TEILEN
Länder

Palästina: Brücken bauen – statt Mauern errichten

Von Tim Nießner | 01.06.2011

Die internationale Solidarität ist seit jeher ein wichtiges Aktionsfeld für linke Kräfte. Über Ostern hat eine Gruppe Aktivist­Innen aus der BRD an einem Seminar des Alternative Information Center im Westjordanland teilgenommen. Die Erfahrungen daraus sollen jetzt genutzt werden, um die internationale Solidaritätsbewegung auch in der BRD weiter auszubauen.

Die internationale Solidarität ist seit jeher ein wichtiges Aktionsfeld für linke Kräfte. Über Ostern hat eine Gruppe Aktivist­Innen aus der BRD an einem Seminar des Alternative Information Center im Westjordanland teilgenommen. Die Erfahrungen daraus sollen jetzt genutzt werden, um die internationale Solidaritätsbewegung auch in der BRD weiter auszubauen.

Trotz der Revolutionen in Tunesien und Ägypten sowie den Massenprotesten gegen die Regime in vielen weiteren arabischen Ländern, schien es, zur Verwunderung insbesondere vieler westlicher Aktivist­Innen, in den Palästinenser-Innengebieten in den letzten Monaten ruhig zu bleiben. Haben aber nicht gerade die Palästinenser­Innen, die seit nunmehr 63 Jahren unter Vertreibung, Kolonialisierung, Besatzung und einem permanenten Kriegszustand zu leiden haben, allen Grund auf die Barrikade zu gehen? Um Internationalist­Innen aus den verschiedensten Ländern der ganzen Welt die Möglichkeit zu bieten, die politische Entwicklung in dieser Region unabhängig von den Mainstreammedien besser einschätzen zu können und mit Menschen vor Ort Erfahrungen auszutauschen, bietet das Alternative Information Center (AIC) seit einiger Zeit Seminare speziell für internationale Aktivist­Innen zum palästinensisch-israelischen Konflikt im Westjordanland an. In der Woche über Ostern fand das 8. Seminar unter dem Namen „Brücken statt Mauern“ in den Räumlichkeiten des AIC in Beit Sahour, einer Ortschaft, die zu Bethlehem gehört, statt.

Das AIC definiert sich als eine internationalistische, fortschrittliche Organisation, in der sich linke palästinensische und israelische Aktivist­Innen, wie z. B. Michael Warschawski, zusammengeschlossen haben. Der Schwerpunkt ihrer politischen Arbeit liegt darin, Informationen und kritische Analysen der palästinensischen und israelischen Gesellschaft sowie des Konfliktes zu verbreiten, campaigning zu betreiben und den Basisaktivismus zu fördern. Die Aktivist­Innen des AIC setzen sich dabei für volle individuelle und kollektive soziale, ökonomische, politische und geschlechtliche Gleichberechtigung ein und weisen aufgrund dessen die Philosophie der Separation entschieden zurück. Diese Politik der weiteren Teilung der ansässigen Bevölkerung anhand von ethnischen und religiösen Linien, wie sie z. B. durch den Bau der Apartheidsmauer im Westjordanland durch den israelischen Staat deutlich wird, und Konzepte wie die sog. „Zwei-Staaten-Lösung“, wie sie von der im Westjordanland regierenden Fatah und der UN favorisiert wird, führen nur zu weiteren ethnischen Säuberungen und können niemals zur Lösung des Konfliktes beitragen. Die Separation ruft immer mehr Ungerechtigkeiten hervor und fördert somit Leid und Hass.

Die wichtigste Aufgabe, um ein friedliches miteinander der Menschen in der Region zu gewährleisten, ist es daher, eine gerechte Lösung des schon seit Jahrhunderten andauernden und seit der Gründung des Staates Israel 1948 eskalierten, kolonialen Konfliktes in Palästina zu finden. Das AIC setzt sich deshalb für einen gemeinsamen Staat von Palästinenser­Innen und Israelis ein, in dem alle Menschen gemeinsam und gleichberechtigt leben können, unabhängig von religiöser oder ethnischer Zugehörigkeit. Eine Vorstellung, die mit der zionistischen Idee eines jüdischen Staates, in dem Muslime, palästinensische Christ­Innen und selbst arabische bzw. afrikanische Jüd­Innen Menschen zweiter Klasse sind, nicht vereinbar ist.

Eine Ebene des Kampfes um eine solche Lösung ist das zionistische israelische Besatzungsregime auch auf internationaler Ebene anzugreifen und politisch unter Druck zu setzen. Aus dem Bewusstsein heraus, dass lokale Kämpfe praktisch und analytisch mit den sozialen Bewegungen weltweit, und insbesondere der „global justice“-Bewegung, verknüpft sein müssen, um erfolgreich zu sein, hat sich das AIC auf diese Art und Weise den Konflikt anzugehen, konzentriert. Die internationale Gemeinschaft, d. h. die imperialistischen Mächte (USA/EU) und ihre Institutionen, wie die UN und die NATO, sind schließlich Teil des Problems und daher muss der Kampf für eine gerechte Lösung des Konfliktes auch international geführt werden. 

Dazu braucht es eine internationale Solidaritätsbewegung, die insbesondere im Herzen der Bestie, wie Che Guevara die imperialistischen Länder einmal nannte, der rassistischen und kolonialistischen Propaganda des Zionismus entgegentritt und gegen die Unterstützung des Regimes durch die EU und die USA, z. B. in Form von Waffenlieferungen, Freihandelsabkommen und massiver wirtschaftlicher sowie politischer Unterstützung, vorgeht. Insbesondere nach den Angriffen auf die Bevölkerung von Gaza durch das israelische Militär zum Jahreswechsel 2008/2009 und den Angriff auf die Gaza-Solidaritätsflottille ist diese internationale Bewegung in vielen Ländern im Aufwind. Da auch in der BRD immer mehr Menschen sich nun gegen die rassistische kriegerische Politik des israelischen Staates wenden, entschieden sich Aktivist­Innen aus verschiedenen hiesigen linken Zusammenhängen, auch zwei Mitglieder des RSB/IV.Internationale, über Ostern am 8. AIC-Seminar im Westjordanland teilzunehmen. Ziel ist es mit den dort gesammelten Erfahrungen sich auch hier gegen die Kollaboration der deutschen Regierung und der Mainstreammedien mit der Apartheidpolitik des Staates Israel  besser einsetzen zu können. In der Woche vom 19. bis zum 26. April konnten sie im Rahmen des Seminars über die historischen Grundlagen des Konfliktes, die Unterstützung des Regimes durch den Imperialismus und die Perspektiven, sowie die Schwierigkeiten des gemeinsamen Widerstands von Israelis und Palästinenser­Innen dagegen, debattieren. Neben Vorträgen über palästinensische Flüchtlinge, Frauen in der palästinischen Gesellschaft, palästinische Gefangene in Israel, Judaisierung von Jerusalem etc. fanden auch Exkursionen u. a. nach Bethlehem, Jerusalem, Yaffa, Ramallah und Hebron statt, sodass vor Ort mit palästinensischen und israelischen Aktivist­Innen, mit palästinensischen Binnenflüchtlingen, sowie mit Bewohner­Innen des besetzten Westjordanland sich über die alltäglichen Probleme mit dem Besatzungsregime, der damit verbundenen Zerstörung der palästinensischen Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft ausgetauscht werden konnte.
Auch in Zukunft wird das AIC weitere Seminare zu dem Thema anbieten. Wer Interesse an Informationen über den Konflikt und die soziale Bewegung dort haben möchte oder vielleicht einmal an einem solchen Seminar teilnehmen möchte, kann auf www.alternativenews.org fündig werden. 

Zur Zeit organisieren verschiedene Ortsgruppen des RSB/IV. Internationale Veranstaltungen mit den beiden Aktivisten, die an dem Seminar teilgenommen haben. U.a. wird am 28. Juni in Leipzig eine solche Veranstaltung stattfinden.  Wer Interesse an dem Thema hat und eine
derartige Veranstaltung in seinem/ihrem Ort durchführen möchte, kann sich unter buero@rsb4.de melden.

 

Netanyahu bleibt hart
Sowohl die US-Regierung wie auch die EU wollen sich angesichts des Umbruchs in der arabischen Welt gegenüber den Palästinenser­Innen etwas flexibler zeigen (siehe dazu auch das Interview auf den beiden folgenden Seiten). Bei der Rede Netanyahus vor dem amerikanischen Kongress wurde allerdings deutlich, dass sich die israelische Regierung so sicher fühlt, dass sie keine Zugeständnisse machen braucht. Und der US-Kongress feiert Netanyahu noch dafür. Es deutet deswegen einiges darauf hin, dass die Zeiten auch in Israel/Palästina in den kommenden Monaten heißer werden.
Die Lage wird sich vor allem dann dramatisch verändern, wenn der Stabilitätsfaktor für den Status quo im Norden von Israel, das Regime von Baschar al-Assad, stürzen sollte. Die israelische Regierung stützt diesen Diktator (der übrigens ohne die tatkräftige Mitwirkung iranischer Repressionskräfte wahrscheinlich schon gar nicht mehr an der Macht wäre).
Bisher ist die deutsche Solidaritätsbewegung mit der arabischen Revolution eher schwach. Sollte dieser Prozess aber die Palästinensergebiete erfassen – und das scheint nach der harten Ablehnung von nennenswerten Zugeständnissen durch die israelische Regierung nicht mehr sehr weit entfernt – dann wird die Bewegung gerade in Deutschland vor großen politischen und praktischen Herausforderungen stehen.

Daniel Berger

 

 

Artikel teilen
Kommentare auf Facebook
Ähnliche Artikel
Zur Startseite