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Länder

Bericht vom 16. Weltkongress der IV. Internationale

Von Artur | 01.04.2010

Vom 22. bis 28. Februar 2010 fand an der belgischen Nordseeküste der 16. Weltkongress der IV. Internationale statt. 200 TeilnehmerInnen aus ca. 40 Ländern debattierten eine Woche über die globale Krise des Kapitalismus, den Klimawandel und den sich daraus stellenden Herausforderungen für die Linke sowie über die generelle Ausrichtung der IV. Internationale.

Vom 22. bis 28. Februar 2010 fand an der belgischen Nordseeküste der 16. Weltkongress der IV. Internationale statt. 200 TeilnehmerInnen aus ca. 40 Ländern debattierten eine Woche über die globale Krise des Kapitalismus, den Klimawandel und den sich daraus stellenden Herausforderungen für die Linke sowie über die generelle Ausrichtung der IV. Internationale.

Der zweite Weltkongress der IV. Internationale im 21. Jahrhundert nach 2003 konnte mit einem erheblich erweiterten Spektrum an internationalen Teilnehmer­Innen aufwarten. So waren neben den traditionell stark repräsentierten Sektionen aus Westeuropa zahlreiche Organisationen aus Lateinamerika (u. a. Ecuador, Venezuela, Brasilien, Argentinien, Bolivien, Puerto Rico), Asien (Pakistan, Sri Lanka, Philippinen, Mauritius) und dem Maghreb (Marokko) sowie Nahen Osten (Libanon) vertreten. Eine weitere Besonderheit dieses Weltkongresses war auch die Beteiligung osteuropäischer Genoss­Innen aus Bosnien, Polen und Russland. Die Organisation Vperjod (Vorwärts) aus Russland wurde auf diesem Kongress als Sektion aufgenommen.Als deutsche Sektion waren die beiden Organisationen Revolutionär Sozialistischer Bund (RSB) und internationale sozialistische linke (isl) vertreten.
Internationale Lage
Den Auftakt des Kongresses markierte die Debatte über die internationale Lage, welche geprägt war von den Erfahrungen der Teilnehmer­Innen im Kontext der globalen Krise des Kapitalismus. So wurde von Genoss­Innen aus Dänemark und Großbritannien die Gefahr eines erstarkenden Rechtsextremismus und steigender Islamophobie thematisiert. Auch Genoss­Innen aus Japan berichteten von steigenden Aktivitäten der extremen Rechten u. a. gegen die Bevölkerungsgruppen aus Korea und China.

Bezogen auf die Situation in Lateinamerika sprachen Genoss­Innen aus Brasilien und Argentinien von einem Vakuum, welches von drei politischen Projekten zu füllen versucht wird: der US-Imperialismus, die ALBA-Staaten (Venezuela, Bolivien, Ecuador u. a.) sowie Brasilien als subimperialistische Macht. Die Diskussion um die Einschätzung des bolivarianischen Prozesses in Venezuela spielte ebenfalls eine Rolle. So verteidigten Genoss­Innen aus Australien Venezuela gegen die Kritik des Bonapartismus und wiesen auf die enorme Bedeutung für das Massenbewusstsein durch diesen Prozess hin. Ein Genosse der Strömung Marea Clasista y Socialista in der PSUV (Venezuela) machte jedoch ebenfalls auf die Bürokratisierungstendenzen innerhalb des Prozesses aufmerksam. So seien größere Teile der Bewegung mittlerweile desillusioniert und bei der nächsten Wahl im September würde Chávez wahrscheinlich nur knapp 50 % der Stimmen erringen können.
Den Aufruf Chávez‘ zum Aufbau einer V. Internationale werteten zahlreiche Genoss­Innen als positives Zeichen hin zu einem Wiedererstarken des Konzepts der internationalen Organisierung und schlugen vor, sich an diesem Diskussionsprozess zu beteiligen. Nichtsdestotrotz wurde auch darauf hingewiesen, dass der Vorstoß von Chávez widersprüchlich und vorrangig propagandistisch sei, da etliche der von ihm eingeladenen Organisationen mit einer internationalen sozialistischen Orientierung gar nichts mehr gemein hätten (wie etwa die PRD in Mexiko oder die PT in Brasilien).
Palästina
Im Kontext der fortwährenden Angriffe und der ungeminderten Unterdrückung der Bevölkerung des Gaza-Streifens und der Westbank durch die israelische Armee, wurde auf dem Weltkongress ein Palästina-Solidaritätserklärung diskutiert und verabschiedet. In der Debatte wies ein Genosse aus den Niederlanden darauf hin, dass die Ein-Staaten-Lösung die einzig mögliche und realistische Perspektive für die Palästina-Soli-Arbeit sein kann, da einzelne paläs­tinensische Exklaven keine Überlebenschance hätten. Neben ihm betonte auch ein Genosse aus dem Libanon die Notwendigkeit einer aktiven internationalen Solidaritätsarbeit wie zu Zeiten des Vietnamkriegs, er wies jedoch auch auf die Bedeutung und Notwendigkeit langfristiger Konzepte zu diesem Thema hin. Viele Genoss­Innen bezogen sich in der Diskussion positiv auf die Boykott-Desinvestion-Sanktion-Kampagne (BDS), ein Genosse aus Deutschland wies dabei jedoch auch auf die Schwierigkeiten der öffentlichen Umsetzung dieser Kampagne hin.
Klimawandel
Das zentrale Thema des 16. Weltkongresses war die Diskussion um den Klimawandel und den sich daraus ergebenden Herausforderungen. Es wurde konstatiert, dass der Kapitalismus jede bisherige Krise zu lösen vermochte, jedoch nur durch Abwälzung der Krisenkosten auf die Unterdrückten. Die Klimakrise zeigt sich insofern als besondere Krise, da sie die Unfähigkeit der Herrschenden zur Lösung der Krise besonders frappierend offen­bart. Durch die Unfähigkeit zur Reduktion der Treibhausemissionen und die Veränderung der kapitalistischen Produktion werden die Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen vor allem im globalen Süden massiv gefährdet.

Die in Kyoto von den kapitalistischen Regierungen vereinbarten marktorientierten Maßnahmen (Emissionshandel u. a.) gegen den Klimawandel können als komplett gescheitert angesehen werden. Der Klimagipfel von Kopenhagen im Dezember 2009 vermochte jedoch selbst mit solchen Ergebnissen nicht aufzuwarten. Für die Ökologiebewegung stellte die Konferenz in Kopenhagen aber insofern eine Besonderheit dar, als dort verstärkt die Frage nach der Produktionsweise aufgeworfen wurde. Dies muss ein Ausgangspunkt für weitere intensive Debatten innerhalb der Bewegungen sein.

Etliche Genoss­Innen forderten einen klaren Bezug auf das Konzept des Ökosozialismus, welcher in den letzten Jahren verstärkt in die Diskussion gekommen ist. Der Begriff des Ökosozialismus soll eine starke Betonung auf die Notwendigkeit einer anderen Gesellschaftsform zur Bewältigung des Klimawandels aufwerfen, sich dabei jedoch auch deutlich vom Produktivismus „real-sozialistischer“ Staaten abgrenzen.
In der Debatte um den Punkt des Klimawandels herrschte zwar weitgehende Einigkeit bei der Analyse der jetzigen Situation, bezogen auf die Handlungsoptionen besteht jedoch weiterer Diskussionsbedarf. So warfen die philippinischen Genoss­Innen die Fragen nach Übergangsforderungen für den Ökologiebereich auf. Die russischen Genoss­Innen forderten eine tiefergehende Diskussion um den Begriff des Ökosozialismus und dessen Inhalt.
Rolle und Aufgaben der IV. Internationale
Die Debatte im Punkt „Rolle und Aufgaben“ drehte sich vorrangig um die Orientierung der IV. Internationale auf den Aufbau breiter antikapitalistischer Parteien – breiten neuartigen Formationen mit Masseneinfluss. Die Diskussion war hierbei sowohl geprägt von den vielversprechenden Entwicklungen um die NPA in Frankreich und die LPP in Pakistan, die aus
gehend von realen Kämpfen und Mobilisierungen einen neuen Anlauf zu Organisierung von Aktivist­Innen genommen haben. Andererseits hatten etliche Genoss­Innen auch die früheren, ebenso euphorisch begrüßten Neuformationen in Italien (PRC) und Brasilien (PT) und deren äußerst schmerzhafter Niedergang im Hinterkopf. Der RSB hatte hierzu im Vorfeld des Kongress ein Kritikpapier mit dem Titel „Wollen wir eine breite Internationale um jeden Preis?“ veröffentlicht und darin eine Kritik am Konzept des Aufbaus von breiten Parteien entwickelt1.

In der Diskussion auf dem Kongress wurde zwar betont, dass dieses Organisationskonzept nicht für alle Länder zu jeder Zeit Gültigkeit besitzt, dennoch wurde von etlichen Genoss­Innen die fehlende Analyse der gescheiterten Organisationsansätze und der starken Orientierung auf die Parlaments- und Wahlebene einiger Sektionen kritisiert. Ein Genosse aus Australien äußerte ebenfalls die Befürchtung, dass mit der Orientierung auf den Aufbau breiter antikapitalistischer Parteien ein taktisches Konzept zu einer Strategie und damit aus ihrem Kontext einer bestimmten historischen Situation und deren Anforderungen herausgenommen und als allgemeingültig deklariert würde. Als Auswirkung dieser Kritikpunkte und der Debatte auf dem Kongress wird es eine weitere Diskussion um das Konzept der breiten Parteien innerhalb der Internationale und ihrer Sektionen geben.
Ausblick
Mit dem 16. Weltkongress hat die IV. Internationale einen enorm wichtigen Schritt der Erneuerung eingeleitet. So konnte der Kreis der Sektionen und sympathisierenden Organisationen u. a. mit Russland und Kontakten nach Pakistan erheblich erweitert werden. Weiterhin wurde durch die Schaffung von Forschungs- und Bildungszentren (IIRE – Institute for Research and Education – www.iire.org) in Manila (Philippinen) und demnächst in Islamabad (Pakistan) ein wichtiger Grundstein für die Schulung und Vernetzung regionaler Aktivist­Innen abseits der bestehenden westeuropäischen Strukturen (IIRE in Amsterdam) geschaffen.

Daneben wurde mit den Diskussionen zum Klimawandel ein enorm wichtiges Arbeitsfeld eröffnet, welches in Zukunft ein Schwerpunkt der IV. Internationale werden wird. So wird sich die IV. Internationale intensiv am Klimagipfel in Cochabamba/Bolivien (www.cmpcc.org) im April diesen Jahres beteiligen.

Das zukünftige Internationale Komitee (IK), das Leitungsgremium der IV. Internationale, welchem Vertreter­Innen sämtlicher Sektionen sowie beobachtender Organisationen angehören, wurde erheblich verjüngt und feminisiert. So sind 40 % der 70 Mitglieder Frauen.n

1    Dieses und weitere Dokumente des Weltkongresses sind auf der RSB Homepage einsehbar (www.rsb4.de/weltkongress2010)

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