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Kultur

Buchbesprechung: Der Babcock-Bankrott

Von J.A. | 01.12.2004

Der Oberhausener Kesselbauer Babcock ist seit den 70er Jahren ein Großkonzern vor allem im Kraftwerksbau und seit 1990 – nach dem massiven Kauf von Babcock-Aktien durch die Westdeutsche Landesbank, deren Eigentümer zum großen Teil das von SPD und Grünen regierte Land NRW ist – ein halbstaatliches Unternehmen unter sozialdemokratischer Leitung.

Der Oberhausener Kesselbauer Babcock ist seit den 70er Jahren ein Großkonzern vor allem im Kraftwerksbau und seit 1990 – nach dem massiven Kauf von Babcock-Aktien durch die Westdeutsche Landesbank, deren Eigentümer zum großen Teil das von SPD und Grünen regierte Land NRW ist – ein halbstaatliches Unternehmen unter sozialdemokratischer Leitung.

Am 5. Juli 2002 stellte Babcock Antrag auf Einleitung eines Insolvenzverfahrens und ging am 1. September 2002 in Konkurs zusammen mit 24 seiner Gesellschaften – der größte Bankrott im Ruhrgebiet der letzten zehn Jahre.
Peter Berens, ehemals Schlosser bei Babcock und Betriebsratsvorsitzender bei der ausgegliederten Babcock Montagegerätetechnik, hat über den Babcock-Bankrott ein gut lesbares, sehr informatives Buch geschrieben: „Der Babcock-Bankrott. Korrumpieren, abkassieren, liquidieren“ (Neuer ISP Verlag Köln 2004, Preis: 9,80 Euro).
Berens’ Buch macht klar: Der Babcock-Bankrott ist ein Lehrstück über die katastrophalen Auswirkungen sozialdemokratischer Sozialpartnerschaft.
Berens untersucht vor allem ein Problem: Warum wurden die Warnungen und kritischen Analysen der wirtschaftlichen Lage des Konzerns, die es immer wieder gab, von den „Arbeitnehmervertretern“ im Aufsichtsrat, dem Konzernbetriebsrat und der IG Metall nicht aufgegriffen und verfolgt? Warum fand keine richtige Kontrolle statt?

Sozialdemokratie an der Macht

Bei Babcock gab es eine für NRW typische Besonderheit: Auf allen Ebenen saßen an entscheidenden Stellen Sozialdemokraten – sowohl auf der Kapitalseite (die Landesregierung ist Haupteigentümerin der WestLB und die WestLB war Babcock-Hauptaktionärin und einige der Babcock-Manager waren Sozialdemokraten) als auch auf der Seite der Belegschaft (die Mehrheit der gewerkschaftlichen und betrieblichen „Arbeitnehmervertreter“). Und diese besonders enge Sozialpartnerschaft war mitverantwortlich für die Konzernkrise, denn sie verhinderte die Kontrolle durch die sozialdemokratischen Belegschaftsvertreter. Der Babcock-Vorstand fand mit seinen Konzepten meist Rückendeckung beim WestLB-Vertreter und Aufsichtsratsvorsitzenden, dem „Genossen“ Friedel Neuber. Und gegen die Meinung von „unserem Friedel“ wollten sich die SPD-BetriebsrätInnen und GewerkschaftsvertreterInnen im Aufsichtsrat nicht stellen. Deren „Zustimmung, Duldung und mangelnde Kontrolle konnten dem Management nur eines signalisieren. Ihr könnt (fast) alles tun, was ihr wollt“.
Die sozialdemokratischen BetriebsrätInnen spielten voll mit: „Alle anstehenden Probleme wurden erst im Betriebsausschuss, einer Art Politbüro des Betriebsrates, vordiskutiert und bei Meinungsverschiedenheiten abgestimmt. Die unterlegene Minderheit wurde verpflichtet, in der nachfolgenden Betriebsratssitzung die Mehrheitsmeinung des Betriebsausschusses zu vertreten. Diese Methode der Körperschaftsdisziplin war eines der wichtigsten Herrschaftsinstrumente, mit dem Honecker & Co. die Meinungsbildung in der SED von oben herab unter Kontrolle behielten. Im Betriebsrat des Hauptbetriebes, der wichtigsten Vertretung der Lohnabhängigen am Standort Oberhausen, herrschten undemokratische Verhältnisse wie in der DDR.“

Oben wird abkassiert

Bei solchen Strukturen funktionierte nur eines bei Babcock wirklich gut: das Abkassieren. Ein Vorstandsmitglied bekam laut Konzerngeschäftsbericht im Jahresdurchschnitt 1986/87 364.004 DM und 1997/98 2.442.350 DM – in zwölf Jahren eine Gehaltssteigerung von 670 Prozent! Und ein „Arbeitnehmervertreter“ im Aufsichtsrat kassierte im Geschäftsjahr 1982/83 durchschnittlich 8.600,00 DM und im Geschäftsjahr 1993/94 40.293,65 DM – in gut zehn Jahren eine Steigerung von 468 Prozent!
Und diese „Arbeitnehmervertreter“ im Aufsichtsrat machten die entsprechende Konzernpolitik, z.B. der frühere Leiter des IGM-Bezirks Dortmund und heutige Minister und SPD-NRW-Landes-Chef Harald Schartau: „Aktienbeteiligung statt vollen Lohn – dafür setzte sich Schartau als „Arbeitnehmervertreter“ im Aufsichtsrat ein. Viele der Arbeiter und Angestellten, die mit dem Aktiendeal einverstanden waren, wurden durch die Insolvenz mit Enteignung bestraft.“
Doch Berens zeigt nicht nur das Korrumpiertwerden und das Abkassieren. Er stellt auch die Gegenwehr der Belegschaft dar und analysiert, warum sie letztlich scheiterte: Häufig waren die Lohnabhängigen bei Babcock bereit, gegen Lohnkürzungen und drohende Entlassungen Widerstand zu leisten. Doch in der Regel wurden Aktionen schon im Vorfeld von den sozialdemokratischen Spitzen in den Betriebsräten unterlaufen, abgebogen oder direkt hintertrieben. So blieben die Proteste ein vorübergehendes Aufbäumen, weil es nur in Ausnahmefällen gelang, auch personell eine kämpferische Alternative zu den führenden Sozialpartnern aufzubauen.
Berens’ überzeugende Schlussfolgerung: „In den entscheidenden Situationen fehlte am Standort Oberhausen ein Kern klassenkämpferischer Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, anerkannt in der Belegschaft und mit Einfluss in den Gewerkschafts- und Betriebsratsstrukturen. Die fehlende Organisation war das zentrale Problem des Kampfes bei Babcock.“

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