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Afghanistan: Entstehung und Ideologie der Taliban

Von M.Anwar Karimi | 01.02.2010

Die Taliban-Bewegung (Tahreek-e-Taliban Afghanistan) entstand 1994 in der Stadt Kandahar aus Kommandanten mittleren Ranges der Widerstandskämpfer (Mudschaheddin) gegen die sowjetische Besatzung (1979-1989). Die 1 500 Kämpfer, die die Bewegung gründeten, ernannten Mullah Omar zu ihrem Führer.

Die Taliban-Bewegung (Tahreek-e-Taliban Afghanistan) entstand 1994 in der Stadt Kandahar aus Kommandanten mittleren Ranges der Widerstandskämpfer (Mudschaheddin) gegen die sowjetische Besatzung (1979-1989). Die 1 500 Kämpfer, die die Bewegung gründeten, ernannten Mullah Omar zu ihrem Führer.

Unterstützung erhielten sie vor allem aus den ärmsten sozialen Schichten der paschtunischen Bevölkerung, weil die Bewegung ein Ende des Bürgerkriegs, der Anarchie und die Entwaffnung der Warlords versprach.
Der Bürgerkrieg tobte seit 1992 zwischen verschiedenen Mudschaheddin-Parteien um die Macht, also nach dem Sturz der Regierung der Volksdemokratischen Partei.

Mit der Eroberung der Hauptstadt Kabul 1996 und des Nordens Afghanistans 1997 festigten die Taliban ihre Machtpositionen und proklamierten faktisch ein eindimensionales Programm: die Durchsetzung einer „wahren“, „reinen“ Form des Islams, der sich auf eine 1 400 Jahre zurück liegende Zeit beruft.
Ideologie und Programm
In diesem Zusammenhang haben die Taliban mit zahlreichen Verletzungen der Menschenrechte, besonders mit repressiven Maßnahmen gegenüber Frauen (darunter die Schließung von Mädchenschulen, das Verbot für Frauen, Geld zu verdienen und ohne männliche Begleitung auf die Straße zu gehen) und mit der rigiden Anwendung des islamischen Strafrechts zum Aufbau eines Feindbildes Islam im Westen beigetragen. Zu diesen Verletzungen der Menschenrechte gehörten auch das Verbot des Fernsehens, der Musik und des Kinos (als westliche Dekadenz) und die Verpflichtung der Männer, Bärte zu tragen und sich nicht nach westlicher Art zu kleiden.

Die Taliban wurden 2001 durch eine von den USA organisierte und von NATO und Nicht-NATO-Staaten (43 Staaten) mitgetragene Invasion, darunter auch Deutschland, von der Macht vertrieben, reorganisierten sich aber schnell und zählen heute militärisch und politisch zu den größten Aufstandsgruppen Afghanistans. Die Zahl der bewaffneten aktiven Kämpfer der Taliban wird auf 20 000 – 35 000 geschätzt.

Ihr pakistanischer Ableger (Tahreek-e-Taliban Pakistan, gegründet 2007) hat die gleichen Ideologischen Wurzeln und kämpft Seite an Seite mit den afghanischen Taliban gegen die NATO in Afghanistan und bekämpft gleichzeitig die pakistanische Regierung.
Ihre Führer ist Hakimullah Mehsud und ihre bewaffneten Kämpfer werden auf 10 000-25 000 geschätzt.

Die Taliban-Ideologie basiert auf einem vorkolonialen Fundamentalismus, dem – anders als der in Auseinandersetzung mit dem übermächtigen Westen entstandene moderne Islamismus (wie Al-Qaida, Hisbollah im Libanon…) – die Orientierung auf den Anschluss an die Industriegesellschaft fehlt. Extremistische Gruppen dieser Art entstehen unter den Bedingungen der Ver­elendung, sozialen Zerrüttung und Perspektivlosigkeit. Ihre kompromisslose Strenge fasziniert viele.

Während des afghanischen Krieges gegen die Sowjetbesatzung wurden vom Westen vor allem islamistische Kaderorganisationen wie die von Hekmatyar geführte Hesb-e-Islami, gefördert und niemand störte sich daran, dass die Islamisten die gelieferten Waffen auch zum Kampf gegen ein­ander und gegen andere Oppositionsgruppen benutzten.

Die ethnischen und religiösen Minderheiten des Nordens gruppierten sich jeweils um eine Partei: die Hesbe-e-Wahdat der schiitischen Hazaras, die tadschikische Jami‘at-e-Islami und die Gruppe des usbekischen Warlords Dostom (Junbesh-e-Meli).
Sie und die überwiegend paschtunische Hesb-e-Islami lieferten sich nach dem Abzug der sowjetischen Truppen und dem Sturz des von ihnen gestützten Regimes einen blutigen Bürgerkrieg.

Der Krieg hatte zu einer Schwächung des paschtunischen Einflusses geführt. Hekmatyars städtisch-modernistischer Islamismus erwies sich als unfähig, die überwiegend ländliche paschtunische Bevölkerung zu binden. In diese Lücke stießen die Taliban. Sie rekrutieren fast ausschließlich Paschtunen ländlicher Herkunft. Keiner der Taliban-Führer gehört zur Stammesaristokratie, keiner ist ein bekannter Gelehrter. Ihre Ideologie mischt Elemente des Sunnitischen Islams, paschtunischen Traditionen und paschtunischen Stammeskodex, den Pashtunwali.

In der Zeit ihrer Herrschaft (1996-2001) duldeten die Taliban keine politische Partei, von einer Opposition gar nicht zu sprechen. Aus militärtaktischen Gründen arbeiten die Taliban zur Zeit mit anderen aufständischen Gruppen gegen die NATO zusammen, versuchen aber immer wieder ihre politischen and sozialen Ansichten als das einzig Wahre zu propagieren.

In letzter Zeit haben die Taliban einen kleinen „pragmatischen“ Schwenk vorgenommen und erlauben beispielsweise andere Kleidung, das Rasieren des Bartes bei den Männern, das Hören von Musik und die Benutzung der elektronischen Medien in privaten Häusern und versehen sogar ihre Website und Publikationen mit Bildern. Sie passen sich ein wenig an und wollen damit ihre Basis halten und verbreitern. An der Grundausrichtung ihrer reaktionären Ideologie ändert das aber rein gar nichts.

 

Zitat von Mullah Mohammed Omar, Führer der Taliban
Amerika ist sehr stark. Auch wenn es doppelt so stark oder doppelt so groß wird, könnte es nicht stark genug sein, uns zu besiegen. Es ist nicht eine Frage der Waffen. Wir hoffen auf Gottes Hilfe. Was wirklich zählt, ist das Aussterben der Vereinigten Staaten von Amerika.
Und, so Gott will, wird es auf den Boden fallen. Ich bin bereit, alles bei der Vollendung der unvollendete Agenda unseres edlen Dschihads zu opfern, bis es kein Blutvergießen in Afghanistan mehr gibt und der Islam der Weg des Lebens für unser Volk wird.

 

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