Was könnte getan werden, um die Umweltzerstörung zu stoppen? K. Hasse zeigt in diesem Interview, welche Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe machbar wären.
Wie könnten die Sofortmaßnahmen für einen schnellen Ausstieg aus der fossilen Energieverstromung aussehen?
Die Bundesregierung und die bürgerlichen Parteien wollen die hiesigen Kohlekraftwerke mindestens noch weitere 30 Jahre betreiben. Es gibt zahlreiche Aussagen, die das belegen. Dazu passt, dass 2012 die Kapazität von Braunkohlekraftwerken um 5,1 % und die von Steinkohlekraftwerken um 3,1 % gestiegen ist. Und 2015 ließ die Regierung vier weitere neue Kohlegroßkraftwerke in Hamburg, Mannheim und Wilhelmshaven ungehindert in Betrieb gehen. Im Ergebnis spiegelt sich diese Entwicklung in der hohen deutschen Stromexportquote wider. Sie entsprach 2016 der Strommenge von fünf Atomkraftwerken. Durch die sofortige Stilllegung der besonders dreckigen Braunkohlekraftwerke könnte man mit einem Schlag freien Platz in den Übertragungsnetzen für erneuerbare Energien schaffen. Für den Übergang kann auf Gaskraftwerke gesetzt werden, die aufgrund ihrer hohen Dynamik die schwankenden Kapazitäten von Wind und Sonne schnell ausgleichen können. Kohlekraftwerke sind dafür komplett ungeeignet, weil sie viel zu träge sind. Deswegen können sie auch keine Übergangstechnologie sein. Gleichzeitig müssen die fehlenden Netze zügig entwickelt werden. Die bisher nur im kleinen Maßstab realisierten Energiespeichersysteme wie adiabate Druckluftspeicher, kostengünstige Redox-Flow-Batterien oder Power-to-Gas-Anlagen [1] sollten schnellstmöglich gefördert und aufgebaut werden. Im Augenblick läuft dagegen alles falsch: Die Braunkohle soll im Rheinland nach dem Willen der Landesregierung noch bis 2040 abgebaut und verbrannt werden, die Energiekonzerne legen die dringend benötigten Gaskraftwerke still, Speichertechnologien werden im Schneckentempo entwickelt, der Netzausbau kommt nicht voran und die erneuerbaren Energien werden massiv behindert. Die Verantwortung dafür trägt die CDU-SPD-Bundesregierung in Komplizenschaft mit den Energiekonzernen.
Kann mit der Solar- und Windenergie die bisherige Verbrennung fossiler Energieträger ersetzt werden?
Die erneuerbaren Energien haben eine grandiose Entwicklung hinter sich. In der Folge sind die Preise von Photovoltaik (PV)-Anlagen allein innerhalb des letzten Jahrzehnts um 90 % gesunken. PV-Anlagen auf Freiflächen haben hierzulande mittlerweile das Kostenniveau von Windkraftanlagen zu Lande erreicht. Und die Kosten der Windenergie liegen heute an günstigen Standorten unterhalb des Niveaus von Steinkohlekraftwerken. Trotzdem hat die Bundesregierung den weiteren Zubau der erneuerbaren Energien ohne Skrupel abgewürgt. Die fixierte Zubaugrenze von Photovoltaikanlagen liegt heute in Deutschland bei 2,5 GWp (Gigawatt Peak). Das ist eine lächerlich niedrige Zahl, wenn man bedenkt, dass der Zubau noch 2012 3,3-mal so hoch war. Seit diesem Jahr hat die Bundesregierung auch die Onshore-Windenergie massiv beschnitten. Der Zubau darf eine festgesetzte Grenze von 2,5 GW pro Jahr nicht überschreiten. Zum Vergleich: 2016 wurden noch Windenergieanlagen von 4,6 GW gebaut. Die Maßnahmen der Bundesregierung stehen im Widerspruch zu ihrer lautsprecherischen Unterstützung für das Pariser Klimaabkommen. Sie dienen lediglich dem Bestandsschutz der Kohlekonzerne.
Die Alternative der erneuerbaren Energien ist offensichtlich. Aber reicht sie auch mengenmäßig aus, um den gesamten heutigen deutschen Energieverbrauch zu ersetzen?
Der heutige Energieverbrauch in Deutschland, also Strom und Wärme zusammen, ist enorm aufgebläht und liegt bei jährlich rund 2600 TWh (Terrawattstunden = 1012Wattstunden). Selbst wenn man einen sehr starken Ausbau der Wind- und Solarenergie zugrunde legt und noch zusätzlich Stromimporte aus Südeuropa oder der Sahara einrechnet, wird maximal 50 % des heutigen Energieverbrauchs durch erneuerbare Energie ersetzt werden können. Das bedeutet, dass zukünftig auch massiv Energie eingespart werden muss. Dies kann ohne Einbußen der Lebensqualität erreicht werden. Dazu sind aber drei Maßnahmen notwendig: Erstens muss der heutige Wohnungsbestand energetisch saniert werden. Zweitens muss der energievergeudende Individualverkehr durch öffentliche Verkehrsmittel weitestgehend ersetzt werden. Drittens kann man große Energiemengen in der Industrie einsparen, wenn man die heutige Wegwerfproduktion drastisch reduziert.
Der Mobilitätssektor verantwortet heute rund 20 % des deutschen Treibhausgasausstoßes. Wie kann er umgestellt werden?
Die Grünen haben auf ihrem Parteitag im Herbst 2016 gefordert, dass es ab 2030 keine Neuzulassungen von Autos mit Verbrennungsmotoren mehr geben darf. Das ist eine richtige Forderung, aber sie bleibt auf halbem Wege stehen. Ein Ersetzen der heutigen schmutzigen Autos mit Verbrennungsantrieb durch Elektrofahrzeuge ist keine Lösung. Ihr hoher Energie- und Ressourcenverbrauch kann in einer nachhaltigen, nichtfossilen Gesellschaft dauerhaft nicht mehr bereitgestellt werden. Die einzige sinnvolle Lösung ist die Abkehr vom Individualverkehr hin zum Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel. Selbst der ADAC musste dies in einer Studie von Anfang 2017 eingestehen. Die Befragung von Autonutzern ergab, dass in den großen Städten wie Frankfurt, Leipzig, Berlin oder Hamburg jeweils Hunderttausende bereit wären, auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen. Vorausgesetzt, die Tarife seien übersichtlicher und die Preise niedriger als heute. Daran wird deutlich, dass man einen klimaschonenden Umbau des Mobilitätssektors nur erreichen kann durch die Einführung eines Nulltarifs für öffentliche Verkehrsmittel. Statt wie heute Dieseltreibstoff oder Firmenfahrzeuge mit vielen Milliarden Euro sinnlos zu subventionieren, müssen die Gelder in die öffentlichen Verkehrsmittel investiert werden. Parallel dazu bietet allein der Ausbau eines sicheren Radwegenetzes die Möglichkeit, dass in den Städten bis zu 50 % der Nutzer auf Fahrräder umsteigen. Das haben sowohl Studien als auch die fahrradfreundlichen Maßnahmen in Amsterdam und Kopenhagen gezeigt. In Deutschland wird aber von den Politikern weiter verbissen auf den Autoverkehr gesetzt.
Für ein Drittel der heutigen Treibhausgasemissionen ist der Gebäudebereich verantwortlich. Wie stellt sich die Aufgabe in diesem Sektor?
Ein Großteil der Heizenergie verpuff heute in schlecht isolierten Wohnungen. Um bis 2050 einen nahezu klimaneutralen Gebäudebestand zu erreichen, müsste das Sanierungstempo gegenüber dem Plan der Bundesregierung verdoppelt werden. Doch danach sieht es momentan nicht aus. Schlimmer noch: Die heutige „thermische Sanierung“ bei Mietwohnungen dient vornehmlich dazu, Mieten zu erhöhen und alteingesessene Mieter aus ihren Wohnungen zu vertreiben. Die gesetzliche Regel erlaubt es, dass die energetischen Sanierungskosten auf der Basis von nur 9 Jahren amortisiert werden können. Das bedeutet, dass heute 11 % der Kosten pro Jahr auf die Mieter umgelegt werden dürfen. Besonders infam: Auch wenn die Sanierungskosten längst eingetrieben wurden, bleibt diese Umlage weiter bestehen. Es ist aufgrund dieser gesetzlichen Regelung nicht selten, dass Mieter nach einem thermischen Umbau die doppelte Miete bezahlen sollen. Diese Umlageregelung gehört in dieser Form ersatzlos gestrichen. Es darf nicht sein, dass Mietern durch eine energetische Sanierung höhere Kosten entstehen. Die privaten und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen müssen stattdessen gesetzlich dazu verpflichtet werden, die Sanierungen aus ihren Gewinnen und Überschüssen zu finanzieren. Und bei kleinen Hauseigentümern und -eigentümerinnen, die z. B. nur eine Einliegermietwohnung besitzen, müssten staatliche Hilfen bereitgestellt werden. Das kann man in einer so wichtigen Frage von einem Staat verlangen, der andererseits keinerlei Hemmungen gezeigt hat, für die Sanierung von Banken mal eben über 100 Milliarden Euro hinzulegen.
Die industrielle Güterproduktion ist in Deutschland für über 35 % der Treibhausgase verantwortlich. Reduktionsversuche durch eine Verbesserung der Energieeffizienz zeigten bisher keinerlei Wirkung. Was ist die Ursache?
Der Kapitalismus ist mit einem nicht endenden Güterwachstum verbunden. Die Märkte in den kapitalistischen Zentren sind zwar übersättigt, aber trotzdem gelingt es den Konzernen immer wieder, neue Konsumartikel in Umlauf zu bringen. Für die Haushalte locken sie die Kunden z.B. mit immer großformatigeren Fernsehern, Multifunktions-Küchenmaschinen, neuen Kaffeeautomaten oder Wäschetrocknern. Es wird zwar bei den einzelnen Produkten mit Energieeinsparungen durch mehr Energieeffizienz geworben, aber was hier gewonnen wird, wird auf der anderen Seite durch immer mehr Güter wieder aufgefressen. Das ist auch in anderen Bereichen so. Autos werden immer größer und schlucken durch zahllose Sonderfunktionen wieder mehr Sprit. Negativ zu Buche schlägt auch, dass die Produkte immer kurzlebiger werden und nicht mehr reparierbar sind. Dazu gibt es ständig neue Moden, deren Zyklen sich in den letzten Jahren sogar noch beschleunigt haben. Das ist nicht nur bei der Bekleidung so, sondern auch bei Möbeln oder ganzen Badezimmer- und Kücheneinrichtungen. Wenn man den Kohlendioxid-Ausstoß reduzieren sowie Energie und Ressourcen einsparen will, muss man diesen Wahnsinn stoppen.
Wie können wirksame Maßnahmen gegen den hohen Treibhausgasausstoß und die ungeheure Energie- und Ressourcenverschwendung bei der Güterherstellung aussehen?
Es sind zunächst 3 Punkte, die man auch als eine ökologische Normierung der Produktion bezeichnen kann: Wir brauchen deutlich längere Produktlebenszeiten, eine Reparaturfähigkeit technischer Konsumgüter und ein wirkliches Rohstoffrecycling, das nicht wie heute auf grünen Lügen beruht. Das klingt vielleicht zunächst nach einer Kleinklein-Lösung. Aber die Umsetzung dieser Maßnahmen wird dazu führen, dass die Zahl der konsumierten Güter und der Rohstofferbrauch drastisch zurückgehen werden. Der Energieverbrauch würde ebenfalls sinken und die verbleibenden Industriegüter könnte klimaneutral mit erneuerbaren Energien hergestellt werden.
Betrachten wir zunächst die Langlebigkeit der Produkte. Die DDR ist sicher kein Vorbild, denn der Staat wurde von einer bürokratischen Kaste diktatorisch regiert. Aber es gab dort sinnvolle Richtlinien, nach denen z.B. Kühlschranke mindestens 25 Jahre halten mussten. Und das wurde auch erreicht. Die Lebensdauer dieser Geräte liegt heute bei uns im Durchschnitt nur noch bei etwa 12 Jahren. Wenn sogar die DDR mit ihren begrenzten technologischen Möglichkeiten 25 Jahre erreicht hat, können wir davon ausgehen, dass heute eine Lebensdauer für Kühlschränke von 50 Jahren möglich ist. Und diese Lebensdauerverlängerung kann natürliche auch für zahllose andere Produkte, also Wasserkocher, Fernseher, Möbel usw., erreicht werden. Ein wichtiges Element ist dabei auch die Reparaturfähigkeit. Noch vor 45 Jahren war es selbstverständlich, dass kaputte Fernseher, Radios oder auch Schuhe repariert wurden. Es ist ein ganz großer ökologischer Skandal, dass heute alles umstandslos weggeschmissen wird. Um das rückgängig zu machen, müssen sowohl ökonomische als auch technische Gegenmaßnahmen getroffen werden. Zum einen müssten die Kosten für Ersatzteile und Reparaturarbeiten gesenkt und auf neue Konsumgüter umgelegt werden. Die Strategie der Unternehmen verfolgt heute genau den umgekehrten Weg, um den ständigen Neukauf anzuheizen. Weiterhin müssen technische Geräte so ausgelegt werden, dass sie überhaupt wieder reparaturfähig werden. Das bedeutet beispielsweise, dass man problemlos an die kritischen Teile herankommt, so dass man sie auswechseln oder reparieren kann. Im einfachsten Fall bedeutet das, dass man in technischen Geräten Klebeverbindungen durch Schraubverbindungen ersetzt. Und natürlich sollten heute Reparaturbeschreibungen ins Internet gesetzt werden. Das gilt auch für die Programme der Steuereinheiten, also der Mikrocontroller, die im Sinne von „Open source“ offengelegt werden sollten.
Das wäre für sich allein schon eine gewaltige Umwälzung. Aber würde das schon ausreichen für eine ökologisch produzierende Wirtschaft?
Wenn man die Ressourcen schonen und die ungezügelte Plünderung der Rohstoff beenden will, muss man eine Kreislaufwirtschaft mit wirklichem Recycling aufbauen. Das gibt es heute nirgendwo auf der Welt. Bisher werden die hergestellten Güter mit einer willkürlichen stofflichen Zusammensetzung hergestellt. Ein wirkliches Recycling ist dann aber nicht mehr möglich. Ein Beispiel sind Tetrapak-Getränkeverpackungen. Sie bestehen aus einem fest verklebten Verbund aus Pappe, Aluminium und Kunststoff. Ein Trennen der Stoffe ist nach der Benutzung nicht mehr möglich. Noch schlimmer ist der wachsende Einsatz von Karbonfaserverbundstoffen in zahlreichen Konsumgütern und zunehmend in Autos. Ein wirkliches Recycling muss bereits bei der Produktentwicklung eingeplant werden. An ihrem Lebensende sollten Güter zerlegbar sein und in getrennten Stoffreisläufen in die Produktion zurückgeführt werden können. Alternativ sollten sie ohne Umweltschäden kompostierbar sein. Das erfordert aber eine Standardisierung der zu verwendenden Stoffkompositionen. Das Konzept wurde von Michael Braungart entwickelt und als Cradle-to-Cradle bezeichnet. [2] Er hat mit seinem Team bereits eine große Zahl von Produkten entwickelt, die diesen Anforderungen genügen. So z.B. Bürostühle, Sitzbezüge oder Sportschuhe.
Was passiert, wenn man das Cradle-to-Cradle-Konzept verallgemeinert?
Bisher gibt es nur Einzellösungen. Wenn man aber alle heutigen Produkte einem Cradle-to-Cradle-Prozess unterwerfen will, was anzustreben ist, stößt man schnell auf ein logistisches Problem. Das Ganze muss ja in getrennten Kreisläufen zurückgeführt werden. Bei dem heutigen Wildwuchs an verwendeten Stoffen und einer ständigen Produktmodifikation ist das nicht möglich. Deswegen muss die Zahl der zulässigen Stoffe drastisch eingeschränkt werden. Das steht so nicht mehr im Konzept von Braungart. Er schweigt sich über die Probleme aus, weil er offensichtlich keinen Konflikt mit seinen kapitalistischen Auftraggebern wünscht, für die er einzelne Produkte nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip umkonstruiert. So lobenswert sein Ansatz ist – in der Praxis betreibt er leider ideologisches Greenwashing.
Es kommt noch etwas anderes hinzu. Wenn man eine Reparatur- und Recyclingfähigkeit der Produkte erreichen will, muss man dafür sorgen, dass sich die Betriebe, die das zukünftig ausführen sollen, auch darauf einstellen können. Deswegen müssen die wahnsinnige Produktvielfalt und die ständigen Produktänderungen drastisch reduziert werden. Ein Beispiel: Es gibt heute weit über 100 Reinigungsmittel in einer noch größeren Anzahl von unterschiedlichen Behältern und Flaschen. Die dafür verwendeten Kunststoffe sind wiederum aus unterschiedlichsten Kunststoffmischungen zusammengesetzt. Sachlich gesehen würden vielleicht 10 Reinigungsmittel in vereinheitlichten Pfandbehältern ausreichen. Gleiche Rechnungen kann man für Fernseher, Kühlschränke oder Küchenherde aufmachen.
Ist das dargelegte Konzept für eine längere Produktlebensdauer, für eine Reparaturfähigkeit und für eine Kreislaufwirtschaft mit dem Kapitalismus vereinbar?
Das ist schwer vorstellbar. Die Kapitaleigner würden ihre vollkommene Verfügungsgewalt über den Produktionsprozess verlieren. Gleichzeitig käme es zu einer massiven Schrumpfung der Warenproduktion. Ohne Wachstum ist aber im Kapitalismus die Reinvestition der realisierten Profite nicht mehr möglich. In der Konsequenz können die aufgeführten Maßnahmen mit dem Kapitalismus nicht koexistieren. Das System wäre nicht mehr stabil, und zu Ende gedacht müsste es zu einem politischen und ökonomischen Bruch kommen. Die Maßnahmen sind daher Teile eines ökosozialistischen Übergangsprogramms.
Gäbe es nicht auch Konflikte mit den Konsumenten?
Davon ist nicht auszugehen. Regelmäßig zeigen Umfragen, dass sich viele Konsumenten von der unüberschaubaren Produktflut überfordert fühlen. Weniger wäre hier mehr. Außerdem würde der geringere Produktionsumfang dazu führen, dass sich die notwendige gesellschaftliche Arbeitsmenge drastisch verringert. Im Ergebnis könnte die Arbeitszeit deutlich verkürzt werden. Und alle Umfragen zeigen, dass die Lohnabhängigen in ihrer übergroßen Mehrheit einen Zuwachs an freier Lebenszeit begrüßen würden.
Viele Beschäftigte in den Energiebetrieben sorgen sich angesichts der Abkehr von der Kohle um ihre Arbeitsplätze. Welche Lösung gibt es?
Eine Abkehr von der Kohleverbrennung bedeutet das Ende von 30 000 Arbeitsplätzen in den Kraftwerken und noch einmal rund 20 000 beim Braunkohleabbau. Das ist lösbares Problem, wenn man bedenkt, dass bereits heute im Bereich der erneuerbaren Energien 370 000 Menschen arbeiten. Mit dem weiteren Ausbau der Erneuerbaren wird diese Zahl noch erheblich anwachsen. Die Klimabewegung sollte dafür eintreten, dass die heutigen Beschäftigten des fossilen Energiesektors eine Fortbeschäftigungsgarantie mit voller Lohnfortzahlung bekommen, wie es auch die Gewerkschaft Verdi vorgeschlagen hat. Dies kann bei der Renaturierung der Braunkohlegruben und beim Rückbau der Kohlemeiler der Fall sein. Oder in Beschäftigungsgesellschaften, die z.B. auf eine Arbeit im Sektor der erneuerbaren Energien vorbereiten.
Beim Umbau des Verkehrssektors sind die Arbeitsplätze eine noch wichtigere Frage, denn in der Automobilindustrie einschließlich Zulieferern arbeiten heute rund 800 000 Personen. Dazu kommen noch einmal 780 000 Beschäftigte in Kfz-Werkstätten und im Kfz-Handel. Eine Abkehr vom Individualverkehr würde dazu führen, dass deutlich weniger Arbeitszeit für die Fertigung und Reparatur von Autos sowie für die Pflege des Straßennetzes aufgebracht werden müsste. Allerdings müssten gleichzeitig die öffentlichen Verkehrssysteme überschlägig um den Faktor 6 ausgebaut werden. Dadurch würde auch neue Arbeit entstehen. Es ist sinnvoll, dem heutigen Automobilsektor die Produktion von Bussen, Bahnen und neuen Sammeltaxen zu übertragen, denn er besitzt die technische Kompetenz dafür. Generell gilt, dass bei dem notwendigen ökologischen Umbau Umstrukturierungen der Arbeitsinhalte unvermeidlich sind. Aber es ist dabei wichtig, dass Ökosozialist*innen vorbehaltlos erklären, dass alle Arbeitsplätze gesichert werden und niemand arbeitslos wird. Dies wird nicht zuletzt dadurch erreicht, dass die gesellschaftlich vorhandene Arbeit auf alle vorhandenen Hände umverteilt wird.
Kann der notwendige ökologische Umbau gemeinsam mit dem Kapitalismus erreicht werden?
Die kapitalistischen Konzerne sabotieren heute in Komplizenschaft mit den bürgerlichen Politikern jeden kleinen Schritt in Richtung Klimaschutz. Der Grund liegt darin, dass der Kapitalismus riesige finanzielle Summen in Unternehmen zur Ausbeutung und Nutzung der fossilen Energieträger investiert hat. Die Klimajournalistin Naomi Klein nennt in ihrem Buch Die Entscheidung – Kapitalismus vs. Klima eine Größenordnung von 27 Billionen Dollar. Generell gibt es heute nur wenige Kapitalgruppen, die nicht in irgendeiner Form – sei es direkt oder indirekt mit dem Geschäft der fossilen Energien verbunden sind. Die notwendige Abkehr von den fossilen Energieträgern wird zwangsläufig zu einer Vernichtung des darin investierten Kapitals führen. Das erklärt, warum die Herrschenden bisher keinerlei ernsthafte Maßnahmen gegen den Klimawandel getroffen haben, obwohl die Zerstörung der Welt droht. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Macht des Kapitals im Kampf um Klimaschutzmaßnahmen aufgehoben werden muss. Anders können der dargelegte Umbau und eine Rettung vor der Klimakatastrophe nicht gelingen.
Quelle: https://sozialismus.ch/artikel/2019/oekologie-sofortmassnahmen-gegen-die-umweltzerstoerung/
Anmerkungen:
[1] 1 Redox-Flow-Batterien: Sie speichern elektrische Energie in zwei getrennten Flüssigkeiten. Werden sie in zwei Zellen eines gemeinsamen Tanks gepumpt, die durch eine Membran getrennt sind, liefern sie elektrischen Strom. Der Vorteil: Die Speicherkapazität ist nur von der Flüssigkeitsmenge abhängig. Damit lassen sich sehr große Anlagen aufbauen. Die heutigen Standardlösungen basieren auf Vanadium-Salzen und sind noch relativ teuer. Es gibt aber sehr preisgünstige Alternativen auf der Basis von Kunststoffmolekülen in Kochsalzlösungen. Adiabate Druckluftspeicher: Bei Stromüberschuss wird Luft in unterirdische, abgedichtete Kavernen gepumpt. Wird wieder Strom benötigt, lässt man die Luft ab, die dabei eine Turbine antreibt und so den Strom zurückgewinnt. Eine Anlage existiert seit vielen Jahren in Huntorf in Norddeutschland. Wenn man die Wärme, die bei der Luftkompression entsteht, zwischenspeichert und bei der Luftfreisetzung wieder zuführt, spricht man von einem adiabaten System. Es hat einen deutlich höheren Wirkungsgrad als konventionelle Druckluftspeicher. Power-to-Gas: Überschüssiger Strom wird in einem Elektrolyseprozess genutzt, um Wasser zu zerlegen. Der dabei entstehende Wasserstoff kann gespeichert werden. Bei Strombedarf kann der Wasserstoff verbrannt werden und dabei eine Turbine antreiben. Alternativ kann der Wasserstoff durch eine Zufuhr von Kohlendioxid auch in Methan umgewandelt werden, das dann leichter gespeichert werden kann. Es gibt heute in Deutschland mehrere Power-to-Gas-Testanlagen, die erfolgreich arbeiten.
[2] Michael Braungart u. William McDonough: Cradle toCradle. Einfach intelligent produzieren, München u. Zürich: Piper, 2013. „Cradle to Cradle“ – wörtlich: „von der Wiege bis zur Wiege“. „Ökoeffektivität ist ein Begriff, den der deutsche Chemiker Michael Braungart und der US-amerikanische Architekt William McDonough in ihrem 2002 erschienenen Buch Cradle to Cradle (C2C) verwenden. Sie stellten den Begriff in Kontrast zur Ökobilanz (die den Stoffreislauf und dessen Umweltwirkungen von der Wiege bis zur Bahre analysiere) und zur Ökoeffizienz. Ökoeffektiv sind nach Braungart und McDonough Produkte, die entweder als biologische Nährstoffe in biologische Kreisläufe zurückgeführt werden können oder als ,technische Nährstoffe‘ kontinuierlich in technischen Kreisläufen gehalten werden.“ (Wikipedia)