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Aussöhnung von Fatah und Hamas: Möglichkeiten und Herausforderungen

Von Nassar Ibrahim / Connie Hackbarth | 01.06.2011

Nach vier Jahren Diskussion haben Fatah und Hamas ein Aussöhnungsabkommen vereinbart. Worin liegt die Bedeutung dieser Übereinkunft mit ihren Möglichkeiten und Herausforderungen, denen sie sich auf lokaler, regionaler und internationaler Ebene stellen muss?

Nach vier Jahren Diskussion haben Fatah und Hamas ein Aussöhnungsabkommen vereinbart. Worin liegt die Bedeutung dieser Übereinkunft mit ihren Möglichkeiten und Herausforderungen, denen sie sich auf lokaler, regionaler und internationaler Ebene stellen muss?

Mit Unterstützung der ägyptischen Übergangsregierung kamen die beiden Parteien überein, neben anderen Dingen eine technokratische Übergangsregierung zu bilden, Wahlen innerhalb eines Jahres abzuhalten und gemeinsam die Verantwortung für die palästinensischen Sicherheitskräfte zu übernehmen. Weiter wurde die Freilassung palästinensischer politischer Gefangener der palästinensischen Behörden in der West Bank und im Gazastreifen zugesagt.

Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) Muhammed Abbas und Hamasführer Khaled Mashal sowie Premierminister Ismail Haniyeh sind für die nächste Woche nach Kairo eingeladen, um die Übereinkunft abschließend zu unterzeichnen.

Zu diesem Versöhnungsabkommen werden viele Fragen gestellt, im Besonderen zu seiner Bedeutung, den Möglichkeiten und den Aufgaben, denen es sich zu stellen hat.

Warum wurde das Abkommen jetzt, nach so vielen Jahren, geschlossen? Zurzeit gibt es vier Hauptgründe.
Das Scheitern des Friedensprozesses
Am 27. November 2007 wurde die Gemeinsame Vereinbarung über Verhandlungen als Ergebnis der Konferenz von Annapolis (USA) von PA-Präsident Mahmoud Abbas, Israels Premierminister Ehud Olmert getroffen. Dies wurde unterstützt von den USA, dem Nahost-Quartett2 und weiteren internationalen Teilnehmern. Die Vereinbarung sollte den Weg zu direkten Verhandlungen mit dem Ziel einer Zweistaatenlösung weisen.

Die Annapolis-Konferenz war eine Reaktion der internationalen Gemeinschaft auf die Machtübernahme der Hamas im Juni 2007 im Gazastreifen, die dem Hamas-Sieg bei der Parlamentswahl 2006 folgte. Beabsichtigt war die Vorbereitung eines Rahmens für Verhandlungen und wirtschaftliche Unterstützung durch den Palästinensischen Reform- und Entwicklungsplan (PRDP) der Weltbank zur Bildung eines palästinensischen Staates.

Keine der politischen Versprechungen von Annapolis wurden eingelöst, und gleichzeitig betrieb Israel seine Siedlungsexpansion und Einschränkungen in der West Bank weiter. Die USA, die EU und das Quartett versuchten, das anschließende Einfrieren des politischen Prozesses mit Wirtschaftshilfe und Gesprächen über einen höheren Lebensstandard zu verschleiern; aber das funktionierte nicht. Das Veto der USA vom Februar 2011 gegen eine Resolution des UN-Sicherheitsrates, die die israelische Siedlungen im besetzten palästinensischen Territorium verurteilte – eine Resolution, die exakt der US-Politik entsprach – war eine bittere Enttäuschung für die Palästinenser.

Wird die internationale Gemeinschaft auf das Versöhnungsabkommen genauso antworten, wie sie es auf die demokratischen palästinensischen Wahlen vom Januar 2006 taten, nämlich mit Boykott und Verurteilungen? Das Weiße Haus verkündete, es unterstütze die palästinensische Versöhnung, die „den Friedensprozess vorantreibt“ und dass „jede palästinensische Regierung die Quartett-Prinzipien akzeptieren… und in Übereinstimmung mit unterzeichneten Vereinbarungen handeln muss“. Weiterhin kündigten verschiedene Kongressmitglieder ihre Haltung an, US-Hilfe für die PA zu stoppen, sollte eine Fatah-Hamas-Regierung zustande kommen.
Die laufenden arabischen Revolutionen
Die sich weiter entfaltenden politischen Revolutionen in der arabischen Welt, besonders in Ägypten, wirkten sich ebenfalls auf den Zeitpunkt des Zustandekommens der Versöhnung in der letzten Woche aus. Die Fatah erkannte, dass sich die Machtbalance im Mittleren Osten veränderte und dass das heutige Ägypten aus dem Schatten Mubaraks heraustritt und seine histo­rische Rolle als Führer der arabischen Welt nach innen und nach außen beansprucht. Es ist deshalb kein Zufall, dass Ägypten die Fatah-Hamas-Aussöhnung vermittelte; ein weiteres Anzeichen einer neuen ägyptischen Politik ist die Ankündigung der letzten Woche, dass es den Grenzübergang bei Rafah zwischen Ägypten und Gaza ständig offen lassen will und dass es eine Neubewertung des Preises für das an Israel verkaufte Gas vornehmen werde,
Druck der palästinensischen Straße auf Fatah und Hamas
Angesichts des Scheiterns des von den USA und dem Nahost-Quartett geführten Friedensprozesses und besonders des Optimismus und der Hoffnungen, die die arabischen Revolutionen hervorrufen, ist die palästinensische Öffentlichkeit mit der gegenwärtigen politischen Situation und der Politik der PA in Ramallah wie auch der Politik im Gazastreifen sehr unzufrieden. Dies trifft offensichtlich auch auf die Stimmung innerhalb der Fatah zu, wo zunehmend der Eindruck entsteht, dass die Organisation zurzeit einem Friedenswunder hinterherläuft, das die USA und das Quartett versprechen. Und die Hamas – nach vier Jahren Belagerung und nachlassender Unterstützung im Gazastreifen – steht unter Druck und wird dort zunehmend isoliert. Auch sie kann den Wechsel in der Region, insbesondere in Ägypten, nicht ignorieren.
Israelische Kompromisslosigkeit
Seit seinem 2. Amtsantritt als Premierminister im März 2009 hat Benjamin Netanjahu keine Zugeständnisse hinsichtlich des Friedensprozesses und Zusagen hinsichtlich palästinensischer Rechte gemacht. Gleichzeitig weigert er sich, den Siedlungsprozess zu stoppen, die Verhandlungen wieder aufzunehmen oder palästinensische Rechte zu sichern. Als Antwort auf die palästinensische Versöhnung erinnert sich Netanyahu plötzlich an den Friedensprozess, gegen den er aktiv gearbeitet hat, und verkündet: „Die PA muss wählen zwischen Frieden mit Israel oder mit Hamas“. Präsident Abbas konterte:“ Netanyahu muss wählen zwischen Frieden und Siedlungen.“
Auswirkung des Versöhnungsabkommen
Die Übereinkunft ist ein potenziell höchst positiver Fortschritt, auch wenn viele Fragen zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch offen sind. Es stellen sich primär zwei Fragen: Wird das Abkommen zu einer klaren Strategie und zu Mitwirkungsmöglichkeiten für die Palästinenser führen? Wenn diese Übereinkunft so etwas wie ein „Kompromisspapier“ wird, die das gegenwärtige niedrige Niveau von Erwartungen und Möglichkeiten des Friedensprozesses beibehält, dann wird sich eine weitere interne politische Krise einstellen, und zwar recht bald. Wie kann die Übereinkunft die nationalen palästinensischen Rechte fördern und gleichzeitig den Widerstand und die nationale Befreiungsbewegung st&a
uml;rken? Man wird also sehen, ob das Versöhnungsabkommen in eine positive Kraft für einen Wandel transformiert werden kann und nicht nur in eine Form von Protest gegen Israel und die USA.

Die Teilnahme progressiver Kräfte und Organisationen der zivilen Gesellschaft und sozialer Bewegungen ist jetzt besonders wichtig. Diese Gruppen können positive Beiträge für ein klares politisches Programm einbringen, das für weite Teile der palästinensischen Gesellschaft relevant ist. Wir hoffen, dass Fatah und Hamas nicht ihre Fehler wie beim Mekka-Abkommen wiederholen, bei dem keine weiteren Gruppen beteiligt worden waren und das zu einer bedeutungslosen Übereinkunft ohne Relevanz und letztlich ohne praktische Anwendung führte.
Reform der politischen palästinensischen Struktur
Die Beurteilung der Möglichkeiten des Versöhnungsabkommen wird dann leichter möglich sein, wenn wir sehen, ob die palästinensischen politischen Kräfte beabsichtigen, die politischen Strukturen zu reformieren. Diese Reform würde die gründliche Überprüfung der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und die bestehende Trennung zwischen politischen Gruppen und Kräften, die sich für Befreiung einsetzen, einschließen.

Wir glauben, dass die politischen palästinensischen Gruppierungen im Allgemeinen und Fatah und Hamas im Besonderen nun einen umfassenden gesellschaftlichen und politischen Prozess beginnen müssen, der sich zu allererst auf die Rechte der Palästinenser stützt. Diese neue Phase braucht eine neue politische Strategie, die auf einer kritischen Bilanz des Oslo-Prozesses und seiner fünfzehn vergeudeten Jahre basiert. Der vergangene Prozess ist gescheitert und diejenigen, die ihn fortsetzen wollen, sind völlig unrealistisch und gedankenlos und bedrohen jeden in der Region. Der Frieden kann gewonnen werden durch Fortsetzung des palästinensischen Widerstands und einer Verstärkung der palästi­nensischen Position durch eine Allianz mit den arabischen Völkern und nicht mit arabischen Regimes.

Der internationalen Gemeinschaft und insbesondere der EU und USA muss eine deutliche Botschaft überbracht werden, dass ihre ausschließliche und stillschweigende Unterstützung Israels und seiner kolonialistischen Politik keinen Frieden und keine Stabilität im Nahen Osten bringen wird, sondern nur weitere Kriege und Konflikte. Frieden muss notwendigerweise auf der Grundlage von Gerechtigkeit und einem Ende der Besatzung aufgebaut sein, und die Westmächte müssen deshalb gegen Israels Politik und des Aufbaus zahlreicher Hindernisse in dem Friedensprozess etwas unternehmen, besonders was Jerusalem anbelangt, die palästinensischen Flüchtlinge, die politischen Gefangenen, die Apartheidmauer, Checkpoints usw.

Ohne direktes Handeln in diesen Bereichen innerhalb eines internationalen Rechtsrahmens wird jedes Gespräch über Frieden von den Palästinensern und der arabischen Welt als Täuschung, als noch mehr Lügen, verstanden werden. Israeli wollen Frieden mit den Palästinensern – und keine schmeichelnden Statements von US-amerikanischen Kongressmitgliedern oder Gruppen in Europa oder Nordamerika – um in Frieden und Sicherheit zu leben, und zwar als integraler Teil des Nahen Ostens.
Frieden ist notwendig und – wie uns der arabische Nahe Osten zeigt – eine andere Welt ist möglich.

Übersetzung. W. Wiese

1    Connie Hackbarth ist Mitarbeiterin beim AIC (Alternative Information Center; Jerusalem / Bethlehem).
2    Haben die Rolle der Vermittler im Nahost-Konflikt: USA, Russland, EU und UN.

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