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Betrieb & Gewerkschaft

Bald Aufruhr im Ruhrrevier?

Von B. B. | 07.04.2012

Früher von Kohle und Stahl geprägt, erfolgte im Ruhrgebiet der 1960er bis 1980er Jahre ein
dramatischer Strukturwandel. Die aktuelle Krise des Kapitalismus trifft die Region erneut. Die KapitaleignerInnen wollen die Schließung von Opel in Bochum und den Ausstieg von ThyssenKrupp
aus dem Stahlbereich.

Früher von Kohle und Stahl geprägt, erfolgte im Ruhrgebiet der 1960er bis 1980er Jahre ein
dramatischer Strukturwandel. Die aktuelle Krise des Kapitalismus trifft die Region erneut. Die KapitaleignerInnen wollen die Schließung von Opel in Bochum und den Ausstieg von ThyssenKrupp
aus dem Stahlbereich.

Die fünftgrößte Stadt Europas nach Moskau, Istanbul, London und Paris ist mit gut fünf Millionen Einwohner­Innen das Ruhrgebiet. In der aus elf Städten und vier Landkreisen bestehenden Ruhrmetropole sind Dortmund, Bochum, Essen und Duisburg nur Stadtteile.
In der Weimarer Republik wurde das Ruhrgebiet von den Kohle- und Stahlbaronen beherrscht, für die die Namen Thyssen, Krupp, Stinnes, Klöckner und von Managern wie Reusch standen. Damals war die SPD hinter dem katholischen Zentrum und der KPD nur drittstärkste Partei. Noch in den 1950-1960er Jahren war das Ruhrgebiet das Zentrum des Steinkohlenbergbaus, der Stahlproduktion und der Brauereien. Bergbaugesellschaften und Stahlkonzerne verhinderten die Ansiedlung von neuen Industrien z. B. aus der Metallbranche, um das niedrige Lohnniveau der angelernten Arbeiter­Innen nicht durch die höheren Metalltarife von Facharbeiter­Innen zu gefährden.
Sozialdemokratische „Strukturpolitik“
In der Zeit des Wirtschaftswunders und des Kalten Krieges wurde im Ruhrgebiet die SPD zur stärksten Partei. Obwohl sie zeitweise fast alle Städte des Reviers beherrschte, brachte sie keine gemeinsame Strukturpolitik zustande. Noch heute wird das Ruhrgebiet von den drei Regierungsbezirken Arnsberg (Sauerland), Düsseldorf und Münster aus verwaltet, gehören die Städte zwei unterschiedlichen Landschaftsverbänden an. Legendär ist die Straßenbahnstrecke, die an der Grenze des einen Regierungsbezirkes aufhört und hundert Meter weiter in dem anderen neu anfängt. Das, was die SPD unter „Strukturpolitik“ verstand, war, die Schließung der Zechen und die Verlagerung nach bzw. die Konzentration der Stahlindustrie in Duisburg „sozialverträglich“ zu begleiten und als „blauen Himmel über der Ruhr“ (Willy Brandt) zu verklären. Die größte Ansiedlung erfolgte 1962 mit der Opel-Fabrik in Bochum.

Zum wichtigsten Instrument der „Strukturpolitik“ der 1980er/1990er Jahre wurde die Westdeutsche Landesbank unter Friedel Neuber, der zusammen mit Landeschef Johannes Rau und Finanzminister Heinz Schleußer in der „Skatrunde“ die Politik der Landesregierung NRW bestimmte. Diese Runde befürwortete Fusionen wie von RWE und VEW, von Hoesch und Krupp sowie den Aufbau eines sozialdemokratisch gelenkten „Konzerns“, der von der West-LB über die Preussag über Babcock bis zur HDW reichte. Die Babcock-Pleite 2002 leitete das Ende für den auch von vielen Linken verklärten „rheinischen Kapitalismus“ ein. Weiter als bis zum nächsten Kirchturm hat die sozialdemokratische „Strukturpolitik“ nie gereicht. Nach wie vor lautet das Credo der Oberbürgermeisterin einer Revierstadt: „Hl. Ghermezian, bau‘ hier dein CentrO. und nicht nebenan!“1. Eine wirkliche Planung und Entwicklung für das ganze Ruhrgebiet gibt es nicht. Zudem kommt, dass die meisten Städte des Reviers aufgrund der Finanzpolitik des Bundes, die damit die Privatisierung öffentlichen Eigentums gezielt vorantreibt, völlig pleite sind. So drücken Duisburg 3,3 Milliarden Euro und Oberhausen 1,8 Milliarden Euro Schulden. Die „bereinigte“ Erwerbslosigkeit in Gelsenkirchen liegt über 14 Prozent.
Die Krise erreicht das Revier
Trotz „Strukturwandel“ arbeitet heute noch ca. ein Viertel der Lohnabhängigen im Ruhrgebiet in der Industrie. Doch mit der kapitalistischen Krise seit 2008 verschärft sich die Politik der Konzerne, die ihre Profitraten erhöhen wollen. Beispiele sind General Motors / Opel, ThyssenKrupp und auch Hitachi Europe.

  • General Motors plant, seine Werke in Bochum und Ellesmere Port nahe Liverpool zu schließen. Ein klassisches Beispiel von Überproduktion: Weil es infolge der kapitalistischen Krise zu erheblichen Absatzrückgängen in südeuropäischen Ländern gekommen ist und GM/Opel verstärkt unter Konkurrenzdruck des VW-Konzerns steht, sollen Kapazitäten (sprich Fabriken und Arbeitsplätze) „abgebaut“ werden. Zukünftig will GM mehr in „Niedrig-Kosten-Ländern“ fertigen lassen, was den bisher geleisteten Lohnverzicht der Kolleg­Innen bei Opel ad absurdum führt. Nach dem Ablauf einer „Standortgarantie“ sollen 2015 das Bochumer Opel-Werk geschlossen und damit 5200 Arbeitsplätze (plus 40 000 davon abhängige Arbeitsplätze in der Region) vernichtet werden.
  • Die Überproduktionskrise im Stahlbereich hat auch den Konzern ThyssenKrupp getroffen, bei dem allein in Duisburg 12 000 Lohnabhängige arbeiten. Zudem hat die Konzernführung einen Teil der enormen Profite aus dem Stahlboom im Bau von neuen, aber verlustbringenden Stahlwerken in Brasilien und den USA versenkt. Nach dem gescheiterten Ausbau des Stahlgeschäfts änderte ThyssenKrupp die Richtung um 180 Grad und will nun mit dem Siemenskonzern fusionieren. Für den Umbau zum „Technologiekonzern“ will ThyssenKrupp den Stahlbereich abstoßen. Ein erster Schritt war der Verkauf der Edelstahlwerke.
  • Der Hightech-Konzern und Kraftwerksbauer Hitachi Europe im Duisburger Innenhafen will 250 von 1100 Arbeitsplätzen abbauen. Weder die Abschaltung von AKWs noch der Widerstand gegen Kohlekraftwerke passen dem Konzern, der außerdem erhebliche Probleme mit Stählen hatte, die nicht den Qualitätsanforderungen für den Kesselbau entsprachen.


Ein Aus für Opel und der Ausstieg von ThyssenKrupp aus dem Stahlbereich, werden von vielen Lohnabhängigen im Revier als Angriff verstanden. Mit dem typischen Blick auf die „eigene Stadt“, den „eigenen Konzern“, den „eigenen Verein“ – und auch auf die „eigene Region“ – ist weder die Krise für Opel, Thyssen und Hitachi noch für das Ruhrgebiet zu lösen. Dabei wäre es nicht sonderlich schwer, den von Hitachi benötigten Stahl bei Thyssen oder das benötigte Know-how für ein Opel-Werk zur Produktion alternativer Energieträger bei den Ingenieur­Innen, Techniker­Innen und Projekteur­­Innen von Hitachi und ThyssenKrupp zu finden. Dies setzt allerdings eine basisdemokratisch geplante Wirtschaft und eine „Strukturpolitik“ für das ganze Ruhrgebiet in einer nicht-kapitalistischen Gesellschaft voraus.
„Lösungen“, die keine sind
Die „Lösungen“, die von Betriebsräten, Landes- und Kommunalpolitiker­Innen vorgeschlagen werden, si
nd systemtragend. Wolfgang Schäfer-Klug, Gesamtbetriebsratsvorsitzender von Opel, findet Werksschließungen zu teuer, womit Opel nicht in die Gewinnzone zurückkehren könne. Der Betriebsratsvorsitzende bei Opel-Bochum fordert die Landesregierung auf, eine „Task-Force“ zur Rettung von Opel zu bilden. Die IG Metall setzt auf neue Modelle und neue Märkte, die IHK auf das Elektroauto. Die Stadt Bochum möchte die Rahmenkosten für GM/Opel senken. Unklar ist die Haltung des Betriebsrates von ThyssenKrupp zu einer Ausgliederung des Stahlbereiches, wobei die Einbindung in die Konzernpolitik über die Mitbestimmung in Aufsichtsrat und Vorstand für eine Zustimmung des Betriebsrates spricht, die komplette Ablehnung durch die Kolleg­Innen aber dagegen.
Enteignen statt entlassen!
Der Kampf bei Krupp Rheinhausen 1987/1988, der Bergarbeiterstreik im März 1997 und die Auseinandersetzung bei Opel 2004 sind Beweise für die Kampfkraft der Arbeiter­Innenklasse im Ruhrgebiet.

  • Bei Krupp in Duisburg-Rheinhausen übte die Belegschaft monatelang die Macht im Betrieb aus. Ohne einen Erlaubnisschein des Betriebsrates konnte kein LKW die Tore passieren. Nicht der Kapitaleigner, sondern die Arbeiter­Innen kontrollierten die Produktion. Der Kampf elektrisierte eine ganze Region.
  • 1997 besetzten die Bergarbeiter alle Zechen, um gegen deren Schließung zu protestieren. Damals hieß die Parole nicht „occupy Wall Street„ sondern „blockiert die Bundeszentrale der FDP in Bonn“, was eine Woche lang durchgehalten wurde. Als der Marsch der Bergarbeiter auf den Bundestag bereits die Polizeiketten durchbrochen hatte, stellten sich Oskar Lafontaine und Joschka Fischer ihm entgegen und redeten ihn von der Straße.

Was diesen Kämpfen und auch bei Opel 2004 fehlte, war eine politische, systemsprengende Perspektive, für die die Arbeiter­Innenbewegung nach dem Ersten und nach dem Zweiten Weltkrieg im Ruhrgebiet gekämpft hat, und die als ferner Abklatsch im Statut der IG Metall und in der Landesverfassung NRW enthalten ist. Das ist die Forderung nach Enteignung (der Stahlindustrie, Opels usw.). Ohne den Kampf für die Beseitigung der privaten Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel ist keine linke Betriebs-, Kommunal- und Strukturpolitik möglich. Darüber hinaus ist der Schulterschluss mit den Kolleg­Innen der Auto- und Stahlindustrie in anderen Ländern herzustellen.

1     1988 wollte der kanadische Unternehmer Ghermezian ein gigantisches Einkaufszentrum und einen Vergnügungspark dort aufbauen, wo heute in Oberhausen das „Einkaufsparadies“ CentrO. steht. 

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