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Länder

Folgen des israelischen Überfalls auf die Free-Gaza-Flotille

Von Birgit Althaler | 01.07.2010

Selten wurde ein Akt israelischer Aggression gegen unbewaffnete ZivilistInnen so einhellig und scharf verurteilt wie die gewaltsame Stürmung des Schiffskonvois der Free-Gaza-Bewegung in internationalen Gewässern in der Nacht vom 31. Mai.

Selten wurde ein Akt israelischer Aggression gegen unbewaffnete ZivilistInnen so einhellig und scharf verurteilt wie die gewaltsame Stürmung des Schiffskonvois der Free-Gaza-Bewegung in internationalen Gewässern in der Nacht vom 31. Mai.

Bei der Kommandoaktion der israelischen Armee gegen fünf Schiffe mit rund 700 Menschenrechtsaktivist­Innen und zehntausend Tonnen Hilfsgütern für den Gazastreifen an Bord wurden mindestens neun Zivilpersonen getötet und Dutzende verletzt. Das gesamte Film- und Fotomaterial, Kameras, Telefone, Geld und die persönliche Ausrüs­tung der Menschen an Bord wurden beschlagnahmt. Passagiere und Besatzungen wurden nach Israel gebracht und nach zwei Tagen Haft nach massiven Protesten abgeschoben.
Das israelische Vorgehen wurde international – auch von westlichen Regierungen und regionalen Mächten wie der Türkei, die mit Israel jahrelang enge wirtschaftliche und militärische Beziehungen unterhalten hat – vergleichsweise scharf verurteilt. Mehrere Länder brachen ihre diplomatischen Beziehungen zu Israel ab oder riefen die Botschafter zurück, forderten eine internationale Untersuchung und den Abbruch von wirtschaftlichen, militärischen und politischen Beziehungen.

Im UN-Menschenrechtsrat wurde die israelische Aktion mit überwältigender Mehrheit (32 zu 3 Stimmen) verurteilt; UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon rief Israel zur sofortigen Aufhebung der Blockade auf. UN-Sonderberichterstatter Richard Falk forderte, dass die Verantwortlichen einschliesslich der Politiker­Innen, die den Befehl für die Aktion erteilt haben, strafrechtlich verfolgt werden und die Kampagne für Boykott, Desinvestition und Sanktionen (BDS) gegen Israel weltweit verstärkt wird.

Der völkerrechtswidrige Angriff bringt Israel nach dem Gaza-Krieg einen weiteren Imageschaden. Dieser konnte auch nicht durch die Propagandaoffensive der ersten beiden Tage nach dem Überfall verhindert werden, als nur durch Israel gefilterte Bilder an die Medien gelangten und mit teilweise manipulierten Informationen versucht wurde, der Aktion den Anstrich einer terroristischen Provokation zu verleihen. Dazu hat die breite Abstützung der Solidaritätsaktion beigetragen, an der zahlreiche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und Dutzende Journalist­Innen aus verschiedenen Ländern teilnahmen, die mit ihren Zeugenaussagen und dem wenigen Bildmaterial, das gerettet werden konnte, an die Öffentlichkeit getreten sind.

Der israelischen Regierung ist es auch nicht gelungen, die zivile Widerstandskampagne einzuschüchtern und von weiteren Versuchen abzuschrecken, die Blockade zu durchbrechen. Wenige Tage nach der Kommandoaktion nahm ein weiteres Schiff mit einer Handvoll bekannter Persönlichkeiten an Bord Kurs auf Gaza. Es sollte ursprünglich gemeinsam mit den restlichen Schiffen aufbrechen, doch der Aufbruch verzögerte sich aufgrund technischer Probleme, die höchstwahrscheinlich auf Sabotage der israelischen Geheimdienste zurückgingen. Der Schiffkonvoi reiht sich in zahlreiche andere mutige Versuche der Free-Gaza-Bewegung, über den See- und Landweg Güter in den Gazastreifen zu bringen und der palästinensischen Bevölkerung zu signalisieren, dass die internationale Zivilgesellschaft nicht bereit ist, die Komplizenschaft ihrer Regierungen mit der israelischen Politik zu akzeptieren.
Blockade
Statt die Solidaritätsbewegung zu stoppen, hatte der Angriff im Gegenteil zur Folge, dass der völkerrechtlich, politisch und moralisch unhaltbare Zustand der Abriegelung des Gazastreifens wieder aufs Tapet gebracht wurde. Die Bevölkerung im Gazastreifen wird von Israel seit Jahren zynisch auf einem Lebensstandard gehalten, der knapp zum Überleben reicht, aber jede unabhängige Initiative verunmöglicht. Die wirtschaftliche Erdrosselung des Gazastreifens, die zunehmende Einschränkung der Bewegungsfreiheit und die Verdrängung der palästinensischen Arbeitskräfte vom israelischen Arbeitsmarkt haben 1993 mit dem Oslo-Abkommen begonnen und sind in ihren verheerenden Folgen bestens dokumentiert. Die amerikanische Ökonomin Sarah Roy spricht von De-development, dem bewussten Verhindern und Zurückkurbeln der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung durch die israelische Besatzungsmacht – schon Jahre vor der zweiten Intifada und dem Aufstieg der Hamas. Der regimekritische israelische Historiker Ilan Pappe u. a. warnen seit Jahren vor dem schleichenden Völkermord im Gazastreifen.

Dennoch darf der Druck, den momentan das sogenannte Nahostquartett, bestehend aus USA, Russland, EU und UNO, auf Israel ausübt, die Blockade zu lockern und die Ein- und Ausfuhr ziviler Güter zuzulassen, nicht darüber hinwegtäuschen, dass insbesondere die USA und die EU maßgeblich an der Blockadepolitik beteiligt sind. Als 1996 die Hamas siegreich aus den (freien und fairen!) palästinensischen Wahlen hervorging, was vor allem als Misstrauensvotum gegen die Politik der Fatah unter Yassir Arafat und seinem Nachfolger Mahmoud Abbas zu verstehen war, setzten sie die Isolierung der Hamas durch.

Mit Mahmoud Abbas als Präsidenten und Salam Fayyad als Regierungschef wurde ein demokratisch nicht legitimiertes Marionettenregime etabliert, das mehr den Interessen Israels, der USA und einer kleinen Schicht an paläs­tinensischen Geschäftsleuten verpflichtet ist als jenen der unter dem israelischen Kolonial- und Apartheidregime leidenden Bevölkerung. Die Polarisierung zwischen der Palästinenserbehörde und der Hamas schränkt den Spielraum für eine fortschrittliche nichtreligiöse Alternative zu den islamisch-konservativen Strömungen massiv ein. Die Kollektivbestrafung der paläs­tinensischen Bevölkerung für ihr Wahlverhalten wirkt sich ebenfalls kontraproduktiv aus und verhindert, dass die Hamas an ihren politischen Massnahmen gemessen werden kann.
Folgen des Überfalls
Der momentane Aufschrei der internationalen Öffentlichkeit bedeutet nicht, dass sich der Wes­ten und die arabische Welt schon durchgerungen haben, Israel für seine Völkerrechtsverletzungen, die fortlaufende Kolonialisierung und die systematische, strukturelle Diskriminierung der palästinensischen Bevölkerung zur Rechenschaft zu ziehen. Es bedeutet auch nicht, dass der Überfall auf den Schiffkonvoi tatsächlich von unabhängiger Seite untersucht wird. Dennoch wächst durch die erstarkende Solidaritätsbewegung der Druck auf die politischen Führungen und bleibt in Israel nicht unbemerkt. Die Regierung reagiert darauf mit zunehmender Repression gegenüber der politischen Opposition: Aktivist­Innen des gewaltfreien Widerstands gegen die Mauer und die Besatzung werden ebenso wie palästinensische Politiker­Innen und NGO-Vertreter­Innen mit israelischer Staatsbürgerschaft verhaftet, gefoltert und teilweise des Landesverrats angeklagt; israelischen Bürger­Innen soll unter Androhung massiver Strafen gesetzlich verboten werden, mit regimekritischen internationalen Kampagnen zusammenzuarbeiten. Über der p
alästinensischen Bevölkerung in Israel und den besetzten Gebieten hängt das Damoklesschwert des angedrohten „Transfers“, der gewaltsamen Vertreibung, mit der Israel auch auf das wachsende Selbstbewusstsein der palästinensischen Bürger­Innen in Israel reagiert.

Auf der anderen Seite werden in Israel die Folgen der internationalen Bewegung für Boykott, Desinvestition und Sanktionen (BDS) im Wirtschaftsleben wie in der Wissenschafts- und Kulturszene immer deutlicher spürbar. Das Reut-Institut, ein der israelischen Regierung nahe stehender zionistischer Think Tank, widmet der BDS-Kampagne ausgiebige Artikel. Zahlreiche Künstler­Innen lehnen Auftritte in Israel ab, Einladungen an europäische Universitäten werden rar, Geschäftsbeziehungen werden aufgekündigt. Nicht zuletzt wird die Kampagne auch von immer mehr Gewerkschaften aufgegriffen. So hat die schwedische Hafenarbeitergewerkschaft aus Protest gegen den Angriff auf die Free-Gaza-Flotille beschlossen, mehrere Tage lang die Löschung israelischer Schiffe zu blockieren, und die südafrikanische Cosatu ruft ihre Mitglieder zum Boykott israelischer Produkte und Geschäftskontakte mit Israel auf.

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