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Innenpolitik

Im Interesse der Umwelt und der Sicherheit: Enteignen und vergesellschaften!

Von Jakob Schäfer | 01.07.2011

Das sofortige Abschalten der Atommeiler ist für den größten Teil der Anti-AKW-Bewegung (im Gegensatz zu den Grünen) keine Frage. Aber wie wird die Atomwirtschaft abgewickelt und wie der gewaltige Schrott entsorgt? Und wie soll es wirtschaftspolitisch in Zukunft mit der Energieversorgung überhaupt weitergehen?

Das sofortige Abschalten der Atommeiler ist für den größten Teil der Anti-AKW-Bewegung (im Gegensatz zu den Grünen) keine Frage. Aber wie wird die Atomwirtschaft abgewickelt und wie der gewaltige Schrott entsorgt? Und wie soll es wirtschaftspolitisch in Zukunft mit der Energieversorgung überhaupt weitergehen?

Es gibt inzwischen ausreichende Untersuchungen, nach denen ein sofortiges Abschalten der Atomkraftwerke (also innerhalb weniger Monate) technisch überhaupt kein Problem ist. Der Kapazitätsüberschuss liegt bei mindestens 20 % (Deutschland exportiert Strom; der Anteil der AKW beträgt selbst in Spitzenzeiten nicht mehr als 23 %), und dabei sind die Potenziale zur Energieeinsparung längst nicht ausgeschöpft – von einem gezielten Ausbau alternativer Energien ganz zu schweigen (s. dazu auch Artikel auf S. 24).
Welche Kosten der Entsorgung?
In der Atomwirtschaft gilt noch weniger als bei den sonstigen die Umwelt verschmutzenden Industrien das Verursacherprinzip. Nirgendwo sonst ist die Kluft zwischen den entstandenen Kosten und den dafür geleisteten Zahlungen der ProfiteurInnen so groß wie in der Atomindustrie, von den Folgekosten über Jahrhunderte und Jahrtausende ganz zu schweigen1.  Jeder weitere Betrieb kostet den Steuerzahler enorme Beträge (monatlich fällt rund 30 t hochgiftiger Atommüll an).

Die Kosten entstehen in den Kernforschungszentren (fast immer ausschließlich vom SteuerzahlerInnen finanziert), bei der Wiederaufbereitung, bei der Atomwaffenproduktion usw. Die Kette fängt aber schon viel früher an. 80 % des radioaktiven Abfalls stammen aus dem Uranabbau (Abraum und Tailings)2. Eine Entsorgung findet dort in aller Regel so gut wie gar nicht statt. Der Abfall lagert dann meist oberirdisch und wird mit Staubwolken in der Luft über weite Strecken verteilt oder via Regen ins Grundwasser gespült.
Später entsteht jährlich weltweit 12 000 t hoch radioaktiver Müll, für den es bisher auf der ganzen Welt noch kein Endlager gibt. In der BRD haben die AKW-Betreiber bisher für die Einlagerung gerade mal 900 000 € an Gebühren bezahlt. Zu den bisher schon entstandenen oder in nächster Zeit anfallenden Kosten siehe Kasten.
Gelddruckmaschine AKW
Da die AKW-Betreiber den größten Teil der wirklich anfallenden Kosten nicht selbst begleichen müssen (von den gesundheitlichen Belastungen und Gefahren mal ganz abgesehen), können sie märchenhafte Gewinne einstreichen. Die meisten Atommeiler sind schon längst abgeschrieben. Jedes weitere Jahr Betriebsdauer bedeutet einen gewaltigen zusätzlichen Gewinn. Deswegen sind die Gewinne der vier großen Energiekonzerne seit 2002 auf das Vierfache gestiegen und betrugen im Krisenjahr 2009 (!) 23 Mrd. €. Insgesamt wurden von E.on, EnBW, RWE und Vattenfall seit 2002 mehr als 100 Mrd. € Gewinne verbucht. Dabei ist die Gewinnspanne bei den Atommeilern am größten. Sie werfen jedes Jahr 4 Mrd. € ab, davon die 7 Altmeiler plus Krümmel 1,5 Mrd.

Ein abgeschriebenes AKW bringt an jedem zusätzlichen Tag Laufzeit einen Gewinn von 1 Mio. €! Die Laufzeitverlängerung (gemäß Regierungsbeschluss von 2010) brächte 70 Mrd. € Gewinn (wobei hier die Brennelementesteuer schon abgezogen ist). Mit dem im Juni 2011 revidierten Beschluss werden es bis 2022 noch satte 40 Mrd. sein. Laut Studie der Landesbank Baden-Württemberg hatten die Konzerne ohne den letzten Beschluss bis 2022 mit Nettogewinnen um die 34,3 Mrd. € gerechnet, jetzt „nur“ noch mit 12,8 Mrd.

Auch mit den anderen Energieträgern machen diese Konzerne einen fetten Reibach. Und da sie auch noch die Netze kontrollieren, gehören diese Konzerne zu den profitabelsten überhaupt. Seit 2008 sind beispielsweise die Beschaffungskosten um 30 – 40 % gesunken, die Strompreise aber um 10 % gestiegen. Allein die eingesparten Netzkosten betrugen 200 Mio. €. 2010 machten sie einen Gewinn von ca. 30 Mrd. €. Vattenfall beispielsweise hätte seit Jahren für den Verkauf ihrer Fernwärme in Hamburg eine Nutzungsgebühr (für die öffentlichen Wege) von mindestens 40 Mio. € zahlen müssen. Aber mit dem künstlichen Niedrigrechnen ihrer Gewinne waren sie aufgrund der Vertragsgestaltung mit der Stadt fein raus.

Eine Studie der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes kommt zu dem Ergebnis, dass allein die RWE-Kunden wegen „überhöhter Preise“ 2,3 Mrd. € zu viel gezahlt haben. Die „Rendite auf das eingesetzte Kapital“ (annähernd das, was in der marxistischen Wirtschaftstheorie die Profitrate ist) betrug bei den 4 großen Stromkonzernen 2009 stolze 25 %! Das sind im Vergleich zum heutigen Durchschnittswert der Dax-Unternehmen (nämlich 9 %) schon astronomische Größenordnungen und wird nur von wenigen anderen Sektoren erreicht. Im Wesentlichen nur die Pharmaindustrie. Sie kommt auf eine Profitrate von 18 -19 % nach Steuern, andere Industriezweige auf 3 – 7 % nach Steuern.
Enteignen!
Für uns liegt es also auf der Hand, dass diese gewaltigen Gewinne für die Abwicklung der Atomindustrie und die riesigen Kosten der Entsorgung herangezogen werden müssen. Nicht nur haben sich diese Konzerne seit Jahren eine goldene Nase verdient, sie haben auch unsere Gesundheit aufs Spiel gesetzt und die von Tausenden LeiharbeiterInnen bei den Arbeiten in den AKW oder von Menschen im Umfeld der AKW stark belastet.

Je mehr die Gesellschaft sie gewähren lässt, desto mehr werden diese astronomischen Gewinne in andere Bereiche transferiert (oder verspekuliert), was ihr Auftreiben zunehmend schwerer macht.

Es versteht sich, dass wir deswegen aus zwei Gründen für eine möglichst rasche und natürlich entschädigungslose Enteignung eintreten: Zum einen zur Gefahrenminimierung, denn den privaten Konzernen ist bei der Müllentsorgung nie zu trauen (siehe den gewaltigen Schlamassel, den wir heute in der Asse haben); zum anderen, weil nur so ein Großteil der gescheffelten Gewinne her­angezogen werden kann.
Wer soll sich dafür einsetzen? Zu allererst die Anti-AKW-Bewegung, aber auch die Gewerkschaften. In der Satzung der IG Metall (§2) heißt es schließlich: „Aufgaben und Ziele der IG Metall sind insbesondere: […]. Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschenden Unternehmungen in Gemeineigentum;“
Vergesellschaften!
Enteignen kann nach unsrem Verständnis nicht heißen, dass der Staat diese Unternehmen übernimmt. Sie müssen von den Beschäftigten und den Nutzern (StromkundInnen) demokratisch kontrolliert werden. Der Umstieg auf erneuerbare Energien, die soziale Preisgestaltung
(z. B. niedrigste Preise für ALG II – Empfänger­Innen und andere Mittellose), akzeptable Arbeitsbedingungen usw. können nur durchgesetzt werden, wenn die Betroffenen Entscheidungsmacht haben. Vattenfall z. B. gehört dem schwedischen Staat und macht nichts anderes als die sonstigen Energiekonzerne auch.
Dezentral versorgen!
Ein Großteil der Kosten (z. B. Energieverluste bei der Übertragung, teure Überlandleitungen usw.) kann gespart werden, wenn die Energiegewinnung dezentral erfolgt. Nur so kann beispielsweise die Energieeinsparung effektiv organisiert oder z. B. ausreichende Kraft-Wärme-Kopplung installiert werden.

Und nur so lässt sich auch die Kontrolle durch die Bevölkerung realisieren. Neben der Energieeinsparung gilt es: Weg von der Fixierung auf wenige Großkraftwerke hin zu einem intelligenten System von kleineren, dezentralen Energiequellen.

1     Nur zur Erinnerung: Die Halbwertzeit von Plutonium 239, des giftigsten aller Stoffe, beträgt 24 000 Jahre.
2     feinkörnige Rückstände, die in Form von Schlämmen vorliegen

 

Die Mär von der Stromlücke
Derzeit liegt die Spitzenlast bei 80 Gigawatt. Bislang können die konventionellen Stromerzeuger, also Kohle-, Gas- und Ölkraftwerke, etwa 70 Gigawatt liefern, 10 Gigawatt die Wasserkraft und weitere 37 Gigawatt steuern erneuerbare Energiequellen bei. Alleine mit Kohle, Gas, Öl und Wasserkraft kann in Deutschland die Versorgungssicherheit garantiert werden – auch mit Atomausstieg.
Prof. Dr. Klaus Buchner: "Davon produzieren zwei [der vorhandenen] AKW nur für den Export und zwei weitere für die Stand-By-Schaltungen an Elektrogeräten."  Schon simple energiesparende Maßnahmen wie Kippschalter an Elektrogeräten könnten also für immense Einsparungen sorgen. "Es gibt keine Stromlücke, wenn Deutschland aus der Atomenergie aussteigt. Diese Mär von der Stromlücke wurde gezielt von der Atomlobby gestreut. J. S.
Kosten…
3,7 Mrd. €  – aktuelle Schätzung für Schließung (und Sanierung) der Schachtanlage Asse
2,2 Mrd. € – Schließung des Endlagers Morsleben
3 Mrd. €  – Bisherige Atommülltransporte:
1,6 Mrd. € – Rückbau der Wiederaufbereitungsanlage in Karlsruhe
1,5 Mrd. € – Bisherige Kosten für Gorleben
Für das Zwischenlager Nord (Lubmin) gilt als Maßeinheit für entstehende Kosten nur das Gewicht (Euro pro Tonne). 40 % der Kosten zahlt die Industrie, 60 % der Staat, obwohl 70 % der strahlenaktiven Menge von der Industrie kommen.
… und Gewinne
Nettogewinne der Energie-Riesen im Krisenjahr 2009:

8,65 Mrd. € – E.on (2008: 1,62);
3,57 Mrd. € – RWE;
0,9 Mrd. € – EnBW,
2,624 Mrd. € – Vattenfall

 

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