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Obama und Notenbank ohne Lösung

Von Jeff Mackler | 01.10.2011

In den USA haben weder die Regierung noch die Notenbank eine ausreichende Antwort auf die sich verschärfende kapitalistische Krise: „Kein Stellenzuwachs – neuestes düsteres Zeichen für US-Wirtschaft“, so titelte die New York Times am 3. September. Der Artikel drückt den tiefen Pessimismus der herrschenden Reichen in den USA aus, weil keine Lösungen in Sicht sind.

In den USA haben weder die Regierung noch die Notenbank eine ausreichende Antwort auf die sich verschärfende kapitalistische Krise: „Kein Stellenzuwachs – neuestes düsteres Zeichen für US-Wirtschaft“, so titelte die New York Times am 3. September. Der Artikel drückt den tiefen Pessimismus der herrschenden Reichen in den USA aus, weil keine Lösungen in Sicht sind.

Der neue Regierungsbericht zu Einstellungen („hiring“) – ein besseres Wort wäre Entlassungen („firing“) – war am Vortag veröffentlicht worden und brachte laut The Times „neue Belege dafür, dass die wirtschaftliche Erholung kläglich gescheitert ist, ohne Fahrt aufgenommen zu haben, und dass damit eine neue Runde ständig zurückgehender wirtschaftlicher Erwartungen eingeleitet wird.“ Dieser Annahme eines Rückgangs basiert auf der Einschätzung des Präsidenten, dass die Erwerbslosenrate bei den hohen 9,1 % bis mindestens 2013 bleiben wird.
Für die arbeitende Bevölkerung hat es seit dem Ausbruch der Krise 2008 gar nichts gegeben, was einer wirklichen wirtschaftlichen Erholung ähneln könnte. Selbst in den spekulativen oder „Casino“-Sektoren, wo sich die Finanz­elite bemüht, neue Instrumente zur Geldvermehrung auf dem Aktienmarkt und andere Schneeballsysteme zu finden, die nichts mit der Warenproduktion zu tun haben, war die wirtschaftliche Erholung weitestgehend inexistent.

Die Turbulenzen an den Aktienmärkten haben sogar die erfahrendsten Händler an der Wall Street verwirrt, als vor ein paar Wochen die Aktenkurse alle Rekorde brachen und vier Aufs und Abs verzeichneten, mit Kurssprüngen und -verlusten von jeweils über 400 Punkten. In Prozenten ausgedrückt geschah auf den anderen US-Aktienmärkten das Gleiche. Gegenüber dem Hoch vom 2. April mit 12 400 Punkten verlor der Dow Jones 1 200 Punkte. Die Bewegung an den Aktienmärkten ist Ausdruck der Panik des Großkapitals.
Die hohe offizielle Arbeitslosenrate von 9,1 %, die die Statistikbehörde für August bekannt gab, wird begleitet von Angriffen auf die Gewerkschaften, der Annullierung bestehender Tarifverträge, Werksschließungen, verschärfter Arbeitshetze, Kürzungen bei den Renten und der Gesundheitsversorgung, Kündigungen von Hypotheken und Werksschließungen auf Veranlassung der Konzernspitzen. Die von der Industrie im letzten Jahr verfügten unbezahlten Zwangsurlaube wurden dieses Jahr von staatlicher Seite, z. T. sogar mit Vertragsauflösungen, noch übertroffen.

Natürlich sind die offiziellen und die wirklichen Arbeitslosenzahlen zwei verschiedene Dinge. Neben denen, die in der offiziellen Statistik nicht erfasst werden, müssen jene mitgerechnet werden, die die Arbeitssuche entmutigt aufgegeben haben, sowie jene, die gezwungen sind, unterhalb des Existenzminimums Teilzeit oder mit dem Mindestlohn oder weniger zu arbeiten. Wir kommen dann auf eine Zahl von 20 bis 25 Prozent oder mehr! Die Regierung gibt für diese Zählung immerhin 16,1 % an.

Derselbe Artikel in der Times verweist auffälligerweise auf das „begrenzte Arsenal an Möglichkeiten“, das die Notenbank (Fed) für die Ankurbelung der Wirtschaft hat. Über Jahrzehnte war der Begriff „begrenztes Arsenal“ von der allgemeinen Wirtschaftsterminologie verbannt. Die Institution Fed wurde mit nahezu wundersamer Macht ausgestattet, um die Wirtschaft zu regulieren und ständiges Wachstum und Stabilität zu garantieren.

In den letzten Jahren bestand dies im Wesentlichen darin, die Zinsen zu senken, um den Banken und Konzernen billiges Geld zur Verfügung zu stellen, um sie angeblich zu Investitionen in der Industrie zu ermutigen, was neue Jobs und einen ständigen Zufluss an Waren für den Markt schaffen würde. In den vergangenen Jahrzehnten bestand der allgemeine Trend im Rückgang solcher Investitionen, denn die Banken und die Konzerne verstanden sehr wohl, dass in einer Welt verschärfter weltweiter Konkurrenz die Profitraten im industriellen Sektor ständig zurückgingen, was zum Bankrott großer Konzerne wie General Motors und tausender anderer geführt hat. […]
In den vergangenen Monaten ist wiederholt festgestellt worden, dass US-Konzerne auf 2 Billionen Dollar flüssigem Geld sitzen und es ablehnen, in der amerikanischen Wirtschaft zu investieren. Dieser scheinbare Widerspruch ist nicht mangelndem Patriotismus geschuldet, sondern fehlenden Profitaussichten.

In der international zunehmend vernetzten Wirtschaft ist es für US-Konzerne profitabler, in ärmeren Ländern zu investieren, wo Hungerlöhne und niedrigste Steuern ganz andere Profite ermöglichen, als sie in den USA möglich sind. Aber wenn die Konkurrenten aus anderen Ländern denselben Weg gehen, lösen sich die anfänglichen Zusatzgewinne schnell auf.
Der Wettlauf nach unten fordert schließlich von allen Arbeiter­Innen einen hohen Tribut, aber die Kapitalisten haben keine andere Wahl, als sich gegenseitig zu verdrängen, um selbst im Spiel zu bleiben.

An sich sollen die Unternehmensgewinne ja in den USA versteuert werden, aber eben nur, wenn sie in die USA transferiert werden. Willfährige Regierungspolitik bewirkte, dass Unternehmen zunehmend der Besteuerung entgingen. Um Unternehmen zu ermuntern, ihre Profite in der heimischen Wirtschaft zu investieren, will die Regierung „Steuerferien“ einrichten, sodass Steuerschulden entweder erlassen oder auf einen sehr niedrigen Satz reduziert werden.

Dankbare Konzernspitzen, die in Wahrheit die Gesetzgeber wie auch ihre multinationalen Unternehmen in der Tasche haben, machen dabei gerne mit, aber nur gerade so lange, wie sie brauchen, um die nächsten Investitionen in Billiglohnländern zu tätigen. Andere vermeiden jegliche Besteuerung, indem sie erklären, dass der Sitz ihrer Firmen nicht mehr in den USA ist, sondern in solchen Steueroasen wie den Cayman Islands oder Barbados.

Eine der Maßnahmen, die heute zunehmend zum Einsatz kommen, um „das System zu retten“ oder wieder ins Lot zu bringen, nämlich „quantitative easing“ (QE1) , wurde bei der Sitzung der Fed am 9. August heiß debattiert, und die einzige Maßnahme zur Überwindung der kapitalistischen Krise, auf die sich die streitenden Banker einigen konnten, bestand darin, das Zinsniveau bis mindestens 2013 bei nahezu null Prozent zu halten. Dies wird den Banken und anderen Unternehmen erlauben, sich ohne Risiko billiges Geld zu leihen, wenn sie diese staatlichen Gel­der mit höheren Zinssätzen investieren können, natürlich überwiegend in spekulativen Sektoren der Wirtschaft. […]
QE ist nicht die Norm für kapitalis­tisches Funktionieren. Es wird angewendet, wenn die Zinssätze so niedrig sind („billiges Geld“), dass die Regierung kein anderes Mittel hat, eine stotternde Wirtschaft anzukurbeln, angeblich, um Fi
rmen zu ermuntern, Jobs zu schaffen. Mit QE wird im Wesentlichen mittels elektronischer Überweisung faktisch Falschgeld geschaffen, um verschiedene Aktien oder Wertpapiere von den Banken oder direkt von der Regierung zu kaufen. Die Banken verkaufen diese „Wertpapiere“, deren wirklicher Wert infrage steht und deshalb schwer zu verkaufen sind, wie wir das von Finanzderivaten kennen, die sich auf ungesicherte Hypotheken stützen.

Das Konjunkturprogramm Troubled Asset Relief Programm (TARP) [von 2008] ähnelte bereits dem QE, als nämlich die Regierung notleidende Unternehmen mit Geldspritzen vor dem Bankrott bewahrte und dabei 1 Billion $ ausgab. […] Letztes Jahr pumpte die Fed mit ihrer QE-Politik weitere 600 Milliarden $ in die Wirtschaft, indem sie Bundesschatzbriefe aufkaufte, damit die Regierung Forderungen ausländischer Kreditgeber wie China und Japan bedienen konnte. All diese Maßnahmen der Notenbank oder der Regierung bestehen im Wesentlichen darin, Banknoten oder Schatzbriefe zu drucken, oder mit elektronischen Überweisungen Falschgeld zu erzeugen, für das es keinen Gegenwert in Waren gibt. In Wirklichkeit kommt dies einem Scheckbetrug gleich. Auf der Ebene individueller Finanzgeschäfte ist dies illegal, aber auf staatlicher Ebene ist dies in den USA wie auch in anderen Teilen der Welt heute die Norm.

Die britische Zentralbank ist dem Beispiel der USA gefolgt. Die schwächeren kapitalistischen Nationen, die nicht ausreichend auf den internationalen Märkten konkurrieren können, sind die ersten Leidtragenden, wenn ihre Schulden so hoch sind, dass sie ihren Verbindlichkeiten nicht nachkommen können. Deswegen sind Länder wie Griechenland nahe am Bankrott und Spanien, Irland und Portugal sind nicht sehr weit davon entfernt. Eine Unfähigkeit solcher Staaten, ihren Zahlungsverpflichtungen in der Größenordnung von Billionen Dollar oder Euro gegenüber den mächtigeren kapitalistischen Nationen nachzukommen, würde das gesamte System in eine tiefe Krise stürzen und den wesentlichen Zusammenhalt des Systems bedrohen.

In Europa wurde bisher die Lösung auf zwei Ebenen versucht: Neuverhandlung der Kredite an die fast bankrotten Staaten (wobei die finanzkräftigeren Staaten das Risiko eines eventuellen Zahlungsausfalls übernehmen) bei gleichzeitiger Absicherung dieser Kredite über die Durchsetzung drakonischer Sparmaßnahmen wie etwa in Griechenland, wo soziale Errungenschaften von Jahrzehnten bei Löhnen, Renten und der Gesundheitsversorgung hinweg gefegt werden.

Unter dem Titel „Harte Kreditbedingungen der Banken für griechischen Rettungsschirm“ schreibt die New York Times mit deutlichen Worten: „Im Fall des vorgesehen zweiten Rettungsschirms für Griechenland – bei dem die privaten Kreditgeber [die Banken] angeblich neben den Steuerzahlern einen Teil der Last tragen sollen – unterstützen jetzt die größten europäischen Banken den Plan. Diese Banken sind aber nicht plötzlich masochistisch geworden. Es erweist sich vielmehr, dass diese erste große Umschuldung in Europas lang gärender Schuldenkrise sich als ein Deal herausschält, der sehr viel mehr den Banken dient als Griechenland, dem es angeblich helfen soll.“

Keinem Land ist es gelungen, den Widersprüchen ausweichen, die in dem kapitalistischen System angelegt sind. Krieg und Sparpolitik sind ihre Lösungen, die Auswirkungen sind ihnen egal.

„Es gibt Arbeit, die gemacht werden muss, und es gibt Arbeiter, die sie machen wollen“, sagte Obama auf einer Versammlung des [Gewerkschaftsverbandes] AFL-CIO am Tag der Arbeit in Detroit, wo die verräterischen Gewerkschaftsführer ihre weitere Unterstützung für den wichtigsten regierungsamtlichen Feind der Arbeiter­Innenklasse erklärten. „Die Arbeiter sind an Bord. Die Unternehmen sind an Bord“ setzte sich der Präsident in Pose. Und im Vorgriff auf die Wiederaufnahme der Kongresssitzungen in der nachfolgenden Woche fuhr Obama fort: „Und auch der Kongress muss an Bord kommen. Lassen Sie uns Amerika zurück an die Arbeit bringen.“

Das ist leere Rhetorik in Extremform. Obama hat bewiesen, dass er für den US-Kapitalismus die stärkste Waffe ist, die sprichwörtlich bei jedem Angriff auf die US-Arbeiter_Innenklasse George Bush übertrifft. Letztes Beispiel: Das eh schon unzureichende Programm der Umweltschutzbehörde für „schärfere Grenzwerte für die Luftverschmutzung“ wurde aufgegeben, was die Interessen der Bevölkerungsmehrheit denen der wenigen aus den Konzernetagen unterordnet.

Jeff Mackler ist führendes Mitglied von Socialist Action einer sympathisierenden Organisation der Vierten Internationale in den USA.
www.socialistaction.org

Übersetzung D. Berger

1     Erhöhung der von der Fed in Umlauf  gebrachten Geldmenge, ohne dass es in der Wirtschaft dafür einen realen Gegenwert gibt. Anm. d. Red.

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