TEILEN
Länder

Afghanistan – Die verlogenen Generäle

Von M. Anwar Karimi | 01.11.2010

Dem US-Präsidenten Barack Obama sind für die Überprüfung seiner Afghanistanstrategie nur noch weniger als 8 Wochen verblieben. Den US-Besatzern und ihren NATO-Verbündeten ist es nicht gelungen, die afghanischen Aufständischen aus ihren Hochburgen zu vertreiben. Im Gegenteil: Der Aufstand weitet sich in allen Provinzen massiv aus und die Aufständischen kontrollieren fast 75 % der ländlichen Gebiete Afghanistans darunter 69 Distrikte.

Dem US-Präsidenten Barack Obama sind für die Überprüfung seiner Afghanistanstrategie nur noch weniger als 8 Wochen verblieben. Den US-Besatzern und ihren NATO-Verbündeten ist es nicht gelungen, die afghanischen Aufständischen aus ihren Hochburgen zu vertreiben. Im Gegenteil: Der Aufstand weitet sich in allen Provinzen massiv aus und die Aufständischen kontrollieren fast 75 % der ländlichen Gebiete Afghanistans darunter 69 Distrikte.

Neun Jahre nach dem Angriff auf Afghanistan (7.Oktober 2001) suchen die USA und ihre Verbündeten nun eine Möglichkeit, das Land zu verlassen. Barack Obamas Strategie, weitere Truppen, nämlich zusätzliche 30 000 Soldat­Innen nach Afghanistan zu schicken, mit dem Ziel der Vernichtung des Aufstands, kam zu spät.

Neun Jahre sind seit dem Beginn des Krieges in Afghanistan vergangen, und das Yankee-Militär schaffte es nicht, eine Regierung in Kabul zu installieren, die nach dem Abzug der Besatzungstruppen, wenigstens eine kurze Weile das Land regieren kann.
Trotz aller dieser Misserfolge sprechen die schamlosen Generäle von David D. McKiernan bis Stanley A. McChrystal und jetzt David Petraeus, Befehlshaber von 152 000 NATO- und US-Besatzungstruppen, von Bodengewinnen und vom Gewinnen der „hearts and minds“ der Afghanen.

Die Fakten auf den Schlachtfeldern sehen anders aus. Der Angriff auf Marja (Provinz Helmand) Anfang des Jahres ist völlig gescheitert, und die aktuelle Operation Dragon Strike in Kandahar hat bis jetzt nichts gebracht – außer mehr tote Soldat­Innen und Zivilist­Innen, allein 18 US-Soldaten innerhalb von drei Tagen Mitte Oktober.

Die schwache Kabuler Regierung kann nicht ohne bleibende Unterstützung der USA überleben. Die Regierung Karzai erreicht nur sehr marginale Fortschritte bei der Bekämpfung der Korruption und der Schaffung von Sicherheit oder bei den Dienstleistungen und der wirtschaftlichen Hilfe für die Menschen. Die Regierung ist immer noch eine Mischung aus Exil-Afghanen, Warlords und Drogenbaronen, die schon jetzt ihre Familien und Besitztümer in den sicheren Westen oder die Golfstaaten geschafft haben, um nicht das Schicksal der Südvietnamesische Regierung zu erleiden.

Die USA arbeiten mit treuen Verbündeten wie Großbritannien, um die Dinge einigermaßen zusammenzuhalten und den Einfluss der Aufständischen zu begrenzen, und sie konzentrieren sich nur auf die wichtigsten Ballungszentren.
Betrug bei den Parlamentswahlen
Die Wahlen für das Unterhaus (Wolesi Jirga) des Parlaments am 18.09.2010, die ein Stück mehr Pluralität nach Afghanistan bringen sollte, muss als gescheitert gelten.

Zum einen hat die Kontrolle der Aufständischen über die ländlichen Gebiete es unmöglich gemacht, dort Wahllokale zu errichten. Zum anderen gab es nur verzweifelte Versuche von wenigen internationalen Beobachtern, die Wahlen wenigsten in den großen Städten wie Kabul gerechter zu gestalten. Aber diese Versuche wurden von den zentralen und lokalen Autoritäten, wie auch von Karzai und anderen Mitgliedern der Regierung und von der US-Botschaft und der UNAMA-Spitze massiv unterlaufen. Die afghanischen und internationalen Wahlbeobachter­Innen waren einer desaströsen Logistik ausgeliefert und bewegten sich ohne jeglichen Schutz.

Neben den traditionellen Formen der Manipulation durch Bestechung kam es zu Bedrohungen bis hin zur Tötung einzelner Kandidat­en oder deren Familienangehörigen. Solche Vorkommnisse gab es überall in Afghanistan. Die Anrainerstaaten taten ihr Übriges, um die Situation schwieriger zu gestalten. Massive Propaganda – wie etwa aus dem Iran – gegen die USA und die gesamten NATO-Staaten waren gang und gäbe. Pakistan in den südöstlichen Regionen und Usbekistan sowie die Türkei in den nördlichen Regionen waren daran beteiligt, die Wahlen in ihrem Sinne zu beeinflussen.Viel Geld wurde aufgewendet, um die eigenen Kandidaten zu positionieren. Half dies nicht, wurde zu den unterschiedlichen Mitteln der Einschüchterung gegriffen.
Bei den Wahlveranstaltungen waren sie durch aggressives Auftreten, manchmal sogar durch direkte Bedrohung der oppositionellen Kandidaten aufgefallen. Die Gouverneure und Milizenchefs sollten die Mehrheit für Karzais Anhängerschaft garantieren.
Nach offiziellen Angaben beteiligten sich ca. 4 Millionen von 12,7 Millionen Wahlberichtigen an den Wahlen. Aber eine Studie der Unabhängigen Afghanischen Journalisten fand heraus, dass die Beteiligung unter 1 Million lag. Um ein Beispiel zu nennen: In der südlichen Provinz Ghasni gab es von 300 000 Wahlberechtigten nur 3 gültige Stimmen und die waren von Polizisten aus einem Check Point.
Karzais hoher Friedensrat
Friedensrat, das klingt gut. Nach Versöhnung, Beschlüssen, Fortschritt. Am 7.Oktober 2010 exakt am neunten Jahrestag des US-Angriffs eröffnete Karzai den Friedensrat mit 70 seiner engsten Anhänger unter Führung von Bruhanudin Rabbani, dem Warlord und Anführer der Nordallianz, der für den Tod von ca. 70 000 Afghan­Innen zwischen 1992-1996 in Kabul mitverantwortlich ist. Karzai erklärte, dass sein Rat „eine Wende“ schaffen solle und Aufständische zur Niederlegung ihrer Waffen bewegen solle.
Die Besetzung des Rats mit Kriegsverbrechern und Kriminellen zeigt nochmal, dass Karzai und seine westlichen Verbündeten kein echtes Interesse an einem Ende der dreißig Jahre andauenden Misere haben. Voller Emotionen weinte Karzai sogar um die Zukunft seines einzigen dreijährigen Sohnes und sagte: Beim Abzug der ausländischen Truppen und dem Sturz seiner Regierung werden sein Sohn und seine Famille ins Ausland gehen, wo sie von ihrer Kultur entfremdet werden.
Karzai ist es anscheinend gleichgültig, dass täglich ca. 10 Zivilist­Innen durch westliche Soldaten oder Angriffe der Aufständischen getötet werden, dass 5 Millionen Kinder keine Möglichkeit zum Schulbesuch haben, dass 80 % der Bevölkerung unter chronischem Nahrungsmangel und 60 % unter Depressionen leidet.
Gespräche mit Aufständischen
Angesicht der aussichtslosen Lage Afghanistans und der Ablehnung des Kriegs in der amerikanischen Bevölkerung (laut einer neuen Umfrage von CNN sind 60 % dagegen) versucht das Pentagon, insbesondere General David Petraeus seit seiner Ernennung zum Oberbefehlshaber der US- und NATO-Soldaten in Afghanistan am 6.Juli dieses Jahres, den Eindruck zu erwecken, dass die Aufständischen genug geschwächt und verhandlungsbereit seien.

Trotz der klaren Position der Aufständischen, nicht ohne bedingungslosen Abzug aller ausländischen Soldaten verhandeln zu wollen, n
ützt der General jede Gelegenheit, von Verhandlungen der Taliban und andrer Gruppen mit der Kabuler Regierung zu reden. Zuletzt hat er sogar behauptet, Anführer der Aufständischen nach Kabul gebracht zu haben, um mit Karzai zu verhandeln. Eine solche Behauptung kann nur mit den kommenden Kongresswahlen im November und der knappen Zeit für die Überprüfung der Kriegsstrategie zusammenhängen, aber in Afghanistan glaubt niemand daran, dass eine Versöhnung zwischen den erstarkten Aufständischen und der schwachen Kabuler Regierung möglich wäre.
Plan „B“
Schon jetzt fordern die konservativen Kreise um Blackwill (ehemaliger Berater G. Bush I und Botschafter in Indien bis 2001), Peter Galbraith (ehemaliger Botschafter in Kroatien und UNAMA Stellvertreter in Kabul bis August 2009) unterstützt von IISS (International Institute for Strategic Studies in London), dass die US-Streitkräfte die historischen Hochburgen der aufständischen Paschtunen im Süden und Osten räumen sollen und alle Truppen in nördliche, zentrale und westliche Regionen verlegen sollen, die von nicht-paschtunischen Stämmen bewohnt sind bzw. wo Paschtunen als Minderheit leben.

Blackwill schlägt den USA vor, die Warlords der ethnischen Minderheiten wie Tadschiken, Usbeken und Hazara, als einen Anti-Taliban-Widerstand, anstelle von Karzai zu unterstützen. Und die US-Streitkräfte sollen von Norden aus unter massiver Anwendung von Luftangriffen und Spezialeinheiten jeden Versuch der Aufständischen im Süden im Keim zu ersticken, wenn sie dort eine stabile Verwaltungs- und Regierungsform bilden wollen.

Blackwill räumt ein, dass sein Plan es Washington erlauben würde, sich auf vier entscheidendere Fragen nationaler Interessen zu konzentrieren: den Aufstieg der Weltmacht China, das iranische Atomprogramm, den nuklearen Terrorismus und die Zukunft des Iraks. Ohne eine strategische Niederlage zu erleiden, wären die USA dann in der Lage, sich aus dem Krieg zu befreien, während der Rückgang der Zahlen getöteter US-Soldaten die Akzeptanz in der US-Bevölkerung steigern würde, sodass eine langfristige Truppenpräsenz (wie im Irak) auf der Ebene der 50 000 möglich wäre.

Die Menschen in Afghanistan sind über solche Meldungen sehr beunruhigt. Sie wollen nicht, dass ihr Land wegen der strategischen Interessen des Westens in Nord und Süd aufgeteilt wird. Ein baldiger Abzug der Besatzungstruppen ohne kolonialistische Hinterlassenschaften ist nach verschiedenen Untersuchungen und Umfragen der Wunsch der Mehrheit der Bevölkerung.

Artikel teilen
Kommentare auf Facebook
Zur Startseite