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Länder

Eine Schlacht ist verloren, der Kampfgeist jedoch ungebrochen

Von T. Catté und P. Vandevoorde | 01.12.2010

Die in Frankreich von Streiks und Demonstrationen geprägte Phase der Bewegung ist vorbei, aber diese Mobilisierungen werden Spuren hinterlassen.

Die in Frankreich von Streiks und Demonstrationen geprägte Phase der Bewegung ist vorbei, aber diese Mobilisierungen werden Spuren hinterlassen.

Am Samstag, den 6. November beteiligten sich trotz des schlechten Wetters noch mal eine Million Menschen an den Demonstrationen gegen die Rentenreform. Während Regierung und Medien lauthals Sarkozys Sieg verkünden, hat die Gewerkschaftskoordination für den 23. November zu einem weiteren Aktionstag, jedoch nicht zu Streiks aufgerufen.

Diese Protestbewegung war eine der längsten und massivsten in der Geschichte des Landes und wurde von einer bisher einmaligen Gewerkschaftskoordination geführt, die bis zuletzt gehalten hat. Weite Teile der Bevölkerung unterstützten die Bewegung; die meisten Wirtschaftssektoren, darunter mehr denn je die Privatwirtschaft, alle Generationen und alle Berufszweige beteiligten sich. Durch den enormen Schwung kam es auch zu keinen Berührungsängs­ten zwischen den radikaleren und den behutsameren Kräften. Und Regierung und Medien ist es auch nicht gelungen, die Proteste zu diskreditieren, auch wenn sie sich über die Teilnahme von „Randalierern“ echauffiert und die Streikenden beschuldigt haben, die Schüler zu „manipulieren“. Dadurch hat im Gegenteil eher die Abscheu vor der gnadenlosen, gewalttätigen und hinterhältigen Repression zugenommen.

Andererseits haben nach der endgültigen Abstimmung über das Gesetz die gemäßigten Gewerkschaften dafür plädiert, sich neuen Themen zuzuwenden, die PS hat auf die Wahlen 2012 vertröstet und die Medien haben sich in Spekulationen darüber ergangen, wie wohl der künftige Premierminister heißt. Aber in der Bewegung ist eine solch tiefe Wut zum Ausdruck gekommen, dass in ihrem Gefolge sich an allen Ecken und Enden Streiks und Auseinandersetzungen unterschiedlichster Art zur Beschwerlichkeit und anderen Arbeitsbedingungen, sowie zu Löhnen, Akkordsätzen usw. entwickeln, so z. B. bei der Müllabfuhr. Bezeichnend ist, dass an der renommierten Pariser Hochschule ENS die Studierenden und das Personal in Streik getreten sind, um die Festeinstellung der vielen prekär beschäftigten Arbeiter­Innen zu erreichen.
Erste Schlussfolgerungen
Die Einheit der Gewerkschaften hat gehalten. Dies ist auf breiter Ebene dem Ansehen der Gewerkschaftsführungen zugeschrieben worden, die sich nicht kompromittiert haben, auch wenn die kämpferischen Aktivist­Innen und Strömungen wissen, dass sich die Regierung bei ihnen dafür bedanken kann, dass sie zu keinem Moment zur völligen Blockade des Landes aufgerufen oder die Bewegung auf die Forderung nach Rücknahme des Rentengesetzes orientiert haben.

Wir haben eine seit mindestens 15 Jahren beispiellose Mobilisierung erlebt, aber keinen Generalstreik. Dafür gab es mehrere Gründe: einerseits der kumulative Effekt der erlittenen Niederlagen, besonders, dass die Entlassungen und Beschneidungen des Streikrechts nicht verhindert werden konnten, die die Bourgeoisie in den Grundschulen, dem Transportsektor und den Atomkraftwerken durchgesetzt hat. Und auch die zunehmende geografische und verwaltungstechnische Zersplitterung der Belegschaften; man kann immer weniger auf die großen Gewerkschaftsbataillone zählen, wie früher beispielsweise in der Automobilindustrie, die fähig waren, das ganze Land mit in den Streik zu ziehen. Hingegen gibt es neue Methoden, die Wirtschaft zu blockieren, wie die Blockaden der Einkaufszentralen durch die branchenübergreifenden Kollektive gezeigt haben.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Struktur der Klassenorganisationen. Auch wenn die radikale Linke eindeutig stärker als in vielen anderen Ländern ist, kann sie sich doch noch nicht gegen die Bürokratie der acht Gewerkschaftsverbände durchsetzen. Somit kam auch das landesweite Treffen von etwa zwanzig branchenübergreifenden (mehr oder weniger repräsentativen) lokalen Versammlungen, das am 6. November in Tours stattfand, zu spät, als nämlich bereits die Bewegung am Abflauen war. Es blieb ohne große Unterstützung und daher leider weitgehend folgenlos.

Es ist bezeichnend, dass die Blockade der belgischen Kraftstoffdepots durch den belgischen Gewerkschaftsverband ein tolles Echo gefunden hat. Das Bewusstsein, dass eine koordinierte Gegenwehr auf europäischer Ebene stattfinden muss, nimmt zu. Wer hätte noch vor nur zwei Monaten geglaubt, dass in London 50 000 Student­Innen auf die Straße gehen und singen: „Tous ensemble, tous ensemble, General strike! [Alle zusammen, Generalstreik!]“ Das erforderliche Kräfteverhältnis, um den Klassenfeind zu einem Rückzug zu zwingen, ist noch nicht erreicht, aber weitere Angriffe stehen bevor: Zerschlagung der sozialen Rechte, des öffentlichen Gesundheitswesens und der sozialen Sicherung oder Stellenstreichungen im Erziehungs- und Bildungswesen – dies sieht die Agenda der neuen und auf Konfrontation gerichteten Regierung Fillon vor. Nachdem die Überläufer von der PS wie Außenminis­ter Kouchner zurückgetreten worden sind, gibt es nur noch ein Ziel: die Präsidentschaftswahlen von 2012 gewinnen, indem man sich weit nach rechts bewegt und den Fremdenhasser gibt, um dem Front national das Wasser abzugraben. Wir sind in Frankreich noch nicht am Ende der Klassenauseinandersetzungen.

Übers. MiWe

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