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Innenpolitik

Faschismus und Terrorismus

Von B. B. | 01.12.2011

Während die Regierung angesichts der Mordserie der Neonazis den „tiefen Vertrauensverlust“ in den Verfassungsschutz beklagt, kritisieren viele Linke, dass der Staatsapparat „auf einem Auge blind“ sei. Dabei ist der Terrorismus Wesensmerkmal des Nationalsozialismus bzw. Faschismus.

Während die Regierung angesichts der Mordserie der Neonazis den „tiefen Vertrauensverlust“ in den Verfassungsschutz beklagt, kritisieren viele Linke, dass der Staatsapparat „auf einem Auge blind“ sei. Dabei ist der Terrorismus Wesensmerkmal des Nationalsozialismus bzw. Faschismus.

Angesichts immer neuer Details über das „Versagen“ von Polizei, Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst im Fall der Morde der Neonazis, kommt die Bundesregierung mit den üblichen Vorschlägen: eine Zentraldatei Rechtsextremismus schaffen, die Arbeit der Verfolgungsbehörden zu verbessern, ein Verbot der NPD überprüfen. Der staatliche Repressionsapparat soll zentralisiert und effektiviert werden.

Das entspricht durchaus den Erfordernissen eines zentralisierten Staates EU, der nicht nur statt nationaler Streitkräfte eine einheitliche europäische Armee, Luftwaffe und Marine schafft, sondern auch eine europaweite Polizei, EU-weite Nachrichtendienste und eine Art Euro-FBI braucht. Dem gegenüber sind die Landes­ämter für Verfassungsschutz, ob in Thüringen oder NRW, Relikte eines vergangenen Jahrhunderts. Die Forderung nach Auflösung des Verfassungsschutzes ist also nicht bloß „linksradikal“, sondern entspricht, soweit sie die Landesbehörden betrifft, den Interessen der Vereinheitlichung der kapitalistischen EU.
„Versagte“ der Verfassungsschutz?
So wie es Regierung und bürgerliche Medien darstellen, haben die Verfassungsschutzämter bei der Beobachtung der Neonazis im Allgemeinen und bei der Mordserie der Nazis im Besonderen „versagt“. Alle Details werden unter diesem Blickwinkel interpretiert und immer neue Beweise für das „Versagen“ tauchen auf.
Diese Sichtweise geht von einem „demokratischen“, über den Klassen schwebenden Staatsapparat aus, der als Schiedsrichter die „Extreme“ zu bekämpfen hat, um das demokratische Gemeinwesen zu schützen. Der Repressionsapparat ist aber nicht neutral.

Innerhalb der Verfassungsschutzbehörden existieren rechtsradikale Kreise, so wie es sie durch die Kriegseinsätze im Ausland auch in Armee und Marine gibt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Nazi-Terrorist­Innen des NSU nur deshalb so lange unerkannt morden konnten, weil Verfassungsschutzkreise ihre schützende Hand über sie hielten.
So gut wie alle Beamt­Innen des Verfassungsschutzes teilen mit den Neonazis zwar nicht die Methoden, aber die Feindbilder: einerseits das Feinbild der gesamten linken und sozialen Bewegung und andererseits das Feinbild Islam und Islamismus.
Parlamentarische Demokratie und Faschismus schließen sich zwar gegenseitig aus. Der Faschismus an der Macht bedingt die Zerschlagung der Arbeiterorganisationen, aber auch die Beseitigung aller bürgerlich demokratischen Freiheiten. Aber beides sind Formen bürgerlicher Klassenherrschaft. Nachdem Hitler in der Weimarer Republik, gestützt auf seine terroris­tische kleinbürgerliche Massenbewegung, legal an die Macht gelangt war, konnte er den Staatsapparat weitgehend übernehmen.
Verbot der NPD?
Der Verfassungsschutz hat die NPD durch seine V-Leute nicht gespalten oder zersetzt, sondern mitgeholfen sie aufzubauen. Rechtsradikale Spitzel bekamen Millionen von Euro zugeschoben, mit denen sie ihre Propaganda und Strukturen finanzieren konnten. Von dem kleinen Polizeibeamten, der nach Aufforderung durch den ortsbekannten Neonazi die Personalien der filmenden Journalist­Innen aufnimmt bis hin zum Innenminister haben alle staatlichen Stellen die Aktivitäten der Nazis geduldet und verharmlost.
Zudem soll das NPD-Verbot ausgerechnet von jener Bundesregierung durchgesetzt werden, die gerade in Griechenland dafür gesorgt hat, dass die rechtsradikale Partei LAOS – die dortige Mixtur aus REP und NPD – an der frisch gebildeten Koalitionsregierung teilnimmt, um die Löhne, Gehälter und Sozialleistungen um 30 Prozent zu senken. Und diese Bundesregierung soll jetzt gegen die NPD vorgehen?
Faschismus und Terrorismus
Wie die Beispiele des NSU in Deutschland und von Breivik in Norwegen zeigen, der 69 Jungsozialist­Innen des AUF ermordete, gehen im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts Teile des Faschismus zum Terrorismus über.

Dass lange Zeit der Faschismus nicht terroristisch auftrat, war allein seiner Schwäche geschuldet. Doch zu seinem innersten Wesen gehört der systematische Terror gegenüber der Arbeiter­Innenbewegung. In der Weimarer Republik tat die SA der NSDAP Tag für Tag das, was das NSU mit seinen Mitteln über Jahre gegen Migrant­Innen getan hat. Jeden Tag Überfälle auf Gewerkschaftslokale, Parteibüros von SPD und KPD, jeden Tag Anschläge auf deren Kulturorganisationen, jeden Tag Sprengungsversuche von Veranstaltungen der Arbeiter­Innenparteien, jeden Tag Tote und Schwerverletzte. Noch verfügt der Faschismus über keine SA, keine Schwarzhemden, keine Croix de feu oder Pfeilkreuzler, die Terror auf Massenebene organisieren können. Aber die Bereitschaft zum Terrorismus nimmt bei Nazis, Faschist­Innen und Rechtsradikalen zu. Die Mörder­Innen des NSU werden in Nazi-Kreisen als Helden verehrt und sicherlich Nachahmer­Innen finden. Der Terror beginnt auch nicht erst beim Mord, sondern z. B. bei Anschlägen auf Jugendzentren der Falken wie in Gelsenkirchen und Berlin. Die grundlegende Bedingung für das Entstehen einer kleinbürgerlichen Massenbewegung, die nicht vereinzelt, sondern systematisch Terroranschläge verübt, ist eine tief gehende Krise des kapitalistischen Systems – und die gibt es bereits.
Strukturkrise des Kapitalismus
Wie schon Ernest Mandel 1969 in seiner Studie zu „Trotzkis Faschismustheorie“ ausführte, ist die Vor­aussetzung zur Bildung einer faschistischen Massenbewegung eine tiefe Krise des Kapitalismus. Damit ist ausdrücklich nicht eine Konjunktur-, Überproduktions- (oder Finanz-) Krise gemeint, sondern eine tiefe Strukturkrise wie in Deutschland 1929 bis 1933. Auch wenn sie noch nicht voll durchgeschlagen ist, zumindest nicht in Deutschland, befindet sich der Weltkapitalismus in einer solchen Krise, die sowohl für die revolutionäre, linke Bewegung neue Möglichkeiten bietet, wie auch für das Aufkommen einer faschistischen Massenbewegung ein geschichtlicher Wendepunkt sein kann.
Weitet sich die Strukturkrise 2008-2011 so weit aus, dass weitere Konzerne zusammenbrechen, schlagartig Millionen Menschen ihre Arbeitsplätze verlieren und Hunderttausende von Kleinbürger­Innen ihre Existenz verlieren, dann ist die Voraussetzung für eine neue faschistisch-terroristische Massenbewegung des Kleinbürgertums vorhanden, die diese Hunderttausende von entwurzelten, verzweifelten und hasserfüllten Elementen gegen die Gewerkschaften, die Sozialdemokratie (der Faschismus macht keine Unterschiede, wer „wirklich“ links ist und wer nicht), gegen a
lle Linken und gegen die jeweiligen „Ausländer­Innen“ mobilisieren könnte.

Noch hofft das Kapital, mit demokratisch-parlamentarischen Mitteln den Lebensstandard der Arbeiter­Innenklasse um 30 Prozent senken zu können. Wenn das aber bei einer Vertiefung der Krise nicht ausreichen sollte, um die Verwertungsbedingungen des Kapitals drastisch zu verbessern, wenn es notwendig sein sollte, den Lebensstandard um weitere 30 Prozent zu senken, dann kann für die Herrschenden der Terror des Faschismus gegen die Arbeiter­Innenbewegung zu einer aktuellen Option werden.

Manche glauben, dass der Faschismus heutzutage „anders“ ist, als zu Trotzkis Zeiten. Ein schwacher Trost. Der Faschismus vor Breivik und vor dem NSU war auch „anders“ als jetzt. Dass die Front National in Frankreich nicht die Croix de feu des Obersten La Rocque, die AN in Italien nicht Mussolinis Schwarzhemden und die NPD nicht die NSDAP bzw. SA sind, ist bekannt. Was aber, wenn Hunderttausende Kleinbürger­Innen durch die Vertiefung der Strukturkrise entwurzelt werden und auf die bereits bestehenden einflussreichen rechtsradikalen bzw. faschistischen Parteien stoßen? Was, wenn sich damit auch die bereits vorhandenen Kerne des faschistischen Terrorismus verbinden? Könnten sich eine FN, AN oder NPD nicht unter der Wucht des aus der Bahn geworfenen Kleinbürgertums und unter dem Druck der Krise in „klassisch“ faschistisch-terroris­tische Massenbewegungen umwandeln?
Auflösung des Verfassungsschutzes
Die Hoffnung auf die staatlichen Repressionsbehörden, die den Faschismus bekämpfen sollen, ist vergeblich. Was wir brauchen, ist nicht das Verbot der NPD, sondern die Auflösung des Verfassungsschutzes. Wenn jede/r siebte FunktionärIn der NPD AgentIn des Verfassungsschutzes ist – das dürfte auch für andere Nazi-Strukturen gelten – dann müsste dessen Auflösung die NPD in eine tiefe Existenzkrise stürzen.
Gegen die Bedrohung durch faschistischen Terror und gegen gesteigerte faschistische Aktivitäten kann nur eine beständige anti-faschistische Massenmobilisierung erfolgreich sein. Aber diese darf sich keineswegs auf den bloßen Antifaschismus beschränken. Gerade weil die kapitalistische Strukturkrise dem Faschismus ständig neuen sozialen Nährboden verschafft, muss die antifaschistische Bewegung eigenständige Antworten auf die sozialen Probleme bieten. Die Lösung kann nur sozialistisch sein. In diesem Sinne gilt immer noch das Wort des Dichters Erich Fried: Ein Antifaschist, der nur ein Antifaschist ist, ist kein Antifaschist.

 

„Döner-Morde“
Zu denen, die die faschis­tischen Morde nicht nur verharmlosten, sondern auch rassistisch kommentierten, gehören die medialen Erfinder­Innen der „Döner-Morde“. Die journalistische Zuschreibung und Verallgemeinerung der geschäftlichen Tätigkeit mehrerer Ermordeter, um die Verbrechen zu  charakterisieren, ist selbst menschenverachtend und rassistisch.

 

 

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