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Innenpolitik

Bahnprivatisierung: scheinheilig oder dreist?

Von Walter Wiese | 01.11.2007

Die Debatte im Bundestag über die beabsichtigte Bahnprivatisierung verdient eine Nachbetrachtung, denn in den Augen der Bahnprivatisierer ist ihr Vorhaben am 21.9.07 einen Schritt weitergekommen. Dort wurde der Entwurf des Gesetzes zur „Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes“ beraten. Dabei wurde deutlich, auf welchem Weg die Bundesregierung die Bahn AG vor allem sieht: zu einem Global Player im Bereich der Logistik.

Die Debatte im Bundestag über die beabsichtigte Bahnprivatisierung verdient eine Nachbetrachtung, denn in den Augen der Bahnprivatisierer ist ihr Vorhaben am 21.9.07 einen Schritt weitergekommen. Dort wurde der Entwurf des Gesetzes zur „Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes“ beraten.

Dabei wurde deutlich, auf welchem Weg die Bundesregierung die Bahn AG vor allem sieht: zu einem Global Player im Bereich der Logistik. Eine exportierende Firma, deren Ware über Schiene, Flugzeug und Schiff transportiert werden soll, werde einen Logistiker bestellen, der ihre Ware am gewünschten Ort ablädt. „Dazu wird die Bahn als integrierter Konzern in der Lage sein“, versicherte ein SPD-Abgeordneter. Damit ergeben die persönlichen Bindungen entsprechender Manager in diesen Transportbereichen, auf die W. Wolf verweist, einen Zweck. Vielleicht sind sie auch schon der Grundstock des künftigen Aufsichtsrates.

Die Trennung des Netzes vom Betrieb und ihre gesetzmäßige Konstruktion fand auch unter den „Volksvertretern“ unterschiedliche Würdigung. Während manche einen „sauberen Schnitt“ forderten, verteidigten die anderen Befürworter die Übertragung des Schienennetzes in privates Eigentum des Bundes (das es zumindest in den nächsten 18 Jahren bleiben soll) und wirtschaftliches Eigentum der Bahn AG. Das bedeutet, dass die Bahn fremdes Eigentum als ihr eigenes bilanzieren darf. Das führt zur faktischen Privatisierung des Netzes. Die Frage dieser Eigentumsform im Zusammenhang mit den Einwirkungsrechten des Bundes gem. Grundgesetz lassen Verfassung und Wirtschaftsinteressen der Bahn kollidieren. Ihre Zielsetzungen in Einklang zu bringen, „kommt einer Quadratur des Kreises gleich“.

Bei der Rückgabe des Netzes (nach 18 Jahren) entsteht das Problem, ob dieses mit Wertausgleich zu geschehen habe oder nicht. Der Gesetzesentwurf veranlasst den Gutachter der Bundesländer, Prof. Ehlers, zum Lösungsvorschlag, nur nach der Privatisierung vorgenommene Investitionen der Bahn aus Eigenmitteln zu vergüten. Nach derzeitigem Stand wären das Netz und die Stationen für 7,5 Mrd. Euro zurückzukaufen.

Das „Hohe Haus“ ist nicht einmal in der Lage, ein solches Thema emotionslos auf der Basis unbestreitbarer Tatsachen zu erörtern. Hierzu gehören auch simple ökonomische Fakten, z.B. dass Private nur dann Strecken betreiben wollen, wenn sie entsprechende Rendite machen können. Und das wollen sie. Dabei gibt es mehrere Möglichkeiten, zu denen Streckenstilllegungen und Personalabbau gehören werden: Die Profitrate kann durch Verkleinerung dieser beiden Größen verbessert werden. Unbezahlte („Arbeitsplatz sichernde“) Arbeitszeitverlängerungen stehen dann ebenfalls auf dem Plan.
Streckenabbau zu befürchten
Das haben auch die Bundesländer erkannt, auch wenn sie das anders ausdrücken. Sie sind zuständig für die „Bestellung“ des Regionalverkehrs („Öffentlicher Personennahverkehr“). Sie erhalten nach dem Regionalisierungsgesetz ab 2008 ca. 6,6 Mrd. Euro aus dem Mineralölsteueraufkommen des Bundes, mit dem sie „insbesondere den Schienenpersonennahverkehr zu finanzieren haben“. Diesen Betrag müssen sie sich nach einem Schlüssel, der dort festgelegt ist, aufteilen. Danach erhalten z.B. Bayern 14,98 %, das Land Hessen 7,41 % und das Land Bremen 0,55%. Personennahverkehr spricht das Gesetz, wenn u. a. die gesamte Reichweite 50 km oder die gesamte Reisezeit eine Stunde nicht übersteigt.

Die Bundesländer sind nicht gegen die beabsichtigte Privatisierung, sondern sie wollen dabei einfach nur nicht schlecht abschneiden, weil sie die Entwicklung des Schienenverkehrs in ihrem Bereich richtig einschätzen, nämlich dessen Reduzierung.  Ausgangspunkt ist der schlechte Schienenzustand infolge  „der permanenten Unterfinanzierung des Teils Schienen im Bundesverkehrswegeplan“.

Die Qualität des Schienennetzes wurde ebenfalls im Bundestag angesprochen, was insofern   informativ war, weil es nebeneinander bestehende unterschiedliche Maßstäbe in diesem Wirtschaftsbereich deutlich macht: In einer Netzbilanz (die trotz jahrelanger gesetzlicher Verpflichtung in diesem Jahr zum ersten Mal vorgelegt wurde) wurde fast kabarettistisch zur Beurteilung von Langsamfahrstellen berichtet: Im Bereich Berlin-Brandenburg ermittelt die Deutsche Bahn 35 solcher Stellen. Der zuständige Minister des Landes Brandenburg ermittelt 600. Die Erklärung: Für die Bahn AG existieren dann keine Langsamfahrstellen mehr, wenn sie sie in ihren Fahrplan eingebaut hat!

Ungeachtet (oder gerade wegen?) der „Fachleute“ im Bundestag ist der Hinweis von Prof. Ehlers zum Morgan-Stanley-Gutachten von 2004 richtig und zur Klarstellung notwendig:
„Der Kapitalmarkt wird es beispielsweise nicht hinnehmen, wenn der Bund seine Interessen hinsichtlich der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zur Infrastruktur entgegen den Interessen anderer Aktionäre über seine Mehrheitsaktionärsstellung durchsetzt“.

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