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Innenpolitik

Kann die Krise wegprotestiert werden?

Von Walter Walrave | 01.11.2011

Am 15. Oktober 2011 haben an 1200 Orten weltweit insgesamt ein bis zwei Millionen Menschen ihre Empörung zum Ausdruck gebracht. Sie protestierten sowohl gegen die Abwälzung der Kosten der Krise mit ihren verheerenden sozialen Folgen als auch gegen die Absicht der Herrschenden, erneut Hunderte von Milliarden Euro für überschuldete Staaten in Form von „Rettungsfonds“ zu errichten.

Am 15. Oktober 2011 haben an 1200 Orten weltweit insgesamt ein bis zwei Millionen Menschen ihre Empörung zum Ausdruck gebracht. Sie protestierten sowohl gegen die Abwälzung der Kosten der Krise mit ihren verheerenden sozialen Folgen als auch gegen die Absicht der Herrschenden, erneut Hunderte von Milliarden Euro für überschuldete Staaten in Form von „Rettungsfonds“ zu errichten.

Denn diese kommen nur den Banken und Konzernen zugute. Nicht einmal die in den ersten Jahren der Krise versprochene „Bankenregulierung“ fand statt. Stattdessen bedeutete die „Rettung“ ein riesiges Umverteilungsprogramm von unten nach oben. Viele Menschen haben diese Masche inzwischen durchschaut.

Die Staatsbürgschaften für bald zahlungsunfähige Staaten, die Übernahme so genannter „fauler Banken-Kredite“ in staatliche Hand, die Konjunkturprogramme zur Ankurbelung der Wirtschaft usw. – all dies treibt die Staatsverschuldung auf eine nie gekannte Höhe. Die Zukunft von Hunderttausenden Jugendlichen ist in Gefahr. Auf Kosten zukünftiger Generationen wurden und werden aber Milliarden Euro in Banken und Wirtschaft gepumpt, um den Weiterbetrieb des Kapitalismus irgendwie zu gewährleisten.
Obwohl „genug zu tun“ wäre, bietet der Kapitalismus für Millionen Menschen nur Arbeitslosigkeit oder Unterbezahlung, Umweltverschmutzung, Klimawandel, Armut, Krankheit, Hunger und Krieg! Das haben die Menschen satt.
Es kann und darf so nicht mehr weitergehen!
Das System der Marktwirtschaft, also des Kapitalismus, „leidet“ dermaßen unter seinen eigenen ökonomischen und politischen Widersprüchen, dass eine Besserung der Verhältnisse im Rahmen dieses Systems für immer mehr Menschen undenkbar geworden ist.
Appelle an die Regierenden, „uns doch bitte besser zu regieren“, Appelle an das Kapital, doch bitte „vernünftiger, gerechter, weniger gierig“ zu wirtschaften, werden nichts nützen! Das Kapital und seine Regierungen können nicht anders. Der weltweite Kapitalismus leidet unter einem Bündel von Krisen: Überproduktions-, Finanz-, Ernährungs-, Klima/Umwelt-, Wasser-, Energie-Krise. Die Regierungen und das Kapital kennen nur eine Methode, wie sie diese Probleme „lösen“ können: auf Kosten des Teils der Weltbevölkerung, der nur die eigne Arbeitskraft verkaufen kann.

Aber diese „Lösung“ des Kapitals und ihrer willigen Helfer­Innen wird die gesamte menschliche Gesellschaft nur in eine Krise des Überlebens stürzen. Denn die Lösung der Herrschenden heißt: Konkurrenz auf allen Ebenen der Gesellschaft, statt Solidarität! Das bedeutet mehr Arbeitslosigkeit, Hunger, Armut, mehr Sexismus, mehr Umweltzerstörung und mehr Nationalismus (was zu neuen Kriegen führt).
Wie Rosa Luxemburg am Vorabend des Ersten Weltkrieges schon warnte: Sozialismus oder Barbarei! Das ist die Frage, vor die uns die „Große Krise“ des Kapitalismus am Anfang des 21. Jahrhunderts erneut stellt.
Welche Forderungen?
Nach dem Fall der Mauer war die Diskussion über Alternativen zum „real-existierenden“ Kapitalismus für fast 10 Jahre aus der öffentlichen Debatte verschwunden. Mit dem Entstehen der sogenannten Anti-Globalisierungsbewegung Ende der 90er Jahre setzte eine zaghafte Neubelebung des Denkens über Alternativen zu diesem System ein. Mit der Veröffentlichung des ersten UNO-­Klimaberichtes Anfang 2006 bekam die Dringlichkeit, über Alternativen zum Kapitalismus nachzudenken, einen neuen Schub.

Der Anfang, quasi der „erste Teil“ der „Großen Krise“ 2008 – 2010, ließ eine Diskussion über die Forderung nach „Verstaatlichung“ der Banken aufkommen. Diese Diskussion brach schnell in sich zusammen, als die ersten Anzeichen eines Konjunkturaufschwungs sich abzeichneten.
Seitdem ist viel passiert. Der „arabische Frühling“, die Massenproteste der letzten Monate in vielen Ländern Europas gegen die Auswirkungen der kapitalistischen Krisenpolitik mit ihrer Abwälzung der Kosten auf die einfache Bevölkerung, die Bewegung der „Empörten“ und die Occupy-Bewegung in den USA. Parallel dazu verschärft sich die Krise der Staatsschulden besonders im Euro-Raum, was aktuell zu neuen Bankenkrisen führt. All das vor dem Hintergrund einer schwächelnden Wirtschaft und einer sich belebenden Diskussion über Alternativen zu diesem „System des Profits um jeden Preis“.

Im Umfeld der Proteste vom 15. Oktober wurden erneut Forderungen nach „staatlicher Regulierung der Banken“ laut. Andererseits werden ebenfalls noch recht abstrakte Forderungen nach einem generellen Umbruch mitgetragen. Sogar das Wort „Revolution“ hat nach dem arabischen Frühling für viele seine abschreckende Wirkung verloren.
Die konkreten Forderungen der Occupy-Bewegung sind oft noch diffus. Die Forderung nach Verstaatlichung der Banken reicht heute zum Beispiel nicht mehr aus. Verstaatlichung der Banken würde heute bedeuten, dass die Schulden verstaatlicht würden – und damit die Staatsverschuldung noch mehr steigt.

Stattdessen sollten wir dafür kämpfen, dass es eine entschädigungslose Vergesellschaftung der Banken und anderer Geldinstitute, unter Kontrolle der Beschäftigten gibt. „Vergesellschaftung“ statt „Verstaatlichung“ heißt, die Kontrolle der Banken nicht denen zu überlassen, die mitverantwortlich oder nur ausführendes Organ des Kapitals sind (der bürgerliche Staat bzw. die Regierungen). Vielmehr muss die Kontrolle von denen ausgeübt werden, die die Hauptlast der Krise zu tragen haben: von uns, den Erwerbslosen, Beschäftigten, Hartz-IV-EmpfängerInnen. Mit anderen Worten der ArbeiterInnenklasse.

Wir sind für eine bedingungslose Streichung aller Schulden von Staaten und Lohnabhängigen. Entgegen so mancher Hasstirade seitens Politik und Medien über die ach „so faulen Griechen, Portugiesen“ usw., die alle „über ihre Verhältnisse“ gelebt hätten, hatten diese Menschen keine Möglichkeit, die Politik des Kapitals und ihrer Regierungen zu bestimmen, für die sie jetzt bluten sollen. Sie tragen keine Schuld an ihrer Situation. Sie sind im innereuropäischen Konkurrenzkampf unterlegen, der ihnen von den Konzernen aufgezwungen wurde, bei denen sie zu Hungerlöhnen arbeiten müssen. 
Wie und wofür kämpfen?
Die große Beteiligung am 15. Oktober war ein riesiger Erfolg! Aber sie wird nicht ausreichen, um die Herrschenden auch nur einen Jota von ihrem verheerenden Kurs abzubringen! Die internationale Mobilisierung kann und muss der Anfang einer weltweiten Bewegung in Richtung einer radikalen globa
len gesellschaftlichen und ökonomischen Umwälzung sein!

Ein Vertreter der Grünen meinte am 15. Oktober am offenen Mikrofon in München, dass der soziale „Friede“ dringend bewahrt werden müsse. Genau das Gegenteil ist notwendig! Es braucht mehr sozialen Unfrieden! Es braucht mehr Demonstrationen, Kundgebungen, Besetzungen, fantasievolle Aktionen und vor allem auch: „Bewegung“ in den Betrieben! Statt nur Warnstreiks während der Tarifrunden, mehr politische Streiks, bis hin zum Generalstreik! Nur diese Sprache übt Druck auf Regierung und Kapital aus!
Schließlich muss die Bewegung dazu übergehen, die Regierung zu entmachten und das gesamte Kapital entschädigungslos zu enteignen! „Aber das wäre doch eine Revolution?!“ werden viele sagen. Genau, das wäre es!

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