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Länder

Die Konterrevolution marschiert …

Von B.B. | 01.04.2011

Der revolutionäre Prozess in den arabischen Ländern wird nicht einen unaufhaltsamen, geradlinigen Aufschwungs nehmen. Jede Revolution muss mit vorübergehenden, ernsthaften Rückschlägen rechnen.

Der revolutionäre Prozess in den arabischen Ländern wird nicht einen unaufhaltsamen, geradlinigen Aufschwungs nehmen. Jede Revolution muss mit vorübergehenden, ernsthaften Rückschlägen rechnen.

Das wichtigste Merkmal der arabischen Revolution ist nicht, dass sie neue Medien nutzt, sondern dass es eine Revolution der Städte ist. Deren Klassen und Schichten sind vielfältig:  die bürgerliche Intelligenz und ihr proletarisiertes, erwerbsloses Gegenstück, das sehr zahlreiche und vielfältige Kleinbürgertum, die breite Schicht der Erwerbslosen, die Massen der städtischen Armut – sie alle kämpften gemeinsam in den Straßen gegen die Diktatur.  Den Ausschlag zum Sturz der Regimes gab die Mobilisierung der Arbeiter­Innenklasse. Während selbst die Bourgeoisie in Tunesien gegen Ben Ali agierte, hielt in Ägypten ein erheblicher Teil bis zum Schluss zu Mubarak. Im Unterschied zur Arbeiter­Innenklasse ist die Bourgeoisie nicht an einer Vertiefung der Revolution zur Lösung ihrer demokratischen Aufgaben (siehe Kasten) interessiert. Nur diese beiden Hauptklassen können aufgrund ihrer sozialen Stellung eine selbstständige politische Rolle spielen. Die erste Streikwelle für höhere Löhne – eine Folge der freien Organisationsmöglichkeiten der Gewerkschaften – verweist auf den bekannten Klassengegensatz.
Kampf der Arbeiter­Innenklasse
In Bahrain und Libyen wohnen noch viel mehr Menschen in Städten (Libyen 85 % bei 6,5 Millionen und in Bahrain 90 % bei 1 Mio. Bewohner­Innen) als in Ägypten (42 %). In Bahrain sichert die Öl- und Gasproduktion zwar die Staatseinnahmen, erbringt aber nur 12 % des Bruttoinlandsproduktes. Über die Hälfte der Lohnabhängigen arbeitet in der Industrie einschließlich Schiffbau, Aluminiumherstellung und Textilproduktion. Rund 40 % von ihnen sind Migrant­Innen. Auch in Libyen existiert neben der vorherrschenden Ölförderung und -verarbeitung eine nennenswerte Textil- und Nahrungsmittelindustrie. Bei der politischen Revolution in Bahrain handelt es sich nicht einfach um einen „religiösen“ Konflikt zwischen den sunnitischen Herrschern und der angeblich vom Iran gesteuerten schiitischen Mehrheit, sondern um den Kampf der überwiegend (schiitischen) Arbeiter­Innenklasse, die andere Schichten anführt, gegen die (sunnitische) Bourgeoisie.
Arbeiter­Innen auf der Flucht
In Libyen stützt sich die Opposition auf alle Schichten der Bevölkerung, ihre Hochburg in Tripolis liegt aber nicht von ungefähr in den Arbeiter­Innenvierteln. Jedoch verfügt auch das Regime Gaddafis über eine eigene soziale Basis.
In Libyen gab es fast 1,5 Millionen Arbeiter­Innen aus Ägypten und ca. 50 000 aus Tunesien. Als mögliche „Botschafter“ der tunesischen und ägyptischen Revolution in Libyen werden sie  von dem Regime Gaddafis besonders unterdrückt. Bis zum 20. März flohen insgesamt 323 594 Menschen aus Libyen, davon 19 000 Tunesier­Innen, 75 000 Ägypter­Innen und 40 000 Libyer­Innen.
Interessen der Großmächte
Würde der Imperialismus demokratische Ziele verfolgen, so müsste er ein Flugverbot über Saudi-Arabien und die VAR verhängen, die mit 2000 Mann in Bahrain einmarschierten, um die Herrschaft der dortigen Diktatur zu retten. Tatsächlich erfolgte die Invasion  unter Anleitung der USA, die in Bahrain (Stützpunkt der 5. US-Flotte) 6000 Soldat­Innen stationiert haben. Die revolutionäre Welle bedroht fast alle Regimes der arabischen Länder. Von Bahrain könnte sie auf die saudiarabische Erdölprovinz Hasa übergreifen und muss unbedingt gestoppt werden, um weiterhin die Ölreserven zu kontrollieren.

In Libyen, in Syrien und im Iran sind jedoch Diktaturen an der Macht, die nicht nur ums eigene Überleben kämpfen, sondern die auch partiell im Widerspruch zum Imperialismus stehen. Versuchen die Großmächte alles, um z. B. die Diktaturen in Bahrain, Katar, Kuwait, Saudi-Arabien usw. zu stützen, so werden sie auch alles unternehmen, um die Regimes in Libyen, Syrien und im Iran zu stürzen – und damit den revolutionären Prozess in diesen Ländern für ihre eigenen Interessen auszunutzen d. h. abzuwürgen. 
Zwei Feinde
Die libysche Opposition sieht sich zwei Gegnern gegenüber: Gaddafi will ihr sofort den Hals umdrehen, der Imperialismus will sie langsam vergiften. Um den unmittelbaren Gegner Gaddafi zu entwaffnen, ist es das Recht der Opposition, Waffenlieferungen und Luftunterstützung der Großmächte anzunehmen. Würde sie das nicht tun, würde sie von Gaddafis Truppen abgeschlachtet. Schließlich hat Lenin auch die Hilfe des deutschen Imperialismus genutzt, um nach Russland zu gelangen – wahrte dabei aber seine politische Unabhängigkeit. Diese Aufgabe Revolution dürfte in Libyen sehr schwierig werden, weil es dort keine revolutionäre, marxistische Partei gibt und sich ein Teil der Arbeiter­Innenklasse auf der Flucht befindet.

Doch die arabische Revolution ist keine nationale Angelegenheit. Der Kampf für die Unabhängigkeit vom Imperialismus wird nicht in erster Linie vom Ausgang des Bürgerkriegs in Libyen entschieden, sondern von der Entwicklung der arabischen Revolution in ihrer Gesamtheit.
Verschiedene Taktiken
Die Taktik der Revolutionär­Innen in Libyen oder Bahrain kann nicht die gleiche Taktik wie die der revolutionären Marxist­Innen in England oder in Deutschland sein. Hier steht der Hauptfeind im eigenen Land, der gerade durch sein Sprachrohr Bundespräsident Wulff den Diktatoren von Kuwait und Katar seine Solidarität versicherte. Dass Merkel und Westerwelle nicht militärisch in Libyen eingreifen, ist nicht etwa dem mangelnden Willen zur demokratischen Bombardierung geschuldet, sondern den anstehenden Landtagswahlen. Unsere Linie muss sein: uneingeschränktes Ja zur arabischen Revolution und klares Nein zur Intervention des Imperialismus!

 

Ölreserven
Libyen verfügt über die neuntgrößten Ölreserven weltweit. Es gilt als besonders hochwertig. Für die EU ist Libyen ein wichtiger Gaslieferant.
Permanente Revolution
Zu den klassischen demokratischen Aufgaben der bürgerlich-demokratischen Revolution gehören z. B. die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung, die Agrarrevolution, die Befreiung der Frau, die Alphabetisierung, die Unabhängigkeit von den Großmächten usw. Sie können in der Epoche des Imperialismus nur von der Arbeiter­Innenklasse gelöst werden, die in diesen Kampf ihre eigenen sozialen, weitergehenden
Forderungen einbringt. Die politische wird zur sozialen und damit zur permanenten Revolution.

 

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