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Innenpolitik

„Teilerfolge dürfen nicht einschläfern”

Von Interview: B.B. | 01.07.2011

Interview mit Udo Buchholz zum Stand der Anti-Atom-Bewegung in Gronau, dem Münsterland und anderswo.

Interview mit Udo Buchholz zum Stand der Anti-Atom-Bewegung in Gronau, dem Münsterland und anderswo.

Avanti: Seht Ihr beim AKU die Demonstration am 25.4.2011 in Gronau und den bundesweiten Protesttag als Erfolg?
Udo Buchholz: An dem Ostermarsch in Gronau haben sich rund 15 000 Menschen beteiligt. Das war nach unserem Kenntnisstand bundesweit der größte Ostermarsch. Und in Gronau war es die größte Anti-Atomkraft-Demonstration, die jemals in Gronau stattgefunden hat. An der bisher größten Demonstration gegen die Urananreicherungsanlage (UAA) hatten sich 1987 400 Menschen beteiligt. So gesehen sind wir mehr als zufrieden! Wichtig ist es natürlich, den Druck auf die NRW-Landesregierung weiter aufrecht zu halten. In der Vergangenheit hat das NRW-Wirtschaftsministerium wiederholt Genehmigungen zum Bau und Betrieb der UAA erteilt. Das Ministerium kann die Genehmigungen also auch wieder aufheben.

Eine ganze Reihe Zuschauer­Innen verfolgten an der Demoroute in Gronau unbeteiligt das Geschehen. Ist die Mehrheit der Gronauer Bevölkerung für die Urananreicherungsanlage?

Udo Buchholz: Es gibt keine offizielle Meinungsumfrage, die diese Frage konkret beantworten könnte. Fakt ist leider, dass in Gronau zahlreiche Vereine und soziale Einrichtungen von der Urenco, die die UAA betreibt, finanziell unterstützt werden. Dadurch entstehen natürlich Abhängigkeiten. Und so werden sich Vereine, die Spendengelder von der Atomindustrie angenommen haben, nicht an Protestaktionen beteiligen. Und die einfachen Vereinsmitglieder werden sich auch eher zurückhaltend verhalten, um mögliche Spenden für ihren Verein nicht zu gefährden. Dass es aber durchaus eine breite Ablehnung der Urananreicherungsanlage in Gronau gibt, wurde in den 1990er Jahren deutlich. Damals wurde versucht, die UAA mit einem kommunalen Bürgerbegehren auszubremsen. Aus rechtlichen Gründen gelang das zwar nicht, doch es hatten sich rund 3000 wahlberechtigte Gronauerinnen und Gronauer für die Durchführung des Begehrens ausgesprochen. Die Kampagne wurde damals übrigens maßgeblich von Ärztinnen und Ärzten, sowie von Apothekerinnen und Apothekern getragen. Und es gab auch jetzt vor dem 25. Tschernobyl-Jahrestag in den Gronauer Nachrichten eine große Anzeige von etwa 50 Gronauer Ärztinnen und Ärzten, die vor der Nutzung der Atomenergie gewarnt haben.

Wie erklärt sich, dass das konservative Münsterland eine Hochburg des Protestes ist?

Udo Buchholz: Da müssen wir differenzieren. In Ahaus gibt es seit den 1970er Jahren einen örtlich breit verankerten Widerstand gegen das Castor-Atommüll-Lager. In Gronau sind die örtlichen Proteste nicht so umfangreich, obwohl viele hinter vorgehaltener Hand schon Angst vor der Urananreicherungsanlage und den Urantransporten äußern. Wichtig in Ahaus war und ist es, dass dort von Anfang an breiter Protest aus dem Bereich der Landwirtschaft gekommen ist. Und so wurde gerade in den 1980er Jahren Bauer Lenting in Ahaus und in der Umgebung zu einer wichtigen Symbolfigur. Er war als Nachbar Kläger gegen das Atommüll-Lager. Dass es nach wie vor eine breite Abwehrfront besonders der Landwirte im westlichen Münsterland gegen die Atomenergie gibt, wurde ja auch beim Ostermarsch in Gronau deutlich: Rund 50 Trecker führten den Demonstrationszug an. Aus Ahaus kannte man so etwas bereits, in Gronau gab es das noch nie.

Eine wichtige Rolle im widerständigen Münsterland spielt Münster als Universitätsstadt. Schon seit den 1970er Jahren gibt es dort sehr aktive Anti-Atomkraft-Initiativen. Von Münster aus wurden früher Großdemonstrationen in Brokdorf und Wackersdorf unterstützt, aber auch die Proteste in Ahaus und Gronau. Dass jetzt alleine aus Münster rund ein Dutzend Busse zum Ostermarsch in Gronau voll wurden, war schon eine tolle Sache. Münster wird auch zukünftig als Knotenpunkt der hochgefährlichen Urantransporte von und nach Gronau eine wichtige Rolle im Widerstand spielen. Zu betonen ist auf jeden Fall, dass auch das Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen für den regionalen Widerstand unheimlich wichtig ist. In dem Bündnis sind die Standortbürgerinitiativen aus Gronau und Ahaus und natürlich auch aus Hamm, aber auch Initiativen wie z. B. aus Münster, Waltrop und Telgte eng miteinander vernetzt. Immer wieder wird gemeinsam die energiepolitische Situation analysiert und es werden angemessene Aktionen geplant. Und das zum Teil auf internationaler Ebene wie etwa zusammen mit russischen Anti-Atomkraft-Initiativen.

Hatte der AKU Gronau nach Fukushima Zulauf?

Udo Buchholz: Ehrlich gesagt hatte der AKU Gronau in den letzten Wochen und Monaten überhaupt keine Zeit, mögliche Neu-Aktive zu integrieren. Seit den Katastrophen in Japan musste ständig auf aktuelle Ereignisse reagiert werden, und es mussten ständig Aktionen geplant werden. Und als sich an der ersten Montagsmahnwache an der Urananreicherungsanlage im März etwa 100 Leute beteiligten, war das für die Gronauer Verhältnisse schon eine riesige Sache. Da konnte aber auch noch niemand ahnen, dass sich Ostermontag 15 000 beteiligen würden.
Wichtig war in Gronau im Vorfeld des Ostermarsches die Zusammenarbeit mit anderen Initiativen, Verbänden und Parteien. Schon zu Beginn des Jahres wurde der Gronauer Trägerkreis „Gronauer Ostermarsch” ins Leben gerufen, der in häufigen Treffen den Ostermarsch akribisch vorbereitet hat – unterstützt und ergänzt durch den landesweiten Trägerkreis und die organisatorische Unterstützung durch den Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU).

Die-Anti-Atom-Bewegung mobilisiert Hunderttausende von Menschen, aber warum sind örtliche Initiativen wie z. B. AKU Gronau oder Sofa Münster die Ausnahme? Könnten eventuell durch die Montagsmahnwachen mehr örtliche Initiativen geschaffen werden?

Udo Buchholz: Die erste Blütezeit der Anti-Atomkraft-Bewegung hatte in den 1970er Jahren zahlreiche Bürgerinitiativen und Aktionsgruppen hervorgebracht. In der Folge haben sich viele Aktive aus den Initiativen mit und bei den Grünen auf den parlamentarischen Weg gemacht. Etwa zeitgleich kamen mit dem BUND neue Strukturen in der Ökologiebewegung auf, wobei es gerade in den 1980er Jahren auch zu Neugründungen von vielen Initiativen gegen die Atommüll-Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) Wackersdorf kam. In den letzten Jahren kamen durch die Möglichkeiten der Internet-Nutzung neue Formen der Mobilisierung und der Kampagnenführung auf. Dabei werden oft Aktive zu konkreten Aktionen aufgerufen, es findet aber nicht unbedingt vor Ort die Gründung von neuen Bürgerinitiativen statt. Wobei es gerade die Bürgerinitiativen vor Ort sind, die die örtlichen Gegebenheiten kennen und die wissen, wie bestmöglich vorgegangen werden kann. Der BBU ist bemüht, bestehenden und sich neu gründenden Bürgerinitiativen unter die Arme zu greifen. Wer also an Montagsmahnwachen oder auch an Großdemonstrationen teilgenommen hat, und jetzt selbst eine BI gründen möchte, kann sich da an bestehende Initia
tiven in Nachbarorten, oder auch an den BBU, wenden. Übrigens gehören auch der AKU Gronau und die BI in Ahaus, aber auch die BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, dem BBU an.

Für die Blockade in Brokdorf wird im Aufruf die Vergesellschaftung und Enteignung der großen Energiekonzerne gefordert. Seht Ihr das als inhaltlichen Fortschritt der Bewegung an?

Aus den Reihen der Anti-Atomkraft-Bewegung kam schon immer die Forderung nach neuen Strukturen im Energiebereich. Das bezog sich oft auf die Form der Energieerzeugung, wobei konkret eine dezentrale Energieversorgung gefordert wurde und gefordert wird. Das betraf aber auch die Energieversorgungsunternehmen, von denen jetzt ja vier den Atombereich fest in ihrer Hand haben. Die aktuellen Diskussionen um Zerschlagung oder Enteignung sind da aber sicherlich intensiver und umfangreicher geworden, als in der Vergangenheit. Wobei die Diskussionen um den „besten” Weg noch im Gange sind, auch mit Blick auf die Formen der zukünftigen Energieversorgung, firmenrechtliche Strukturen und gesellschaftliche Beteiligung oder gar Übernahme. Wichtig ist bei all diesen Diskussionen der Blick über den Tellerrand. Es geht um mehr als „nur” um die Abschaffung der Atomkonzerne. Atomkraftwerke dürfen nicht durch neue Kohlekraftwerke ersetzt werden, und auch die unkonventionelle Gasförderung, die in ganz NRW droht – Stichwort „Fracking”  – muss verhindert werden, um das Grundwasser vor Chemikalieneinträgen zu schützen. […]

Werden die Proteste mit der Stilllegung einiger alter AKW weitergehen?

Udo Buchholz: Die großen Demonstrationen in mehr als 20 Städten am 28. Mai haben gezeigt, dass der Widerstand gegen die Atomenergienutzung weiter geht. Mit welcher Intensität das gehen kann, muss sich zeigen. Den einzelnen Aktiven muss klar sein, das auch der lange Atem gefragt ist. Teilerfolge müssen und dürfen gefeiert werden, dürfen aber nicht einschläfern. Die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen muss weiter eingefordert werden und das bedeutet für uns konkret auch die sofortige Stilllegung der UAA.

Wichtig ist es zudem, weiter die internationale Anti-Atomkraft-Arbeit zu unterstützen und zu vernetzen. Und da ist für uns auch gerade der Kontakt zur niederländischen Anti-Atomkraft-Bewegung sehr wichtig. In der Nähe von Gronau steht in Almelo die niederländische UAA, in Borssele ist ein AKW in Betrieb und in Borssele und Eemshaven droht der Neubau weiterer Reaktoren. Erfreulich sind übrigens auch verstärkte Anti-Atomkraft-Aktionen in der Schweiz und in Frankreich.

 

Udo Buchholz
Udo ist 47 Jahre alt, „Nachbar” der Gronauer Urananreicherungsanlage und langjähriges Mitglied des Arbeitskreis Umwelt Gronau (AKU), Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz und Ratsmitglied der parteiunabhängigen GAL-Fraktion im Rat der Stadt Gronau.

 

 

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