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Gemeinsam gegen die Banken

Von Harry Tuttle | 01.11.2011

In den USA ist der von Präsident Obama versprochene Wandel ausgeblieben. Nun wird er auf der Straße gefordert – nicht nur in New York.

In Johnson City, Tennessee, fand der Protest zunächst noch im Saal statt. Mitte Oktober wurde in der Kleinstadt die Gruppe „Occupy Johnson City“ gegründet. Versammelt haben sich „Studierende, Lehrer, Arbeiter, Angestellte, Selbstständige, Erwerbslose und Soldaten (der rare Job bei der Regierung, für den kein Einstellungsstopp gilt)“, berichtet ein Teilnehmer. „Sie allem kamen, weil sie sich über eines einig sind: Das System hat versagt, und es bedarf eines sofortigen Wandels.“

Die Proteste begannen in New York, und auf die BesetzerInnen im Zuccotti Park konzentriert sich die mediale Aufmerksamkeit. Gruppen der Occupy-Bewegung gibt es nun jedoch in mehreren Hundert Städten und Ortschaften. Überall ist die Bewegung sozial heterogen, neben den „üblichen Verdächtigen“, GlobalisierungskritikerInnen und anderen linken AktivistInnen, beteiligen sich akut von der Verarmung bedrohte, aber auch relativ gut verdienende Lohnabhängige, Freiberufler und Inhaber kleiner Geschäfte.

Die offizielle Arbeitslosenrate beträgt 9,1 Prozent, und die Regierungen mehrerer Bundesstaaten sowie zahlreiche Unternehmer nutzen die Krise, um die Gewerkschaften weiter zurückzudrängen. Viele Gewerkschaften unterstützen die Bewegung, die New Yorker Transport Workers Union kündigte sogar an, dass ihre Mitglieder in Zukunft den Anweisungen der Polizei, bei den Protesten Festgenommene zu transportieren, nicht mehr folgen würden.
Wahlhelfer für Obama?
Doch auch wer noch der schwindenden „middle class“ angehört, steht vor wachsenden Problemen. Für die soziale Absicherung und für die Universitätsausbildung der Kinder müssen meist private Versicherungs- und Sparverträge abgeschlossen werden. Viele dieser Fonds wurden in der Krise entwertet, sodass auch bei Menschen, die sich traditionell nicht der Linken zugehörig fühlen, Empörung über die Banker herrscht.

Die Bewegung beschränkt sich derzeit weitgehend auf den Protest gegen die Macht der Banken und die Forderung, dass die Krise nicht auf Kosten der „kleinen Leute“ gelöst werden darf. Dass eine entstehende soziale Bewegung nicht über eine Kapitalismusanalyse verfügt und keine radikalen Forderungen formuliert, ist normal. Am Anfang steht immer die moralische Empörung. Problematischer ist, dass Teile der Bewegung sich explizit gegen eine „Politisierung“ wehren. Auch gegen das Bündnis mit den Gewerkschaften gab es Widerspruch, da einige eine „Vereinnahmung“ fürchten.

Diese Befürchtung ist nicht unbegründet, die mit der Demokratischen Partei kooperierende Führung der großen Gewerkschaften und Gruppen wie MoveOn, die Barack Obamas ersten Wahlkampf unterstützten, dürften versuchen, die Bewegung für die Wiederwahl des Präsidenten zu instrumentalisieren. Die Enttäuschung über Obama ist ein von zahlreichen Protestierenden genanntes Motiv, doch die Republikaner machen es ihm leicht, sich nun als kleineres Übel zu präsentieren.

Herman Cain, derzeit einer der beiden populärsten Bewerber um die republikanische Präsidentschaftskandidatur, sagte: „Gib nicht der Wall Street die Schuld, gib nicht den großen Banken die Schuld – wenn du keinen Job hast und nicht reich bist, dann gib dir selbst die Schuld.“
Andererseits wird es ohne ein Bündnis mit der Gewerkschaftsbewegung und die Formulierung klarer Forderungen bei weitgehend folgenlosem Protest bleiben müssen. Die wahren Besetzer der Wall Street sind noch immer die Banker, auch wenn in ihrem Operationsgebiet nun Störenfriede campieren. Selbst harmlose Formen zivilen Ungehorsams werden von der Polizei, die sogar die Benutzung von Lautsprechern und Megafonen untersagt, rabiat unterbunden. Die Protestform der Zeltstadt wird sich im Winter kaum halten können, und die von den meisten Gruppen praktizierte extreme Form der Basisdemokratie, die ein unbegrenztes Rederecht und Konsensfindung vorsieht, dürfte angesichts der Tatsache, dass die Bewegung auch zahlreiche Esoteriker und Verschwörungstheoretiker anzieht, selbst die geduldigsten AktivistInnen bald überfordern. Bislang ist unklar, wie die Bewegung langfristig weiterarbeiten kann, ihr Erfolg wird von den Politisierungsprozessen der kommenden Monate abhängen.
Konkurrenz für die Tea Party
Es ist jedoch bereits ein bedeutender Fortschritt, dass sich überhaupt eine linke Protestbewegung gebildet hat. Bislang stand einem zögerlichen Präsidenten in der Öffentlichkeit nur die rechte Tea-Party-Bewegung gegenüber, die von Milliardären finanziert wird, deren Basis aber Angehörige der unteren Mittelschicht, Arbeiter und Kleinunternehmer – also ein in großen Teilen der Occupy-Bewegung ähnliches soziales Milieu – bilden. Nun kommt es zu einer Spaltung der „middle class“, dem rechten Flügel, der eine sozialdarwinistische Lösung der Krise befürwortet und Sparmaßnahmen als Mittel zur Umerziehung der Armen betrachtet, tritt eine linke Bewegung entgegen.

Bedeutsam ist auch die schnelle Bildung zahlreicher neuer Gruppen. Dass in den großen Städten der Ost- und Westküste protestiert wird, ist nicht ungewöhnlich. Doch erst wenn sich in Provinznestern wie Johnson City etwas tut, tut sich wirklich was. Der von Obama versprochene Wandel (change) wird nun auf der Straße gefordert. Auch in Johnson City haben die Protestierenden den Saal schnell verlassen. Zu besetzen gibt es zwar nicht viel, die Kleinstadt erlangte nur während der Prohibitionszeit ökonomische Bedeutung, als Al Capone hier Schnapslager einrichtete. Doch am 15. Oktober fand die erste Kundgebung statt, an der sich 350 Menschen beteiligten.

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