “Welt“, später für den “Stern“. Er starb 1999. 1969 erschien seine Schrift „Verratene Revolution“ und dann 1979 erneut unter dem Titel „Die Deutsche Revolution 1918/1919“.

Sebastian Haffner, promovierter Jurist, geboren 1907 in Berlin, emigrierte 1938 nach England und arbeitete als freier Journalist für den “Observer“. 1954 kehrte er nach Deutschland zurück und schrieb zunächst für die “Welt“, später für den “Stern“. Er starb 1999. 1969 erschien seine Schrift „Verratene Revolution“ und dann 1979 erneut unter dem Titel „Die Deutsche Revolution 1918/1919“. Eine Buchbesprechung.

Als die USA 1917 auf Seiten der Alliierten in den Krieg eintraten, wandte sich das Kriegsgeschehen und die Niederlage des deutschen Heeres war nicht mehr aufzuhalten.

Es war der Generalquartiermeister Ludendorff, der am 29. September 1918 von einem auf den andern Tag die Regierung und die Verfassung wechselte, die parlamentarische Demokratie einführte und die SPD an die Regierung brachte. „Aber als Morgengabe drückte er ihr die Niederlage in die Hand, und was er jetzt von ihr verlangte, das war nicht mehr die Suche nach einem Verständigungsfrieden, sondern die Kapitulation“.

Eine zwielichtige Periode, dieser Oktober 1918– eine Periode zwischen Krieg und Frieden, zwischen Kaiserreich und Revolution, zwischen Militär-diktatur und Parlamentsdemokratie.“

Die Reichsregierung hatte am 20. Oktober 1918 die Einstellung des U-Boot-Krieges beschlossen. Die Flottenführung beschloss jedoch hinter dem Rücken der neuen Regierung eine Entscheidungsschlacht zwischen der deutschen und der englischen Hochseeflotte zu suchen.

30. Oktober 1918, Schillig-Reede vor Wilhelmshaven

Der Offiziersmeuterei folgte nun eine Mannschaftsmeuterei. Zunächst entschieden sich die Mannschaften mehrerer großer Schiffe dafür. Nach atemberaubenden Minuten, während derer die meuternden und die nicht meuternden Schiffe ihre riesigen Kanonen aufeinander gerichtet hatten, ergaben sich die meuternden Matrosen. Das dritte Geschwader, das nicht gemeutert hatte, dampfte zurück nach Kiel, wo es am Freitag, dem 1. November, einlief. Über 1000 verhaftete Matrosen wurden in Militärgefängnisse gebracht, wo Kriegsgericht und Erschießungskommandos auf sie warteten. Die meuternden Matrosen der “Thüringen“ und der “Helgoland “ hatten den U-Boot-Krieg verhindert und damit allen andern das Leben gerettet. Sie schwebten jetzt in Lebensgefahr. Die Matrosen des Dritten Geschwaders verlangten zunächst vergeblich die Freilassung der Verhafteten.

Am 3. November versammelten sie sich dann im Freien, wo tausende Arbeiter zu ihnen stießen und sich zu einem Demonstrationszug formierten. Ein Leutnant Steinhäuser befahl “Auseinandergehen“ und dann “Feuer“. Neun Tote und 29 Verletzte blieben auf dem Pflaster liegen. Ein bewaffneter Matrose stürzte vor und erschoss den Leutnant Steinhäuser. Das war der Startschuss der Deutschen Revolution. Am Morgen des 4. November wählten alle Matrosen des Dritten Geschwaders Soldatenräte, entwaffneten die Offiziere, bewaffneten sich selbst und hissten auf den Schiffen die rote Fahne. Sie gingen an Land, besetzten das Militärgefängnis und befreiten ihre Kameraden. Die Dockarbeiter beschlossen den Generalstreik.  Am 4. November war Kiel in der Hand von 40 000 aufständischen Matrosen und Marinesoldaten.
 
Sie befreiten die gefangenen Matrosen in Brunsbüttel und Wilhelmshaven. Dann schwärmten sie aus, um die Revolution ins ganze Land zu tragen. Wo sie auch hinkamen, schlossen sich ihnen die Soldaten der Garnisonen und die ArbeiterInnen der Fabriken an. Vom 3. Tage an bedurfte es schon keiner Matrosen mehr. Überall geschah dasselbe: Die Soldaten der Garnisonen wählten Soldatenräte, die Arbeiter­Innen wählten Arbeiter­Innenräte, die Militärbehörden kapitulierten, die zivilen Behörden erkannten die neue Oberhoheit an.
Die Revolution war gutmütig, politische Gefangene wurden befreit, aber niemand verhaftet. Jedoch:

Dem siegreichen Volk hilft es wenig, gutmütig zu sein, die besiegten Herren verzeihen es ihnen nicht.“

Am 9. November 1918 erreicht die Aufstandsbewegung Berlin. Der Reichskanzler Max von Baden gab sein Amt an den Vorsitzenden der Mehrheitssozialdemokraten (MSPD) Friedrich Ebert ab. In der sich zuspitzenden Lage rief Philipp Scheidemann (MSPD) die Republik aus. Kurz darauf verkündete Karl Liebknecht (Spartakusbund) die Sozialistische Republik Deutschland und verspracht: “Alle Macht den Arbeiter- und Soldatenräten!“

Friedrich Ebert übernahm das Amt des Reichskanzlers in der festen Absicht, die soziale Revolution zu ersticken.

Reichswehr und Freikorps, die aus konservativen Kreisen von Industrie und Großagrariern bezahlt wurden, schlugen den Januaraufstand, der gegen die Entmachtung der Räte geführt wurde, nieder. Von Februar bis Mai 1919 tobte ein mit großer Brutalität geführter Bürgerkrieg, aus denen die Regierungstruppen und die Freicorps als Sieger hervorgingen.

Legendenbildung

Gegen die Versuche, die Revolution kleinzureden, schreibt Sebastian Haffner: „Das Außerordentliche war eben dies: dass eine Matrosenmeuterei in der ersten Novemberwoche 1918 ein Erdbeben auslöste, das ganz Deutschland erschütterte, dass das gesamte Heimatheer, die gesamte Arbeiterschaft, in Bayern überdies noch ein Teil der Landbevölkerung sich erhoben. … Worum es ging, das waren der Sturz einer herrschenden Klasse und die Umgestaltung eines Staats. … Wer die Revolution niedergeschlagen hat, daran gibt es keinen Zweifel. Es war die Führung der SPD, es war Ebert mit seiner Mannschaft…“

Ich hoffe, ich konnte neugierig machen auf 250 Seiten dicht gewebten Diskussionsstoff: die parteiliche Darstellung der Ziele der aufständischen Massen, ihrer Organisationsformen und ihres Verhältnisses zur SPD, die gekonnte Porträtierung der Hauptvertreter­Innen der Revolution und der Gegenrevolution, die Folgen der Niederlage der Revolution, die Spaltung der Arbeiter­Innenbewegung, die zum Sieg des Faschismus in Deutschland wesentlich beigetragen hat.

TiPP!
Sebastian Haffner:
„Die Deutsche Revolution 1918/1919“, Hamburg, 2010

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