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Innenpolitik

Atommüllkippe Asse: Es sickert was durch

Von Thadeus Pato | 01.01.2011

Im Jahr 2000 wurde in Niedersachsen mit dem Aufbau eines flächendeckenden Krebsregisters begonnen.  2008 stellte der Landkreis Wolfenbüttel eine Anfrage an das Epidemiologische Krebsregister Niedersachsen (EKN) zur Häufigkeit von Leukämien in der Samtgemeinde Asse. Das EKN führte daraufhin eine Sonderauswertung durch.

Im Jahr 2000 wurde in Niedersachsen mit dem Aufbau eines flächendeckenden Krebsregisters begonnen.  2008 stellte der Landkreis Wolfenbüttel eine Anfrage an das Epidemiologische Krebsregister Niedersachsen (EKN) zur Häufigkeit von Leukämien in der Samtgemeinde Asse. Das EKN führte daraufhin eine Sonderauswertung durch.

Das Ergebnis: Die Erkrankungsraten für Leukämie/Lymphome und für Schilddrüsenkrebs waren im Untersuchungszeitraum signifikant erhöht (s.: http://www.krebsregister-niedersachsen.de/registerstelle/). Ein Beweis für die Gefährlichkeit der leckgeschlagenen nuklearen Zeitbombe im Salz?
Nicht nur Krebsfälle…
Die Ärzteorganisation IPPNW wies auf etwas hin, was in den Pressemeldungen zu der Untersuchung des EKN nicht zu finden war: Im Oktober 2010 ergab eine Studie einen Verlust von Mädchengeburten im Umfeld deutscher und Schweizer Atomanlagen. Ähnliche Befunde waren schon nach der Tschernobyl-Katastrophe und weit vorher als Folge der nuklearen Verseuchung durch Atombombenversuche erhoben worden. Als Ursache wird diskutiert, dass weibliche Keimanlagen empfindlicher als männliche auf ionisierende Strahlung reagieren. Möglicherweise kann also die Verschiebung der Geschlechtsrelation als ein biologischer Indikator für ionisierende Niedrigstrahlung angesehen werden.

Eine wissenschaftliche Untersuchung hat die Geschlechtsverteilung der lebend geborenen Kinder im Asse-nahen Ort Remlingen von 1971-2009 (der Betrieb der Asse begann 1965) untersucht1. Statt des zu erwartenden Verhältnisses von 105 männlichen zu 100 weiblichen Geburten fand sich das statistisch signifikant veränderte Verhältnis von 125 zu 100. In der Zeit, in der die Asse in Betrieb war plus ein Jahr Nachlauf (1971-1979) ist das Zahlenverhältnis mit 142 zu 105 noch erheblich auffälliger. 
Forschungsbedarf?
Wir haben also eine Strahlenquelle – der leckgeschlagene Monstermülleimer im Salzstock –, eine weit über die üblichen Zufallsschwankungen hinausgehende Häufung von Fällen bestimmter, vorzugsweise durch radioaktive Strahlung auslösbarer Krebserkrankungen, und eine unerklärliche Verschiebung der Geschlechterrelation bei den Geburten. Ist das ein Beweis für die
Gefährlichkeit der Asse?
Wissenschaftlich gesehen sind die Ergebnisse der zitierten Studien kein Beweis, dass die gemessenen Phänomene tatsächlich mit der Asse zu tun haben (auch wenn es nahe liegt), und gerade die Anti-Nuklearbewegung tut gut daran, sich bei der Bewertung zurückzuhalten. Aufgrund der Tatsache, dass die Daten anonymisiert erhoben wurden und insbesondere bezüglich der Schilddrüsenkrebsfälle lediglich die anonymen Meldungen seitens der pathologischen Institute vorliegen, die das Gewebe der erkrankten Organe bewerteten, besteht weiterer Untersuchungsbedarf.

Aber es gibt noch einen weiteren Grund, warum die Anti-Nuklearbewegung sich beim Kampf gegen die schleichende nukleare Verseuchung unserer Umwelt nicht in erster Linie auf solche Meldungen stützen sollte.
Forschungsziele
Dass ionisierende Strahlung, stammt sie nun aus der Nukleartechnologie oder aus einem simplen Röntgengerät, gefährlich ist, und dass sie aufgrund der langen Halbwertszeit einiger der nuklearen Spaltprodukte eine nicht beherrschbare Zeitbombe darstellt, bedarf keines Beweises mehr – das ist seit über hundert Jahren bekannt und zweifelsfrei belegt. Bei den entsprechenden Forschungen geht es in der Regel schlicht darum, herauszufinden, bis zu welchem „Grenzwert“ die entsprechenden Folgewirkungen ein „tolerables“ Risiko darstellen, also um eine schlichte Kosten-Nutzen-Bewertung.

Das heißt nicht, dass  solche Untersuchungen nicht ernst genommen und bewertet werden sollten. Aber mensch sollte nicht in die Falle laufen, sich bei seiner Argumentation vorschnell darauf zu berufen. Jegliche zusätzliche Strahlenbelastung ist eine Hypothek auf die Zukunft, denn Strahlenwirkungen sind langfristige Phänomene. Und deshalb ist es völlig unerheblich, was bei den „weiteren Untersuchungen“ herauskommt. Es gibt keine sichere Nuklearanlage, es gibt keine sichere „Entsorgung“ und deshalb nur eine Konsequenz: Sofort abschalten!

1    Kusmierz R, Voigt K, Scherb H (2010): Is the human sex odds at birth distorted in the vicinity of nuclear facilities (NF)? A preliminary geo-spatial-temporal approach. In: Greve K, Cremers A B (Eds.): EnviroInfo 2010. Integration of Environmental Information in Europe. Proceedings of the 24th International Conference on Informatics for Environmental Protection. Cologne/Bonn, Germany: 616-626.

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