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Griechenland: Neue Regierung und beschleunigter Marsch in die kapitalistische Barbarei

Von Andreas Kloke | 01.12.2011

Die Schmierenkomödie und die Streitereien der „politischen Elite“ Griechenlands und der „Machtpoker“ der Parteien sind erst mal beendet. Die beiden großen und systemtragenden Parteien PASOK und der rechtsgerichteten Nea Dimokratia wurden mit der Bildung einer Regierungskoalition beauftragt, in die auch der rechtsextreme LAOS einbezogen wurde.

Die Schmierenkomödie und die Streitereien der „politischen Elite“ Griechenlands und der „Machtpoker“ der Parteien sind erst mal beendet. Die beiden großen und systemtragenden Parteien PASOK und der rechtsgerichteten Nea Dimokratia wurden mit der Bildung einer Regierungskoalition beauftragt, in die auch der rechtsextreme LAOS einbezogen wurde.

Dabei solle es sich um eine „Übergangsregierung“ handeln, da für den Februar Neuwahlen vorgesehen sind. Die reformistischen Parteien KP Griechenland (KKE) und SYN/SYRIZA fordern sofortige Neuwahlen.

Nach tagelangem unwürdigem Gerangel und Gezerre, Intrigen und Hinterraumgesprächen hat man sich am 10.11. auf Top-Banker L. Papadimos als neuen Regierungschef geeinigt, der das absolute Vertrauen der herrschenden Klassen Europas sowie des IWF genießt. Das Tauziehen um die neue Regierung und den zugehörigen Premier begann, als die politisch und moralisch total ausverkaufte PASOK-Parlamentsfraktion (von 160 auf derzeit 152 Stimmenlieferer geschrumpft) Papandreou am 4.11. ihr „Vertrauen“ bestätigte, der aber gleichzeitig eine Regierungskoalition ankündigte. Die ganze Prozedur war verfassungswidrig (aber wen stört das unter den heutigen Bedingungen noch?), da Papandreou nicht einmal seinen Rücktritt eingereicht hatte.
„Demokratie“ auf dem Rückzug
Mit der Installierung der neuen Regierung wird klar, dass auch die letzten verbliebenen Reste der sogenannten Demokratie („Volksherrschaft“), selbst im bescheidenen und gewohnten Rahmen des bürgerlichen Parlamentarismus, im Begriff sind, effektiv und unnachsichtig eliminiert zu werden. Diese Tendenz zu autoritären und in keiner Weise legitimierten Formen der Machtausübung hat ungeahnte und nie für mögliche gehaltene Ausmaße erreicht. Die von Papandreou angekündigte Volksabstimmung über die am 26./27. 10. ausgehandelten Bedingungen für die Auszahlung der 6. Rate der berüchtigten Troika-Kredite wurde nach Intervention von Merkel, Sarkozy und Co. schleunigst wieder abgeblasen. Nea Dimokratia (ND), die sich verbal immer von der Memoranden-Politik distanziert hat, wurde von der Troika genötigt, mit PASOK eine Regierungskoalition unter einem neuen Ministerpräsidenten zu bilden.

Die Republik Griechenland hat damit nun auch offiziell eine Regierung, die ausschließlich den nationalen und internationalen Bankenprofiten verpflichtet ist. Im Grunde wollte und will niemand die Verantwortung für die Abholzungs-Maßnahmen übernehmen, die von der neuen Regierung gemäß den Ultimaten aus Brüssel und Berlin durchgezogen werden sollen. Die ganze Angelegenheit ist besonders für ND sehr peinlich, die bisher Meinungsumfragen zufolge mit 22 % immerhin 7 Prozentpunkte vor PASOK liegt. Damit wird es nach Lage der Dinge schnell vorbei sein.

Mit der Regierungskoalition werden der griechischen Bevölkerung, ohne dass sie danach gefragt worden wäre, durch die Beteiligung von LAOS nach langer Zeit wieder rechtsradikale (drei stellvertretende) und ein faschistischer Minister (namens M. Voridis) vorgesetzt. Alle wichtigen Ministerposten bleiben ansonsten von den gescheiterten PASOK-Koryphäen besetzt, unter ihnen behält der inzwischen besonders verhasste Wirtschaftsminister V. Venizelos sein Amt. Die Ministerriege wurde um einige bereits ausgemusterte ehemalige PASOK- und ND-Minister erweitert, womit klar ist, dass wirklich nichts Neues zu erwarten ist und nur eine ganz gewöhnliche Pöstchen-Jagd zum glücklichen Abschluss gelangt ist.

Dass die drei Systemparteien PASOK, ND und LAOS nun zum ersten Mal gemeinsam für die in den Augen der großen Bevölkerungsmehrheit gescheiterte und betrügerische Memoranden-Politik verantwortlich sind, kann für die Zukunft des politischen Systems der griechischen Bourgeoisie und vor allem für ihre demokratische Fassade nichts Gutes bedeuten. Ein schlechtes Omen ist auch, dass sich diese Regierung auf Gedeih und Verderb dem Verbleib Griechenlands in der Eurozone verpflichtet, während sich gerade jetzt immer deutlicher abzeichnet, dass der Euro nicht mehr zu retten ist. Der politische Verschleiß dieser Regierung wird schon in den nächsten Wochen erheblich sein und zu befürchten ist, dass die Neuwahlen auf einen unbestimmten Zeitpunkt „verschoben“ werden.
Die Katastrophe der Memoranden-Politik
Die PASOK-Regierung hat das Land innerhalb von knapp zwei Jahren – unter (Co-)Regie der Troika, d. h. der herrschenden Klassen Europas und der USA sowie ihrer Regierungen – mittels eines beispiellos verheerenden Raubzugs ausgeplündert und an den Rand des Ruins getrieben. Dieser ungeheure Betrug, der Diebstahl in Zig-Milliardenhöhe zulasten der Arbeitenden, der sozial Benachteiligten, aber auch der bisherigen „Mittelschichten“, kommt allein den Gläubigern, d. h. der nationalen und internationalen Finanzoligarchie, die sich weiterhin ungehindert und schamlos bereichert, zugute.

Gleichzeitig wird von den Herrschenden und den in ihrem Sold stehenden Mainstream-Medien gezielt die Illusion verbreitet, mithilfe dieser Politik ließen sich das schwer angeschlagene weltweite Finanzierungssystem und damit das globale kapitalistische System retten. Absehbar ist aber bereits, dass dem „Vorbild“ Griechenlands schrittweise Italien, Spanien, Portugal, Irland, Großbritannien und sogar Frankreich folgen werden. Wie unter diesen Bedingungen der Euro „gerettet“ und die übrigen EU-Länder dem generellen Ver­elendungsprozess entgehen sollen, steht in den Sternen. Die nächste europaweite Rezession hat bereits begonnen …

In Griechenland hat die Rezession in den letzten beiden Jahren 15 % erreicht, die Einbußen an Löhnen, Gehältern und Renten betragen bisher bis zu 40 % oder mehr, Hunderttausende Arbeitsplätze wurden vernichtet, die Arbeitslosigkeit galoppiert, die Arbeiterrechte wie zuletzt die kollektiven Tarifverträge wurden zugunsten uneingeschränkter Unternehmer-Willkür abgeschafft, das Staatseigentum, grundsätzlich nationales Eigentum, wird restlos und zu unerträglichen Bedingungen privatisiert, ausverkauft und regelrecht verscherbelt, das öffentliche Gesundheitswesen wird demontiert und 50 % der landesweiten Kliniken schließen, das öffentliche Schulwesen wird der Sparpolitik unterworfen, die Universitäten werden an die Industrie verkauft.

Die materielle Verelendung wird von einer massenhaften psychischen Depression begleitet, die Selbstmordrate bewegt sich auf Rekordhöhen, Tausende von Menschen begeben sich in psychiatrische Behandlung, ohne sie wirklich bezahlen zu können. Für Griechenland trifft wieder zu, dass die – in den letzten Jahrzehnten „erfolgreich“ deregulierte – kapitalistische Gesellschaftsordnung im Wortsinn tödlich ist.
Die junge Generation hat keinerlei Perspektiven, und die „Glücklichen“, die einen Arbeitsplatz ergattern, sollen mit Löhnen zwischen 400 bis 700 Euro abgespeist werden.
Kapitalistische Ausplünderung und sozialer Widerstand
Seit September ist endgültig klar geworden, dass die Memoranden-Politik, die angeblich außer der Rettung des Euros und des Bankensystems auch Griechenland „vor dem Staatsbankrott“, der Zahlungsunfähigkeit usw. schützen soll, ein Fass ohne Boden ist, das allein dem endlosen Aderlass der Arbeitenden dient und eine Art Leichenfledderei an der waidgerecht erlegten griechischen Ökonomie darstellt. Nur die Parasiten des herrschenden Systems, die maximal 10 % Nutznießer der rasanten Verschärfung der Ausbeutung und der Umverteilung von unten nach oben, die Reichen, die Schätzungen zufolge insgesamt 560 Mrd. Euro auf ausländischen Konten deponiert haben, bleiben von der Misere nicht nur verschont, sondern streichen größtenteils steigende Einkünfte ein.

Allerdings bleibt die Gesamtsituation des griechischen Kapitalismus ausweglos. Die Sparpolitik hat sich als Kreislauf des Üblen herausgestellt, da die Rezession sinkende Steuereinnahmen und damit höhere Staatsschulden verursacht, die ihrerseits neue „Maßnahmen“ zulasten der angeblich „über ihre Verhältnisse lebenden“ griechischen Bevölkerung nach sich ziehen, Maßnahmen, die wieder die Rezession verschärfen – eine perfekte Endlosschleife, eine Spirale in den Abgrund.

Mit den im September angekündigten neuen Kopfsteuern, speziell der auf Immobilien, Wohnungen und Häuser, ist das Fass endgültig übergelaufen. Für eine ca. 100 qm große Wohnung sind etwa 700 Euro aufzubringen, die den Gläubiger-Wucherern (d. h. den internationalen Banken usw.) zugutekommen (bzw. in den Rachen geworfen werden). Diese Kopfsteuer wird mit der Stromrechnung zugeschickt und im Fall der Nicht-Zahlung wird dem betroffenen Haushalt der Strom abgestellt! Und schon im Februar soll die nächste Rate derselben Kopfsteuer fällig werden.

Angesichts der Tatsache, dass ein erheblicher Prozentsatz der Bevölkerung durch die verschiedenen Ausplünderungs-Maßnahmen, Arbeitslosigkeit, Schulden usw. bereits unter dem Nullpunkt angelangt ist, bedeutet diese Steuer für sehr viele den Blattschuss und übersteigt schlicht ihre finanziellen Möglichkeiten. Für die griechische Gesellschaft insgesamt hat damit die Stunde null geschlagen.
Durch diese neue Situation wurde die Mehrheit der Bevölkerung offenbar der letzten Illusion beraubt, dass es trotz der Memoranden-Politik „irgendwie“ noch individuelle Auswege, irgendwie ein Überleben gibt. Dies ist der eigentliche Grund, der zu dem außergewöhnlichen Erfolg des Generalstreiks vom 19./20. Oktober mit 500 000 Demonstrant/innen allein in Athen geführt hat, auch wenn dieser Erfolg durch die kontraproduktive Taktik der KPG (KKE) und ihrer Gewerkschaftsformation PAME einerseits und den Molotow-Cocktail-Werfern des „schwarzen Blocks“ andererseits erheblich geschmälert wurde. Die Abstimmung des neuen Maßnahmenpakets im Parlament konnte nicht verhindert werden.

Die landesweiten Tumulte, die wenige Tage später den nationalen Feiertag des OCHI („Nein!“) am 28.10. begleiteten, waren die letzte Bestätigung dafür, dass die Memoranden-Politik und ihre Exekutoren der Regierung, der Troika, aber auch ihrer indirekten parlamentarischen Unterstützer, besonders aus den Reihen von Nea Dimokratia (ND) und der rechtsextremen LAOS, ihren Kredit verspielt haben oder kurz vor diesem Punkt stehen.

Anders gesagt: Die große Mehrheit der Bevölkerung hat sich in der Praxis davon überzeugt, dass mit den Herrschenden und Regierenden kein Kompromiss mehr möglich ist und es nur noch darum geht, die Umsetzung der jeweiligen von oben verordneten Maßnahmen zu verhindern, sei es legal, durch Proteste, Besetzungen und Demonstrationen, sei es „illegal“, z. B. durch die Nicht-Zahlung der Immobilien-Kopfsteuer, d. h. durch zivilen Ungehorsam.

Eine ganze Reihe von Bürgermeistern und Stadträten in verschiedenen Stadtteilen Athens und im übrigen Land hat bereits beschlossen, den Menschen in dieser Angelegenheit beizustehen und es ihnen zu ermöglichen, sich der Zahlung zu widersetzen, ohne dass ihnen der Strom abgestellt wird. Die Entwicklungen haben damit im vergangenen Monat einen Punkt erreicht, an dem klar geworden ist, dass die – natürlich immer vorhandene – Kluft zwischen den Regierenden, aber auch dem gesamten politischen System, auf der einen Seite und der großen Masse der regierten Bevölkerung auf der anderen zu einem unüberbrückbaren Abgrund geworden ist.
Die Auflagen der Troika
Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Regierenden in Athen, Berlin, Paris und Washington diese signifikante Verhärtung der Fronten nicht ohne Entsetzen und mit ersten Anzeichen von Panik registriert, aber auch sofort darauf reagiert haben. Wie kaum anders zu erwarten war, wurde der Druck der Troika auf die systemtragenden Parteien, die Plattmachungs-Maßnahmen unverzüglich umzusetzen und dem sozialen Widerstand mit allen verfügbaren Mitteln den Garaus zu machen, drastisch erhöht. Dabei scheut man sich seitens der Troika auch nicht mehr, ganz unverhohlen Ultimaten zu stellen und Griechenland de facto unter ein Vormundschaftsregime zu stellen. Dabei kann auch keine Rücksicht mehr darauf genommen werden, dass die „politische Elite“ Athens auf diese Weise bloßgestellt und gedemütigt wird. Schließlich geht es hier um ganz reale Interessen, die „Rettung des Euro“.

Was bei allen diesen Erpressungsmanövern und sonstigen Gaunerstücken keinerlei Rolle mehr spielt, ist die Frage, wie die elementaren Lebensbedürfnisse der griechischen Bevölkerung geschützt werden können. Nach einem Bericht von „Capital.gr“ stellt die Troika der neuen griechischen Regierung für die Überweisung der 6. Rate ihres Kredits folgende Bedingungen:

  • die gesetzliche Absicherung der Immobilien-Kopfsteuer als Dauermaßnahme, die dem Staat beginnend mit den erwarteten 1,67 Mrd. Euro in diesem Jahr ab 2012 jährlich höhere Einnahmen garantieren soll;
  • die Ausmusterung – sprich Entlassung – von Zehntausenden Angestellten des öffentlichen Dienstes, zunächst einmal mit 30 000 als Sofortmaßnahme;
  • ein Paket von Maßnahmen zur Schließung, „Zusammenlegung“ und dem Abbau von Unternehmen, die bisher in öffentlichem Besitz waren, im Sinne eines im Sommer verabschiedeten Gesetzesentwurfs;
  • die Überführung aller in diesem und im nächsten Jahr privatisierten Unternehmen in eine „Kasse der Auswertung des Privatbesitzes“. Dazu gehören die Aktienanteile landesweiter Hafenanlagen, der Wasserwerke, der profitträchtigen Glückspielgesellschaft OPAP, landesweiter Flughafenanlagen, des Erdgaszentrums des Bezirks Kavala, der Autobahngebühren und staatlicher Gebäude. Ebenso sind die „Berater“ oder Aufseher der Privatisierungen in einigen dieser Unternehmen zu bestimmen;
  • eine neue „Liste von Arzneimitteln“, was bedeutet, dass die Patienten in Zukunft eine ganze Reihe von teuren Medikamenten selbst zu bezahlen haben;
  • eine Reduzierung der Anzahl von Personen, die bisher Anspruch auf eine Behindertenrente besitzen;
  • dem Staatsbudget für 2012 sind die bislang erlassenen Maßnahmen und Hinweise zu ihrer Umsetzung hinzuzufügen;


Es ist überflüssig, diese Auflagen zu kommentieren, da sie für sich selbst sprechen. Zu bemerken ist allerdings, dass sie in den nächsten Monaten und Jahren für Tausende oder Zehntausende von Menschen das Todesurteil bedeuten.

All dies bestätigt, dass das Hauptziel der Memoranden-Politik nicht in erster Linie auf „die Reduzierung der Schulden“ usw. ausgerichtet war. Das Hauptanliegen der herrschenden Klassen, wie schon aus verschiedenen Interviews von P. Thompson (IWF), C.-J. Juncker (ECOFIN) und anderer hervorging, ist die Umsetzung der „Reformen“ in Griechenland. Dies bedeutet, dass der Lebensstandard der Arbeiter und die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung um rund 50 bzw. 60 % im Durchschnitt, wenn nicht mehr, reduziert werden soll. Tatsächlich sind der Abwärtsbewegung keine Grenzen gesetzt.

Es scheint sich bei dieser Politik um eine strategische Entscheidung der Bourgeoisien Europas und vielleicht auf globaler Ebene zu handeln. Der Grundgedanke besteht offensichtlich darin, Bedingungen herzustellen, unter denen „produktive Investitionen“ wieder effizient und profitabel werden. Dies ist nur durch eine entscheidende Niederlage der Arbeiter­Innenklasse und ihre völlige Unterwerfung zu bewerkstelligen. Nur auf diese Weise gibt es eine realistische Aussicht, das globale kapitalistische System aus der furchtbaren Krise, in die es geraten ist, zu führen.
Zur Situation der griechischen Linken
Die neuen massenhaften Kampfformen der Arbeitenden und Unterdrückten, mit Platzbesetzungen im Sommer, mit Besetzungen, Streiks und Ansätzen von Selbstorganisierung ab dem September, beeinflussen direkt die Ausrichtung aller Kräfte in der Linken. Die Führung der KP Griechenland (KKE), die bemerkt hat, dass sie durch die Massenmobilisierung immer stärker überholt wird, versucht durch verschiedene verstärkte sektiererische Aktionen ihrer Gewerkschaftsformation PAME an Boden zu gewinnen (Besetzungen von Ministerien, Rathäusern und Schulen, Kampagne zur Nicht-Bezahlung der Kopfsteuer). Dadurch hat sich eine leichte Verschiebung der „Parteilinie“ in Richtung der Massenbewegung ergeben.

Das Auftreten und die allgemeine politische Propaganda der KKE werden in der Rhetorik radikaler und wenden sich „gegen den Kapitalismus“, bleiben aber der bürokratischen Routine verhaftet. Ein tieferes Verständnis der wirtschaftlichen und sozialen Realität ist nicht vorhanden. Auch wenn die Verlautbarungen der Partei generell einem antikapitalistischen und mechanistisch-marxistischen Rahmen entsprechen, bleibt ihre sektiererische Taktik wie während des Generalstreiks am 20.10. überdeutlich wurde, auf tragische Weise gefährlich für die Antwort der Arbeiter­Innenklasse im Sinne der Einheitsfront, die heute notwendiger und dringlicher ist als je zuvor.

Die linksreformistische Allianz SYRIZA, die von der aus dem Eurokommunismus hervorgegangenen Partei SYN dominiert wird, versucht sich als eine glaubwürdige Alternative der parlamentarischen Linken zu stabilisieren. Die rasante Talfahrt von PASOK in den Meinungsumfragen berechtigt zu Hoffnungen, dass die Allianz einen neuen Aufschwung erleben kann. Der Vorschlag ihres Vorsitzenden Tsipras, eine  Regierung der vereinigten Linken anzustreben, läuft allerdings dem vitalen Bedürfnis der Arbeitenden nach unmittelbarer Selbstorganisierung und nach Intensivierung der einheitlichen militanten Mobilisierungen zuwider.

Es kann sogar sein, dass er die aufstrebende Dynamik der Widerstandsbewegung gegen die Maßnahmen der Memoranden-Politik durch eine neue parlamentarische Illusion schwächt. Mit ihrer unverrückbar „pro-europäischen“ Orientierung ist die Parteiführung verzweifelt bemüht, sich an den Strohhalm der Euro-Bonds und der Demokratisierung der bürgerlichen EU-Institutionen zu klammern. Alle diese schönen Dinge werden aber von den deutschen Regierungsparteien, den „Oppositionsparteien“ SPD und den Grünen, und natürlich von ihren Auftraggebern in Banken und Industrie wie von der EU-Bürokratie und der EZB systematisch verworfen. Die radikale Jugend der Partei und die radikalen Elemente von SYRIZA, die sich durch die massive Widerstandsbewegung nach links entwickeln, stoßen zunehmend auf die Begrenzungen der SYN-Führung.
ANTARSYA vereint in ihren Reihen zweifellos den größten Teil der militanten und politisierten Basis-Kämpfer/innen, Gewerkschafter/innen, Jugendlichen und Studierenden und hat Ende Oktober mit Erfolg ihren ersten landesweiten Kongress abgehalten. Trotzdem ist festzustellen, dass sich die Bildung der Allianz zuvor im Schneckentempo abgespielt hat, was in erster Linie auf langwierige Grabenkämpfe zwischen ihren Komponenten, den verschiedenen Organisationen, zurückzuführen ist.

Die „Politischen Thesen“ sind sicherlich ein ausgezeichnetes programmatisches Dokument, aber in der Diskussion vor und auf dem Kongress wurde deutlich, dass eine nicht unbedeutende Minderheit von ANTARSYA in Richtung einer Perspektive, die auf die „Einheit der Linken“ auch im Sinn eines zukünftigen Regierungsprojekts abzielt, tendiert. Damit würde man sich auf strategische Konzeptionen, die auf eine „Volksfront“-Politik im Rahmen des bestehenden Systems orientieren.

Auch die Diskussion über den Ausstieg aus der Eurozone und der EU im Rahmen einer Strategie von Übergangsforderungen sowie über die Streichung des sogenannten „nicht-akzeptablen Teils der Schulden“ müssten viel breiter an der Basis geführt werden. Hauptsächlich geht es aber in der allernächsten Zukunft darum, ANTARSYA durch das tatsächliche Funktionieren der örtlichen Grundeinheiten sowie der nationalen Führung wirklich zu einem Faktor im politischen Leben des Landes zu machen. Dieser Aufbauprozess erscheint heute als politische Antwort der griechischen Arbeiter­Innenklasse auf die kapitalistische Krise absolut notwendig.

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