TEILEN
Länder

Zorn und Zittern in der arabischen Welt

Von Politisches Sekretariat des RSB | 01.02.2011

Nachdem das schwächste Glied in der Kette der arabischen Diktaturen gebrochen ist, hüllen sich die Regierungen der Region zunächst in Schweigen. Eine völlig gegenläufige Ausnahme ist der libysche Staatschef Gaddafi, der den Sturz Ben Alis im Nachbarland offen verurteilt hat. Gaddafi hat offenbar als Einziger nicht erkannt, was in der gesamten Region vor sich geht: ein allgemeiner Stimmungswandel.

Nachdem das schwächste Glied in der Kette der arabischen Diktaturen gebrochen ist, hüllen sich die Regierungen der Region zunächst in Schweigen. Eine völlig gegenläufige Ausnahme ist der libysche Staatschef Gaddafi, der den Sturz Ben Alis im Nachbarland offen verurteilt hat. Gaddafi hat offenbar als Einziger nicht erkannt, was in der gesamten Region vor sich geht: ein allgemeiner Stimmungswandel.

Die Riege der Diktatoren und Autokraten von Marokko bis Oman weiß sehr wohl, dass die Ursachen für die tunesische Revolte sozialer Natur sind. Sie geben das zu, wenn sie den Generalsekretär der Arabischen Liga Amr Musa verlauten lassen: „Die arabische Seele wird von Elend, Arbeitslosigkeit und allgemeiner Rezession gebrochen“ – fünf Tage nach der Flucht Ben Alis nach Saudi-Arabien.
Ausweitung der Proteste
Jedoch: „gebrochen“ ist die „arabische Seele“ keineswegs: In ihr schwelt allgemeiner Zorn. Dieser Zorn hat sich bereits in einer Reihe von dramatischen Selbstverbrennungen in Algerien und Ägypten einen Ausweg gesucht. Wie der panarabische TV-Sender Al-Djazeera berichtete, wird in beiden Ländern die tunesische Revolte von den Repressionsapparaten genauestens analysiert.
Den Selbstverbrennungen folgen Demonstrationen, ebenso im Jemen. In all diesen Ländern ist eine oppositionelle öffentliche Meinungsäußerung mit Lebensgefahr verbunden und im Alltag praktisch unbekannt. Doch die tunesischen Ereignisse zeigen, dass sich eine Protestbewegung kaum aufhalten lässt, wenn sie einmal anrollt. Allein die relativ anonyme und wenig aufwändige Nutzung von Onlinediensten – facebook und twitter – sorgt hier für Informationsübertragung und Absprachen in Echtzeit.

Die autoritären Regierungen scheinen momentan zu versuchen, sich den sozialen Frieden zu erkaufen. So führte der syrische Staat kurz nach dem Sturz Ben Alis zum ersten Mal in der Geschichte ein Arbeitslosengeld ein (16-70 US-$/Monat), der Heizkostenzuschuss für Staatsangestellte wurde verdreifacht, Heizöl stärker subventioniert. Ähnliches unternehmen die Herrschenden in Algerien und die reichen Öl-Staaten Saudi-Arabien und Kuwait zahlen je 500 Mio. US-$ in einen neuen Sonderfonds, der die Wirtschaft der Region ankurbeln soll.
Zwei, drei, viele Tunesien?
Die Herrschenden können nur hoffen, dass es ihnen auf diese Weise gelingt, eine Ausweitung des demokratischen Prozesses aufzuhalten oder zu verzögern. Wächst der Sturz des Regimes, diese politische Revolution, in eine soziale Revolution hinein (Enteignung des Kapitals und Durchsetzung gesellschaftlicher Planung) oder folgt auf Tunesien ein zweiter oder dritter Staat, dürfte das das Gesicht des Nahen Ostens und damit die weltweite Klassenlage nachhaltig verändern. Vor allem würden in diesem Fall auch die Karten im israelisch-palästinensischen Konflikt neu gemischt werden. Denn die israelische Besatzung Palästinas und das Apartheidsregime stützen sich ganz wesentlich auf die Kollaboration pro-westlicher Diktaturen der Region. Allein ein revolutionäres Ägypten würde sofort die umstrittene Grenze zum Gazastreifen öffnen. Eine Revolution in einem Land an der Peripherie des Imperialismus kann nicht ohne Auswirkungen auf die Metropolen bleiben.

Artikel teilen
Kommentare auf Facebook
Zur Startseite