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Länder

Bemerkungen zum Kleinbürgertum und Faschismus in Griechenland

Von Andreas Kloke | 01.12.2011

Griechenland gilt als ein Land mit traditionell starkem Kleinbürgertum. Merkwürdigerweise hat es aber nie eine wirkliche faschistische Massenbewegung wie z.B. in Italien und Deutschland gegeben. (Die historischen Gründe dafür sind vielfältig und wären zu untersuchen). Die Metaxas-Diktatur vor dem 2. Weltkrieg, die sehr stark am Vorbild Italiens und Deutschlands orientiert war, hatte keine Massenbasis, die Diktatur im Bürgerkrieg und danach (monarchistisch-militaristisch-kapitalistisch-klerikal-etwas faschistisch und unter US-Vorherrschaft) hatte keine und die Junta (1967-74) auch nicht.

Mit der Integration Griechenlands in die EU und besonders nach 2000 zersetzt sich das traditionelle griechische Kleinbürgertum immer mehr, mit der Krise seit 2009 natürlich beschleunigt. Richtig tot ist es aber immer noch nicht. Es besteht aus Kleinkapitalisten, Freiberuflern und in gewisser Weise aus gehobenen Angestelltenschichten (die streng genommen abhängig Beschäftigte sind), also aus Ladenbesitzern, Rechtsanwälten, Apothekenbesitzern, Ärzten (teilweise stark proletarisiert), Taxi-Besitzern, Ingenieuren und Architekten (ebenso stark Proletariat-gefährdet und weitgehend arbeitslos) u.v.a. Es mag sein, dass Teile dieser Schichten anfällig für faschistische Ideen sind, in Wirklichkeit bisher aber nur sehr marginal.

Ein gewisser Teil des traditionellen Kleinbürgertums in den Großstädten, besonders in Athen, aber wohl nicht nur, zeigt ausländerfeindliche und rassistische Tendenzen aufgrund der Tatsache, dass früher "anständig-kleinbürgerliche" Stadtviertel im Zentrum heruntergekommen und Brutstätten von Kriminalität, Prostitution, Drogenhandel etc. geworden sind. In diesen Stadtteilen gibt es teilweise mehrheitlich ausländische Bevölkerungsanteile (Albaner, Asiaten, Russen, andere Osteuropäer, Pakistaner, Afrikaner, Chinesen u.a.). Viele frustrierte Griechen wenden sich dort rechtsradikalen Parteien und auch besonders extremen Neonazigangs, d.h. "Chrisi Avji" zu. Chrisi Avji versucht seit September, auch in anderen Athener Stadtteilen aufzutreten und Fuß zu fassen. Darüber spielt sich seitdem eine sehr reale Auseinandersetzung ab. Nur gewisse Teile der antikapitalistisch-revolutionären Linken und teilweise anarchistische Gruppen haben eine aktiv antifaschistische Einstellung. Auch in ANTARSYA z.B. ist das nicht so klar. SEK und OKDE sind Antifaschisten und entschiedene Antirassisten, die Organisationen stalinistischen Ursprungs tendieren zu einer Unterschätzung dieser Gefahr.
Die Partei LAOS

LAOS, gegründet und geführt von J. Karatzaferis, einem früheren ND-Abgeordneten und Multimillionär, ist seit 2000 ein Produkt der Massenmedien und besonders der Fernsehkanäle. Extremer Nationalismus in Fragen der Außenpolitik, bisher eher auf der rhetorischen Ebene, und Rassismus, Antisemitismus, Homophobie und Antikommunismus sind die ideologischen Hauptkennzeichen dieser Partei. Sie ist ein Sammelbecken für das gesamte rechtsextreme Spektrum, von eher „gemäßigten“ bis hin zu glühenden Junta-Verehrern wie Makis Voridis, jetzt Verkehrsminister (!) in der hochbürgerlichen und de facto von der Troika eingesetzten Regierung Papadimos, und knallharten Faschisten und SS-Nostalgikern wie Kostas Plevris, und seinem Abkömmling Thanasis, derzeit LAOS-Parlamentarier. Im Übrigen ist LAOS aber voll in die Parteienlandschaft integriert und es gibt keinerlei Probleme etwa bei Fernseh-Diskussionsrunden, wo die Leute von LAOS wie die anderen Parteienvertreter auch das übliche Zeug daherschwafeln. Damit war LAOS von Anfang an eine typische Karrieristen-Partei, wo es um Geld, Pöstchen und realen Einfluss im existierenden politischen System geht. Dies würde darauf hindeuten, dass LAOS keine klassisch „faschistische“ Partei ist.
   
LAOS hatte nach 2000 Erfolg bei enttäuschten Schichten von ND- und PASOK-Wählern und speziell auch in proletarischen Stadtvierteln der Athener Peripherie, also bei ehemaligen PASOK-Stammwählern, die sich schon bis 2004 von PASOK abgewandt hatten. Das zeigt, dass die Wählerschaft von LAOS klarerweise auch aus der Arbeiterschaft stammt. Es sind Arbeiterwähler, die aus den mehr oder weniger bekannten Gründen anfällig für rassistische Ideen sind. Aufgrund des generell niedrigen und sinkenden Klassenbewusstseins seit den 80er und besonders den 90er Jahren, des weitgehenden Versagens der reformistischen Parteien der Linken etc. sind Nationalismus und Rassismus Versatzstücke einer Massenideologie auf zweifellos niedrigstem Niveau. In Griechenland wurde dieser Trend mit dem Zusammenbruch der osteuropäischen Regime 1989-91, dem massenhaften Zustrom albanischer Migrant/innen und dem Auftauchen der „Mazedonien-Frage“, dem Anlass für eine fast unglaubliche chauvinistische Hysterie Anfang der 90er Jahre, in erschreckender Weise deutlich. Man muss allerdings hinzufügen, dass diese Hysterie in den letzten Jahren sehr stark zurückgegangen ist und kaum noch eine größere Rolle spielt. Die Leute haben jetzt mit ganz anderen, viel realeren Problemen zu tun.      
Interessen des Großbürgertums und Großkapitals
Mit der Einführung der Memoranden-Politik Anfang 2010 und ihrer praktisch vorbehaltlosen Unterstützung durch LAOS wurde absolut deutlich, dass LAOS eine Partei ist, die die Interessen des Großbürgertums und Großkapitals vertritt. Dies ist etwas erstaunlich, da es sich nicht mehr nur um die Interessen der herrschenden Klassen und des „gehobenen Kleinbürgertums“ Griechenlands handelte, sondern auch und gerade die der Troika, d.h. vor allem der Bourgeoisien der wichtigsten EU-Länder, vor allem Deutschlands und Frankreich, aber letztlich auch der USA (wie sich bei allen relevanten Gelegenheiten zeigt, zuletzt in der Frage der Volksabstimmung, die Papandreou kurz vor seinem Abtritt durchführen wollte). Mit diesen Leuten also, genau mit denen, die in Griechenland eine Art ökonomisches Protektorat errichten wollen (oder schon errichtet haben), sitzt die LAOS-Führung in einem Boot! Wie ist das mit extremem Nationalismus vereinbar? Das kann sich auf die Wählerbasis dieser Partei im Volk sicher nicht positiv auswirken und die Umfragen zeigen, dass der Einfluss von LAOS stagniert. Zu vermuten ist, dass er durch die Regierungsbeteiligung zurückgehen wird, da sich in der Praxis herausgestellt hat, dass LAOS in nichts „besser“ ist als die beiden anderen systemtragenden Parteien, PASOK und ND.       

Obwohl es sicher richtig ist, dass Nationalismus und Rassismus als Haltung und Ideologie am ehesten zum Kleinbürgertum passen, lässt sich die klassische These, der Faschismus als Massenbewegung stütze sich auf das wegen der Krise in Verzweiflung geratene Kleinbürgertum, für die heutige Zeit in dieser Form wohl nicht mehr aufrechterhalten. Wenn es der Linken und der Arbeiterbewegung nicht gelingt, eine glaubwürdige Alternative zum Kapitalismus und seinen verschiedenen politischen Ausdrucksformen aufzubauen, tendieren auch gewisse von den Krisensymptomen besonders stark  betroffene Arbeiterschichten dazu, sich der extremen Rechten zuzuwenden. Anfang der 80er Jahre, mit dem Wiederauftauchen der Massenarbeitslosigkeit in der BRD und mit der Enttäuschung  in Frankreich über die Politik der Mitterand-Regierung, als ganze Schichten von Unterstützern der PCF schnurstracks zu
r Front National überwechselten, wurde dieser Trend ganz klar. Ähnliches dürfte auch für Österreich, die Schweiz, Holland, Belgien, Italien und andere westeuropäische Länder zutreffen, in vielleicht etwas anderer Form auch für Osteuropa. In den osteuropäischen Ländern kommt hinzu, dass von einem klassischen Kleinbürgertum nach Jahrzehnten bürokratischer Herrschaft in Übergangsgesellschaften zwischen Kapitalismus und Sozialismus wohl kaum gesprochen werden kann. Der Faschismus ist aber auch dort sehr virulent. Die gesellschaftliche Basis der extremen Rechten und des Faschismus in der heutigen Zeit ist also klassenübergreifend und betrifft zweifellos auch Schichten der Arbeiterschaft.      

Zurück zu Griechenland: LAOS wäre zwar gern an irgendeiner Form von antidemokratischer Herrschaft bis hin zu einer faschistischen Diktatur beteiligt und tatsächlich stellt die Regierung Papadimos aufgrund ihrer fehlenden demokratischen Legitimation sowie der Tatsache, dass sie im Grunde von der Troika eingesetzt worden ist, einen Schritt in diese Richtung dar. Die allgemeine soziale und politische Instabilität, die die Entwicklungen in Griechenland kennzeichnet und zweifellos zunehmen wird, wird die Wahrscheinlichkeit der Installierung autoritärer Herrschaftsformen in der Zukunft erhöhen. Andererseits eignet sich LAOS wenig oder kaum für den Aufbau einer faschistischen Massenbewegung. Anders sieht es mit der Neonazibande Chrisi Avji aus, die sich klar an klassischen faschistischen Vorbildern orientiert, bis hin zu antikapitalistischem Gerede. Ob es dieser Bande gelingt, eine wirkliche Bewegung zu führen, ist eine offene Frage und hängt von verschiedenen Faktoren ab, vor allem natürlich von der Entwicklung des sozialen Widerstands und der Arbeiterbewegung selbst. Es gibt nicht den geringsten Grund, die Gefahr des Faschismus unter den gegebenen Bedingungen in Griechenland zu unterschätzen.

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