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Spanischer Staat: Die Lunte glimmt

Von Thadeus Pato | 01.07.2011

Die Demonstrant­Innen im spanischen Staat haben etwas getan, was die bürgerliche Gesellschaft an Unterprivilegierten gar nicht leiden kann: Sie haben sich sichtbar gemacht oder besser – unübersehbar.

Die Demonstrant­Innen im spanischen Staat haben etwas getan, was die bürgerliche Gesellschaft an Unterprivilegierten gar nicht leiden kann: Sie haben sich sichtbar gemacht oder besser – unübersehbar.

Stephane Hessel schreibt in seinem Buch „Empört Euch!“: „Das Grundmotiv der Résistance war die Empörung“. Der Name, den sich die Demonstrant­­Innen der wie aus dem Nichts erstandenen Massenbewegung in Spanien gegeben haben, erinnert nicht zu Unrecht daran: „Los indignad@s“ – die Entrüsteten/Empörten.

Der Bourgeois möchte im Allgemeinen mit den logischen Folgen seines wirtschaftlichen Handelns, mit Bettler­­Innen, Obdachlosen, Zwangsgeräumten, Arbeitslosen und dergleichen mehr, nicht gerne konfrontiert werden. Das verdirbt die Stimmung und den Appetit. Und den von ihm alimentierten Vertreter­Innen in den politischen Instanzen geht es nicht anders.
Sichtbare Unsichtbare
Bisher benahmen sich auch die meisten Bewohner­Innen des spanischen Staates einigermaßen ihrer ihnen zugewiesenen Rolle entsprechend. Sie waren primär mit dem Überleben beschäftigt, im öffentlichen Leben weitgehend unsichtbar und hielten den Mund. Aber jetzt empören sie sich. Und das findet wiederum die Bourgeoisie empörend. Aber sie hat da ein Problem. Die übliche Medienroutine, mit der die Bewegung ins (links)radikale Abseits gestellt, als „militant“ verteufelt und damit abgewürgt werden sollte, funktioniert nicht. Der Grund liegt schlicht darin, dass bei einer Arbeitslosenquote von rund 40 % bei den unter 25jährigen und den jetzt erneut geplanten Kürzungen der Sozial- und Bildungsleistungen öffentlichen Verlautbarungen nicht mehr geglaubt wird. Das Maß ist voll. Und so wurden für die Abgeordneten des neugewählten katalanischen Parlaments, darunter auch gestandene Altkommunist­Innen, diejenigen, die frei nach Brecht unsichtbar im Schatten zu stehen haben, plötzlich sichtbar und sogar stellenweise handgreiflich.
Haudraufs und Agent­Innen
In derartigen Fällen wird in einer funktionierenden bürgerlichen Demokratie normalerweise entweder die Polizei oder die Sozialdemokratie vorgeschickt. Die spanische Sozialdemokratie ist aber nun leider in Madrid an der Macht und deshalb aus wichtigen Gründen verhindert. Folglich versuchte man es, vergeblich, zunächst mit der Polizei. Inzwischen war allerdings auch den Herrschenden gedämmert, dass das Ausmaß, das die Bewegung angenommen hatte, eine gewaltsame Lösung nur um den Preis erheblicher „Kollateralschäden“ zuließ. So kam die dritte Option zum Einsatz: Die beiden großen Gewerkschaftsdachverbände riefen, nachdem sie zunächst beim Indignad@s-Beschimpfen fröhlich mitgemacht hatten, verschämt zu den Kundgebungen vom 19. Juni auf, und die Grünen schlossen sich an. Bei den Gewerkschaften gibt es  bereits einen zunehmenden Druck von der Basis, Anlass genug für die Führung, zu versuchen, den fahrenden Zug zu entern, um an die Bremse zu kommen. Und die Grünen sollen den ökologischen Flankenschutz bieten? Izquierda Unida (Vereinigte Linke – von der KP Spaniens dominiertes Wahlbündnis) wird vermutlich als Ersatz für die unpässlichen Sozialist­Innen folgen, im Gegensatz zu Katalonien reihten sich in Valencia bei der dortigen Belagerung des Parlamentes die IU-Abgeordneten unter die Demonstrant­Innen ein.
Knüppel aus dem Sack?
Fein ausgedacht. Doch es gibt etwas, das der Bourgeois noch mehr hasst, als mit seinen Opfern in Berührung zu kommen. Solange sie arbeitslos auf den Straßen und Plätzen kampieren und demonstrieren, ist das zwar ein Ärgernis, jedoch eines, dem man sich in bester Wandlitz-Manier hinter entsprechenden Mauern entziehen kann. Aber wenn die von Entlassungen und Lohnkürzungen in den Betrieben Betroffenen sich anschließen, dann geht es dahin, wo es wirklich wehtut: ans Portemonnaie. Wenn die Forderung nach Streik sich durchsetzt, die bereits erhoben wird, dann wird es sehr weh tun, dann geht es an die Profite.

Und da versteht unser Bourgeois keinen Spaß. Denn diesbezüglich trägt er schließlich die gesellschaftliche Gesamtverantwortung. Die lässt er sich nicht nehmen, weder die Verantwortung, noch die Profite. Und da kann es dann gut sein, dass der eben eingepackte Knüppel wieder aus dem Sack geholt wird. Der kommt derzeit ja auch in Griechenland auf dem Syntagma-Platz ausgiebig zum Einsatz.

Empörung ist ansteckend. Die Demonstrant­Innen in Griechenland nennen sich ebenfalls „die Empörten“. Sie sind schon weiter als ihre spanischen Pendants: sie haben bereits den dritten Generalstreik. Vielleicht ist das ja in Europa tatsächlich der Beginn einer Epidemie…

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