Bidens Sieg ist nur ein schwacher Trost

Foto: Thomas Hawk, Flush the Turd, CC BY-NC 2.0

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Abwahl Trump

Bidens Sieg ist nur ein schwacher Trost

Von Jakob Schäfer | 08.11.2020

Sicher: Trump hat viel zu verlieren und zwar nicht nur politische Macht. Wenn er endgültig aus dem Amt gejagt sein wird, werden z. B. auch seine kommerziellen Schulden schwerer zu überspielen sein. Deswegen scheint er es darauf ankommen zu lassen, nicht nur mit Hilfe der Gerichte, sondern auch mit (teils bewaffneten) Anhängern auf der Straße, die Anerkennung der Briefwahlstimmen in denjenigen Staaten zu verhindern, wo er hinten liegt. Mord und Totschlag können die Folgen sein.

Beim gegenwärtigen Stand der Dinge (7.11.) schält sich jedoch heraus, dass die Herrschenden – in dem Fall repräsentiert durch die größten Teile des Establishments sowie die meisten Medien und wohl auch die Gerichte – sich einer solchen Zuspitzung widersetzen. Deswegen können wir einigermaßen sicher davon ausgehen, dass Biden der neue Präsident sein wird.

Ohne jeden Zweifel atmen seit dem 6.11. (spätestens seit dem 7.11.) 2020 weltweit viele Menschen auf. Denn uns allen bleiben (ziemlich sicher) vier weitere Jahre Trump-Präsidentschaft erspart, sodass so manche erzreaktionäre und autoritäre Regierungen in verschiedenen Teilen der Welt wenigstens ein wenig Unterstützung verlieren. Auch und vor allem in den USA selbst können die reaktionärsten Kreise nicht mehr mit so viel Rückdeckung aus dem Weißen Haus rechnen wie dies in den letzten Jahren der Fall war. Aber wir dürfen uns keine Illusionen machen: Mit der Wahl Bidens wird keine grundsätzlich andere Politik eingeleitet, weder im Inland noch gegenüber dem Ausland.

Wen repräsentiert Trump?

Die US-Gesellschaft ist in der Tat tief gespalten, aber nicht in der Weise, wie es die Medien in aller Regel darstellen, nämlich Blau (die Demokraten) gegen Rot (die Republikaner). Das Wahlverhalten ist nur ein sehr vermittelter und verzerrter Ausdruck der tatsächlichen Spaltung im Land. Es gilt den gesellschaftlichen Hintergrund nicht aus dem Auge zu verlieren.

Die Verheerungen neoliberaler Politik prägen seit etwa dreißig Jahren die Gesellschaft (nicht nur in den USA, aber dort mehr noch als z. B. in vielen europäischen Ländern) und lässt die Spanne zwischen Arm und Reich immer größer werden. Zur Sanierung der Profite werden immer größere Teile der Bevölkerung  prekarisiert. Millionen Menschen werden in ihrer Existenzsicherung beschnitten, was – neben den direkt Betroffenen – großen  Teilen der Mittelschicht und der unteren Mittelschicht gewaltige (auch materiell begründete) Abstiegsängste einjagt. Mehr dazu habe ich seinerzeit anlässlich der Trumpwahl dargelegt (https://inprekorr.de/internat542.pdf.) Das meiste davon ist heute  leider so aktuell wie damals, weshalb hier nur ein paar Anmerkungen zur Aktualisierung folgen sollen:

Vor dem oben genannten Hintergrund wächst seit Jahren wieder deutlich – besonders aufgrund der Rückdeckung durch Trump – der Rassismus, der extrem tief in der US-Gesellschaft verankert ist. In der sozial tief gespaltenen Gesellschaft haben vor allem weißer Arbeiter (allerdings auch Arbeiterinnen) Angst, ihre Privilegien zu verlieren, die sie v. a. gegenüber Schwarzen und Latinos haben. Ein Großteil der Privilegierten unter der arbeitenden Bevölkerung ist für rassistische Antworten empfänglich. In dem Maße, wie sich Schwarze oder auch Frauen, LGBTI usw. Gehör verschaffen, fürchten diese Weißen, vom Strudel der Deklassierung erfasst zu werden.

Der Rassismus trifft natürlich alle „People of Colour“ (POC), vor allem aber die Schwarzen, was mit der spezifischen US-Geschichte zusammenhängt. In dieser rassistisch sich zuspitzenden Lage wähnten sich die Rechten auch bei dieser Wahl auf der Gewinnerstraße. Sie mobilisierten in ihrem Umfeld neue Wählerschichten (die bisher allen Wahlen ferngeblieben waren) und konnten die Gesamtzahl der Trumpwähler*innen bedeutsam steigern. Hier spielte übrigens auch die sehr intensive Propaganda gegen den Sozialismus eine bedeutende Rolle (Die Demokraten seien Sozialisten; ihnen müsse Einhalt geboten werden usw.). Ein Ausdruck der sehr offensiven und seit 2017 zunehmend aggressiven Politik ist die Tatsache, dass in den letzten drei Jahren die Zahl der registrierten Anhänger*innen der Republikanischen Partei (sie nennen sich gerne die Grand Old Party, GOP) wieder deutlich gestiegen ist.[1]

In den letzten 25 Jahren hat sich die Zusammensetzung der jeweiligen Wähler*innenschaft nicht grundsätzlich gewandelt, dennoch sei auf ein paar aktuelle Trends hingewiesen: Der Kern der reaktionären Wähler*innen ist am stärksten unter weißen Arbeitern zu finden (nicht nur, aber vor allem im Rust Belt, also den Regionen des Mittleren Westens, in denen traditionelle Großindustrien massiv Arbeitsplätze abgebaut haben). Weiße Amerikaner*innen machen 67 Prozent der tatsächlich Wählenden aus, aber in den umkämpften Staates des Mittleren Westens und der Mittleren Atlantikregion stellen sie eine noch größere Mehrheit: Wisconsin (86%), Ohio (82%), Pennsylvania (81%) und Michigan (79%) (natürlich wählen diese Menschen nicht alle republikanisch und es gibt auch Schwarze, sogar mehr als das letzte Mal, die Trump gewählt haben). Bei den Wähler*innen der Demokraten haben 41% einen College-Abschluss, bei denen der Republikaner nur 30 Prozent. Gelichzeitig steigt das Durchschnittsalter der Wähler*innen. So sind heute 52 Prozent 50 Jahre alt und älter (gegenüber 39 % im Jahr 1996).

Zwei Dinge sind festzuhalten: Generell tendieren in den letzten Jahren etwa 49 % der potentiellen Wähler*innen zu den Demokraten und 44 % zu den Republikanern, aber das heißt nun gerade nicht, dass sich entlang dieser Linie Rassist*innen und Nicht-Rassist*innen gegenüberstehen. Demokratische Gouverneure wurden sehr oft (gerade im Süden) dann gewählt, wenn sie besonders rassistisch hervorgetreten sind. Und auch Biden hat hier keine reine Weste, hat er sich doch lange gegen das „Bussing“ stark gemacht, also das Schulbussystem, mit dem gemischte Schulklassen zusammengestellt werden konnten. Allerdings ist seit geraumer Zeit – und ganz besonders unter Trump – die GOP zur ausgesprochen offen auftretenden Rassistenpartei geworden. Nicht zuletzt deswegen ist 2020 die Wählerinnenmobilisierung auf beiden Seiten so groß gewesen.

Teilweise verkalkuliert?

Nun hat Trump sicherlich in mancherlei Beziehung (auch in den Augen so mancher Republikaner*innen) rhetorisch den Bogen überspannt. Aber im Kern trifft er sehr wohl die Gefühlslage breiter Schichten (und zwar nicht nur der unteren Mittelschicht) und viel sind nach wie vor von ihm begeistert, weshalb es auch zur Stunde nicht klar ist, ob sich die aufgeheizten Stimmung schnell beruhigen wird. Vor allem hat er den Reichen (und auch so manchen weniger Reichen) viel gebracht, vor allem die größte Steuersenkung seit Jahrzehnten. Und er hat mit seiner Anti-Obamacare-Politik  % all jene Kleinbürger*innen bedient, die sich nicht an den Kosten beteiligen wollen. Uns mag vor allem Trumps Auftreten für seine Niederlage von überragender Bedeutung erscheinen (machohafte Überheblichkeit usw.), aber in den USA selbst spielten andere Faktoren die entscheidende Rolle.

Im Wesentlichen sind zwei Gründe ausschlaggebend dafür, dass er trotz erhöhter Mobilisierung seiner engeren Gefolgschaft nicht gesiegt hat: Zum einen hat die Wirtschaftskrise doch sehr viele Jobs gekostet, was gemeinhin in den USA als der wichtigste Gradmesser für den Erfolg einer Präsidentschaft gewertet wird. Zum anderen war sein Politik zur Bekämpfung der Pandemie stümperhaft und im Endeffekt einfach zu widersprüchlich. Hier hat er sich vor allem bei vielen, die sonst nicht wählen gehen, extrem unglaubwürdig gemacht. Ohne Wirtschaftskrise und ohne Pandemie hätte er mit größter Wahrscheinlichkeit die Wahl gewonnen und zwar auf der Grundlage seiner rassistischen Mobilisierung.

Keine Klassenwahl

Damit ist auch schon umschrieben, warum auch diese Wahl in den USA keine Klassenwahl war, noch nicht mal eine Wahl zwischen konservativer bürgerlicher Politik und allgemein fortschrittlicher Politik (von einer Politik, die an den Interessen der Arbeiter*innen ausgerichtet ist, noch gar nicht zu reden). Von einer solchen Politik sind wir in den USA noch meilenweit entfernt.

Daran ändert sich leider auch nichts dadurch, dass es – sehr allgemein gesprochen –auf der Linken eine gewisse Belebung gibt und dass sich heute Zehntausende vor allem junger Menschen mit einer sozialistischen Politik identifizieren.  Denn gemessen an den Gesamtkräfteverhältnissen in der Gesellschaft sind dies immer noch nur sehr kleine Kreise, auch wenn z. B. die Black Lives Matter-Bewegung Mut macht. In der sehr starren Zweiparteienlandschaft und vor dem Hintergrund einer insgesamt konservativen (und in bedeutenden Teilen unpolitischen) Bevölkerung haben neue Kräfte kaum Chancen, sich breiteres Gehör zu verschaffen. Die Bernie Sanders-Kampagne hatte zwar kurzzeitig eine andere Vision kurz aufleuchten lassen, die Tatsache aber, dass er sich anschließend recht umstandslos hinter den konservativen Biden stellen konnte, zeigt, wes Geistes Kind er letztlich ist. Von Systemopposition ist hier rein gar nichts zu spüren.

Im Grunde gilt dies auch für die Democratic Socialists of America (DSA), die trotz ihres (sehr vagen) Bekenntnisses zum Sozialismus, nur eine diffuse Strömung darstellen, die sich in ihrer Mehrheit gerade nicht auf den Klassenkampf bezieht. Nicht gerade sehr ermutigend ist, wie man sich in weiten Teilen der DSA kritiklos hinter Millionär Biden stellte (der übrigens nicht grundlos von vielen Milliardären unterstützt wird). Das heißt nun allerdings nicht, dass sich in den DSA keine radikalen Kräfte befinden, die wirklich eine handlungsfähige linke, klassenkämpferische Organisation aufbauen wollen. Mit diesen sollten revolutionäre Sozialist*innen natürlich eng zusammenarbeiten. Für den Aufbau einer klassenbasierten, sozialistischen Organisation wird man noch einen langen Atem brauchen und hier stellt die Wahl Bidens noch keine Hilfe dar.


[1] Diese und weitere Angaben zur Wahlanalyse stützen sich auf PEW-Research, hier im Besondern auf: https://www.pewresearch.org/fact-tank/2020/10/26/what-the-2020-electorate-looks-like-by-party-race-and-ethnicity-age-education-and-religion/

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