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Brasilien

Betrogene Hoffnungen

Von François Sabado | 01.04.2004

Die Bilanz der Regierung Lula nach 15 Monaten an der Macht fällt für die einfache Bevölkerung insgesamt negativ aus.

Die Bilanz der Regierung Lula nach 15 Monaten an der Macht fällt für die einfache Bevölkerung insgesamt negativ aus.

Schon bei der Ankündigung der ersten Maßnahmen der Regierung Lula hatten viele Beobachter gewisse Gemeinsamkeiten zwischen der neoliberalen Politik des Vorgängerpräsidenten Cardoso und Lulas wirtschaftspolitischer Orientierung kritisiert. Ein Jahr später werden die negativen Prognosen diesbezüglich nicht nur bestätigt, sondern sogar noch übertroffen. Die Wirtschaftspolitik Brasiliens steht unter der Kuratel des IWF, namentlich was die Bedienung der Schulden angeht. Als sie noch in der Opposition war, forderte die PT eine Revision der Außenschuld und ein Referendum gegen das IWF-Diktat. Einmal an der Regierung, macht Lula nichts anderes als die Schulden zu bedienen. Schlimmer noch: Während der IWF die Gewährung neuer Mittel davon abhängig macht, dass die Regierung einen Haushaltsüberschuss von 3,75% erzielt, setzt Lula noch eins drauf und peilt 4,25% an. Leidtragender ist der Sozialhaushalt: Für das Gesundheitswesen werden die Mittel um 18% gekürzt, das Budget zur Bekämpfung von Hunger und Armut sinkt um 50% und für die Agrarreform gibt’s weniger Geld. Infolge dieser Mittelkürzungen und der Opposition der Großgrundbesitzer ist die Agrarreform de facto auf Eis gelegt, da es über die bloße Landbesetzung hinaus auch Gelder für eine angemessene Infrastruktur (Strom, Wasser, Maschinen, Technologie) bräuchte. Übrigens wurde dies auch mehrmals von Miguel Rossetto, dem Minister für Agrarreform, moniert. 2003 haben ca. 35.000 Familien Land erhalten; wie das Ziel, 400.000 Familien mit Land zu versorgen, angesichts der Haushaltskürzungen erreicht werden soll, bleibt unerfindlich.

Kürzlich wurde Plinio Sampaio, prominenter MST-naher Linkskatholik in Brasilien, in der Zeitung Brasil de Fato, die von Vertretern der MST und anderen linken Strömungen herausgegeben wird, interviewt. Darin kommt die ganze Enttäuschung über die Regierung Lula und die Unzufriedenheit der Linken und breiter Teile der Bauernbewegung zum Ausdruck. Wie will Lula sein erklärtes Ziel – 10 Millionen Arbeitsplätze zu schaffen, erreichen, wenn sich seine Politik an den Finanzmärkten ausrichtet? Die ersten Zahlen weisen demnach auch keinen Rückgang, sondern gar eine Zunahme der Arbeitslosenzahlen auf: Allein im Großraum von Sao Paulo, dem Wirtschaftszentrum des Landes sind 20% der Bevölkerung ohne Arbeit. Eine weitere politische Maßnahme bestand in der Rentenreform für Beamte, mit denen er sich angelegt hat, weil er die Beitragsdauer erhöhte, die Leistungen senkte und der Privatisierung durch Pensionsfonds Vorschub leistete…

Selbsterklärend ist auch die Bündnispolitik der PT mit der PMDB, die der vormaligen rechten Regierungskoalition angehörte; oder der politische Finanzskandal um Waldomiro Diniz – einem Vertrauten von Jose Dirceu, Lulas rechter Hand und jetziger PT-Vorsitzender – der mit der brasilianischen Glücksspielmafia unter einer Decke steckt…

Allein die genannten Beispiele zeigen, dass man kaum vom Widerstreit zweier Seelen in der Regierungspolitik sprechen kann. Der bloße Verweis auf die Ursprünge der PT als Partei der Arbeiterklasse genügt nicht, die Beteiligung an oder gar die Unterstützung der Mannschaft um Lula zu rechtfertigen. Natürlich besitzt Lula noch immer eine gewisse Popularität und diejenigen aus der Arbeiterbewegung, den Intellektuellen und den politisch bewussten Schichten in den Gewerkschaften und der PT, die in Opposition zu ihm stehen, sind in der Minderheit.

Aber es geht darum, die Interessen der einfachen Bevölkerung gegen die neoliberale Orientierung der Regierung zu verteidigen, und dafür bedarf es des Aufbaus einer politischen Alternative, die mit den Auflagen des IWF bricht, und einer Steuerpolitik, die eine andere Verteilung der Reichtümer gewährleistet und die Profite der Kapitalisten und der Großgrundbesitzer besteuert, um die öffentlichen Dienstleistungen sicherzustellen, die Einkommen der unteren Klassen zu sichern, Millionen neuer Arbeitsplätze zu schaffen und eine durchgreifende Agrarreform durchzuführen.

Diese Alternative gemeinsam mit den sozialen Bewegungen aufzubauen ist unvereinbar mit der Beteiligung an dieser neoliberalen Regierung. Wie lassen sich die Positionen der DS (Strömung der IV. Internationale in der PT) verteidigen, wenn man sich an einer Regierung beteiligt, die in allen Punkten eine konträre Politik betreibt? Genau darum dreht sich aktuell die Debatte in der brasilianischen revolutionären Linken und in der DS. Zumal es unabdingbar ist, mit der neoliberalen Politik der Regierung Lula zu brechen, wenn man eine breite antikapitalistische Linke in der PT hinter sich bringen will. Und damit stellt sich die Frage nach der Zukunft der PT. Nach Auffassung der DS denkt die PT-Linke nicht daran, das Erbe und die Errungenschaften der Partei der Führung um die "Reformer" Lula und Dirceu zu überlassen. Sie setzt darauf, die kämpferische Linke zu organisieren und die besten Traditionen der PT wieder aufzunehmen.

Andere, wie Heloisa Helena, Senatorin von Alagoas und kürzlich aus der PT ausgeschlossen, sind bereits mit dem Aufbau einer neuen Partei zugange. Eine Verständigung zwischen diesen beiden Optionen ist in der aktuellen Lage unerlässlich, da sich die Situation im Lauf des Jahres anlässlich neuer Konflikte klären wird.

Aus rouge 2058 v. 1.4.04
Übersetzung: MiWe

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